Low - Hey what
Sub Pop / Cargo
VÖ: 10.09.2021
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Der Pulsschlag des Geräuschs
Baustellenlärm oder einzigartiges Klang-Faszinosum? So ganz konnte man sich über das hochgelobte "Double negative" zumindest hier im Plattentests.de-Forum nicht einigen. Nach den guten, aber auch etwas routiniert-harmlosen "C'mon" und "The invisible way" forderten Low wieder deutlich mehr von ihren Hörer*innen, zogen mit ihrem neuen kreativen Sparringspartner BJ Burton auf besagtem Album ein paar stark verzerrte, schroffe Felswände hoch. Der Nachfolger "Hey what" erneuert die Zusammenarbeit mit Burton und seinen zerklüfteten Texturen, setzt diese aber in zugänglichere Kontexte. In der zweiten Single "Disappearing" strahlt Mimi Parkers und Alan Sparhawks Paargesang über dem zyklischen Noise wie zwei stoische Leuchttürme in einem unruhigen Schlammmeer. Ihre Vocal-Harmonien und -Melodien stehen wieder stärker im Vordergrund und drohen nicht, unter der konstanten Reibung mit dem elektronischen Krach ihres Produzenten zu zerschellen. In diesem Sinne gelingt der Platte der Spagat zwischen Schönheit und Zerstörung, zwischen Intimität und radikalem Kunstanspruch vielleicht sogar noch meisterhafter als ihrem Vorgänger. Auch wenn der Überraschungseffekt hier ausbleibt, steht dem geneigten Low-Fan mal wieder nur der Mund offen.
Den ständigen Drang zur Neuerfindung kann man bei dieser Band gar nicht oft genug loben – von den frühen Slowcore-Großtaten über ein kaputtes Meisterwerk wie "Drums and guns" bis zu den aktuellen Experimenten mit Burton standen Parker und Sparhawk fast drei Jahrzehnte lang nie still. Und doch konservierten sie stets den Kern ihrer minimalistischen Mitternachtsmusik, den sie schlicht aus neuen Winkeln anstrahlen. Wenn sich im fast achtminütigen Herzstück "Hey" die Stimmen um den Pulsschlag des Geräuschs schlingen, um dann ganzheitlich im Ambient-Gleißen zu verglühen, dürfte das alten wie neuen Ohren gleichermaßen die Härchen aufstellen. Gleiches gilt für "Don't walk away", das klingt, als würde man ein 50 Jahre altes Liebesduett aus dem Jenseits empfangen. In Songs wie diesen beweist das Album seinen gleichzeitig dringlichen wie die Hörnerven massierenden Charakter. Die Momente, in denen letzterer Aspekt fehlt, konzentrieren Low dieses Mal im Fingerhut: genauer gesagt in der 112-sekündigen Instrumental-Kakophonie "There's a comma after still" sowie dem kaum längeren "More", in dem Parker auf einem grotesk verzerrten Schwertransporter-Riff in den Abgrund knallt.
Dass "Hey what" in diesem Sinne einen weniger stachligen Maschendrahtzaun als sein Vorgänger um sich herum spannt, ist natürlich relativ zu verstehen. Das macht direkt der Opener "White horses" mit seinem stotternden Beat klar, bei dem der Grat zwischen akustischer Migräne und intensivster Überwältigung sicher ein schmaler ist. Wenn dessen stroboskopische Störgeräusch-Coda immer weiter aufklart, bis sie fließend in das flackernde Synth-Fundament von "I can wait" übergeht, sollten jedoch auch die weniger im Noise geschulten Ohren die musikalische Klasse hinter dem Effektrausch erkennen können. Nimmt man dann noch Tracks wie das am Ende implodierende "All night" mit seiner hypnotischen Melodie oder den gewaltig arrangierten Closer "The price you pay (It must be wearing off)" dazu, kann man sich kaum vorstellen, dass nochmal jemand eine Low-Platte mit dem Presslufthammer von nebenan verwechselt. Parker, Sparhawk und Burton liefern nicht das erste, aber ein sehr eindrückliches und eigenständiges Beispiel dafür, wie sich die Hässlichkeit als Stilmittel nutzen lässt, um die Gegenseite im Kontrast noch heller funkeln zu lassen. Die Schönheit siegt am Ende.
Highlights
- White horses
- All night
- Hey
- The price you pay (It must be wearing off)
Tracklist
- White horses
- I can wait
- All night
- Disappearing
- Hey
- Days like these
- There's a comma after still
- Don't walk away
- More
- The price you pay (It must be wearing off)
Gesamtspielzeit: 46:18 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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fakeboy Postings: 5520 Registriert seit 21.08.2019 |
2024-07-16 21:12:01 Uhr
Ich hör jetzt grad mal wieder Hey What. Was für ein phänomenal gutes Album. Es tut den Songs gut, dass sie die Stimmen wieder direkter eingesetzt haben als auf Double Negative. Die Verzahnung von Songwriting und Produktion ist so meisterhaft und das Album entwickelt dadurch eine enorme Eindringlichkeit und Intimität. Eines der Alben, das man besser digital als auf LP hört, weil auf der LP einige Übergänge ziemlich stark gekürzt wurden...10/10 |
Martinus Postings: 698 Registriert seit 13.01.2014 |
2024-07-16 20:59:07 Uhr
Findest Du?Ok, schauen wir mal. War ja auch nur der erste Eindruck. |
fakeboy Postings: 5520 Registriert seit 21.08.2019 |
2024-07-16 20:57:07 Uhr
Gibt übrigens schon einen Thread dazu: https://www.plattentests.de/forum.php?topic=104552&seite=1#neuester |
fakeboy Postings: 5520 Registriert seit 21.08.2019 |
2024-07-16 20:56:34 Uhr
Soooo schwierig auch wieder nicht. Was ich völlig nachvollziehen kann: dass Harmoniegesang keine Rolle spielt und dass er auch seine Stimme rausnimmt. Wie soll das ohne Mimi denn überhaupt funktionieren?Klingt für mich nicht nach durchdrehen, sondern nach Verarbeitung indem man sich einem anderen Genre zuwendet und quasi auf leerem Feld neu beginnt. |
Martinus Postings: 698 Registriert seit 13.01.2014 |
2024-07-16 20:48:22 Uhr
Alan Sparhawk hat ein Album angekündigt. Can U Hear ist die erste Single. Extrem schwierig, ich befürchte fast, dass er irgendwie am Durchdrehen ist... |
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Referenzen
Tim Hecker; Ben Frost; Jim O'Rourke; William Basinski; Oneothrix Point Never; Fuck Buttons; Merzbow; Grouper; Midwife; Brian Eno; Philip Glass; Julianna Barwick; Julia Holter; Boards Of Canada; Aphex Twin; Sarah Davachi; Nick Cave & The Bad Seeds; The Antlers; The Flaming Lips; Hood; Björk; Holly Herndon; Arca; Xiu Xiu; Tortoise; Sigur Rós; Múm; My Bloody Valentine; Mazzy Star; Galaxie 500; Seam; Duster; Codeine; Red House Painters; Bedhead