Listen




Banner, 120 x 600, mit Claim


Horsey - Debonair

Horsey- Debonair

Untitled Recs
VÖ: 30.07.2021

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Londoner Allerlei

Von Bathos spricht der Gräzist, wenn in der Kunst Erscheinungen völlig unterschiedlicher Tragweite direkt aufeinanderfolgen: Gehobenes und Niedriges, Ernst und völliger Quatsch. Das kann diverse Effekte auslösen, manchmal auch zur gleichen Zeit. Irritiertes Kopfkratzen ob der dargebotenen Stillosigkeit, ein Gefühl von Desorientierung und nicht zuletzt schallendes Gelächter. Das Londoner Quartett Horsey zelebriert die Lust am Bathos auf seinem Debüt "Debonair" ohne Kompromisse, hüpft munter durch die Genres und bedient textlich alle Register zwischen surrealen Metapherngewittern, Kitsch und pubertärer Fremdscham. Heraus kommt ein Album, das manchmal beeindruckt, manchmal frustriert, aber stets wahnsinnig unterhaltsam bleibt – und vorbeizieht wie im Fluge.

Eine Grundvoraussetzung für den schrulligen Ansatz der Band ist ihre handwerkliche Fertigkeit, die auch der verrücktesten Idee zuzuspielen imstande ist. Da hilft ein jazziges Fundament ungemein. Der Opener "Sippy cut" begrüßt als fröhliche Fusion aus Fahrstuhlmusik, Rhythmuseskapaden und einem durchgeknallt-virtuosen Gitarrensolo, die Sänger Jacob Read – der in der Vergangenheit unter dem Pseudonym Jerkcurb auch solo unterwegs war – mit einer Ansage verbindet: "What you want, you need / If not in this shit / Then where the fuck could happiness be?" Im Pendeln zwischen zerschossenem Jazz-Rock und ironischen Balladen, so scheint es zunächst. Die Piano-Bar-Fantasie "Underground" wartet mit sanftem Crooning und Falsetteinlagen auf, nachdem Read im vertrackten "Arms & legs" noch so entfesselt brüllt, als wolle er sich als Double von Pixies-Frontmann Black Francis ins Gespräch bringen. "Wharf" hingegen schwingt sich in seinen zwei Teilen von einer verregneten Nokturne zu einer dramatischen Rock-Klimax auf. Man könnte sich Horsey gut dabei vorstellen, das lange (und vielleicht nicht ganz zu Unrecht) vernachlässigte Genre der Rockoper neu aufzumischen.

Bis dahin fühlen sie sich erst einmal zwischen Cabaret und Zirkus zuhause und beschwören einen psychotischen "Clown" herauf, der sich in der zweiten Hälfte im Sludge-Metal-Gewand heranpirscht. Wollte man auf "Debonair" von Stilsicherheit sprechen, so träte sie am ehesten in dem komplexen und doch mühelos erscheinenden Fusion-Art-Rock von Songs wie "Everyone's tongue" oder "Lagoon" auf. Ersteres, neben "Arms & legs" bereits 2017 veröffentlicht und seitdem zahlreichen Transformationen unterworfen, lässt das Dadapendel zwischen Albernheit und Pathologie ausschlagen: Als der Erzähler berichtet, wie er von den eigenen Freunden kannibalisiert wird, klingt die Band wie die etwas zu tighte Version eines Pavement-Jams. Und der federleichte Yacht-Rock von "Lagoon" wird aufs Glatteis geführt, wenn Read immer abstrusere Metaphern konsultiert, um Zwischenmenschliches ins Bockshorn zu jagen: "Eyes like a lagoon / Body like a two month old balloon / As we lay here like a spoon, next to a spoon / Inside your room." Ein Gegensatz, den auch schon der abgehangene Zynismus Steely Dans ausgelotet hat.

Just als bei aller Unterhaltsamkeit so ein wenig die Substanz abhandenzukommen droht, beenden Horsey den wilden Ritt mit seinem absoluten Highlight. Die unverhoffte Kombination aus Akustikgitarre, Klavier und sanften Streichern leitet als "Leaving song" über zum einzigen Gast des Albums. King Krule, dessen Bruder im Übrigen Horseys Bassist ist, ließ seine düster-kratzige Stimme selten so effektreich zur Geltung kommen wie auf "Seahorse", einem tiefmelancholischen Stimmungsgemälde emotionaler Obdachlosigkeit. Wie ein filigranes Messer durchschneidet die Gitarre diffus-wässrige Synthies, langsam schwillt die unheilvolle Schönheit an, bis King Krule in sein surreales Mantra verfällt: "Another seahorse grows inside." Ein Song für Jahresendlisten und Beleg für das große Talent dieser eigenartigen Band.

(Viktor Fritzenkötter)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Bestellen bei Amazon / JPC

Highlights

  • Arms & legs
  • Everyone's tongue
  • Lagoon
  • Seahorse (feat. King Krule)

Tracklist

  1. Sippy cup
  2. Arms & legs
  3. Underground
  4. Everyone's tongue
  5. Wharf (i)
  6. Wharf (ii)
  7. Lagoon
  8. 1070
  9. Clown
  10. Leaving song
  11. Seahorse (feat. King Krule)

Gesamtspielzeit: 34:12 min.

Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)

Einmal am Tag per Mail benachrichtigt werden über neue Beiträge in diesem Thread

Um Nachrichten zu posten, musst Du Dich hier einloggen.

Du bist noch nicht registriert? Das kannst Du hier schnell erledigen. Oder noch einfacher:

Du kannst auch hier eine Nachricht erfassen und erhältst dann in einem weiteren Schritt direkt die Möglichkeit, Dich zu registrieren.
Benutzername:
Deine Nachricht:
Forums-Thread ausklappen
(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 24604

Registriert seit 08.01.2012

2021-08-06 21:08:16 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?
Zum kompletten Thread

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Bestellen bei Amazon

Threads im Plattentests.de-Forum

Anhören bei Spotify