Listen




Banner, 120 x 600, mit Claim


Stephen Fretwell - Busy guy

Stephen Fretwell- Busy guy

Speedy Wunderground / PIAS / Rough Trade
VÖ: 16.07.2021

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

26 Semester später

Authentizität ist in erster Linie ein schwammiger, kaum zu fassender Allerweltsbegriff, der werte von unwerter Kunst abheben und insbesondere allein und mit limitierter Instrumentierung auftretende Künstler adeln soll. Stephen Fretwells Musik, die sich als so etwas wie das Wunschkind von Damien Rice und Billy Bragg bezeichnen ließe, ist aber vor allem, nun ja, authentisch. Gerade Rices Meisterwerk "O" schwebt als Referenz im Geiste durch die gute halbe Stunde von "Busy guy", auf dem der Brite mit fast nichts außer seiner Akustikgitarre und kryptischen Lyrics seine Blöße bedeckt und sich ansonsten komplett nackig macht. Mit Referenzen kennt er sich ohnehin aus, war er doch nicht nur Tour-Bassist bei Alex Turners 60s-Spielwiese The Last Shadow Puppets, sondern konnte als Feature-Gast für sein vorheriges Album "Man on the roof" auch niemand Geringeren als The-Smashing-Pumpkins-Gitarrist James Iha gewinnen. Der 39-Jährige hat also definitiv einen gewissen Stand im Singer-Songwriter-Gehege.

Aus diesem herauszustechen, ist eine Kunst für sich: Dreitagebart, ein paar Akkorde und gläserweise Weltschmerz findet man schließlich zuhauf, und das nicht nur in englischen Hafenstädten wie Fretwells Wahlheimat Brighton. Dessen Songs aber gehen tief, und das hebt ihn hoch hinaus. 13 Jahre war der Musiker in der Versenkung verschwunden und hatte dem Künstlerdasein zugunsten von Ehe und Jurastudium zeitweise abgeschworen. Nun erzählt er abstrakte, hochpoetische kleine Geschichten von Seevögeln, wachsbefleckten Engeln, der "tea-time task-force", polynesischen Schuhen, Rorschach und Wäscheleinen, als hätte er nie damit aufgehört und sei bloß kurz Zigaretten holen gewesen. Dazu malträtiert Fretwell seine Gitarre ohne Scheu vor metallischen Schlieren und Dreck unter den Fingernägeln – "Busy guy" ist unmittelbar und direkt, der leicht schrottige Sound bleibt unberührt und naturbelassen. Für atmosphärischen Schmuck sorgen leichte Bläser- und Streicherspuren oder ein einsames Piano weit, weit entfernt im Hintergrund.

Die entwaffnende Offensichtlichkeit eines Ohrwurms wie "Embankment" markiert dabei eher die Ausnahme als die Regel – Fretwells Melodien erschließen sich meist nicht von vornherein. Auf "Busy guy" adressiert der Künstler geschlossen ein großes, anklagendes "you", zumindest in "Embankment" identifiziert als eine gewisse Judith, mit der er sehr viele Erinnerungen zu teilen scheint. Sehnsucht und Melancholie galore, die von seiner klaren, warmen Stimme getragen durch die frische Meeresbrise wehen: "Are we dancing now?" In "Pink" wiederholt Fretwell wie ein Mantra "Is it summer?", seine Songs aber klingen nach ewigem Herbst. Die Prosa von "Almond" überschlägt sich fast sieben Minuten lang – ein Englisch-Leistungskurs, der gerade die großen Klassiker durchnimmt, hätte seine helle Freude daran. Der noch nicht ganz so alte Mann und das Meer, dazu eine ramponierte Klampfe, mehr ist nicht vonnöten.

Es ist überliefert, dass Stephen Fretwell für die Wiederaufnahme seiner Karriere seine Ehe und die Uni schlussendlich opfern musste. Es gibt also viel zu erzählen: "I was a busy guy, I had lots of work to do / I should have written all this down." Es klingt fast wie eine Entschuldigung. Und auch wenn seine Texte meist wenig greifbar daherkommen – gerade in seiner Kunstfertigkeit erzeugt Fretwell, der nun endlich wieder seiner vielleicht wahren Bestimmung nachgeht, diese viel beschworene Authentizität, die in dem endlosen Meer aus Singer-Songwritern die Könige krönt. "Come on, don't you feel anything?" So einfach und direkt kann man es ausdrücken.

(Ralf Hoff)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Bestellen bei Amazon / JPC

Highlights

  • Embankment
  • Oval
  • Pink

Tracklist

  1. The goshawk and the gull
  2. Remember
  3. Embankment
  4. Oval
  5. The long water
  6. Orange
  7. Pink
  8. Copper
  9. Almond
  10. Green

Gesamtspielzeit: 36:30 min.

Album/Rezension im Forum kommentieren

Einmal am Tag per Mail benachrichtigt werden über neue Beiträge in diesem Thread

Um Nachrichten zu posten, musst Du Dich hier einloggen.

Du bist noch nicht registriert? Das kannst Du hier schnell erledigen. Oder noch einfacher:

Du kannst auch hier eine Nachricht erfassen und erhältst dann in einem weiteren Schritt direkt die Möglichkeit, Dich zu registrieren.
Benutzername:
Deine Nachricht:
Forums-Thread ausklappen
(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Grizzly Adams

Postings: 5895

Registriert seit 22.08.2019

2021-10-12 19:00:43 Uhr
Da bin ich absolut bei dir dreckskerl. Das Album wird in meinen Jahrescharts sehr weit vorne landen.

dreckskerl

Postings: 11147

Registriert seit 09.12.2014

2021-10-09 15:08:58 Uhr
Was für ein wunderschönes Album.
36 Minuten gespickt mit Gänsehautmomenten.
Seit Erscheinen weiter gewachsen, buchstäblich ans Herz gewachsen.

dreckskerl

Postings: 11147

Registriert seit 09.12.2014

2021-08-09 22:19:08 Uhr
Sorry, sollte nicht großspurig daherkommen, insbesondere angesichts des Grammatik/Satzbaufehlers; auch die Wahl von "klug" und "schön" als treffende Beschreibungen scheint mir jetzt mindestens fragwürdig...

Reviews von TheQuietus verlinken, aber dauernd mit der Muttersprache rumschlampen :)....stimmt auffallend.


Bei der Begeisterung für das Album, lag es für mich nahe auch die beiden ersten Soloalben von 04 und 07 zu hören.

Wow.

Später mehr.




Grizzly Adams

Postings: 5895

Registriert seit 22.08.2019

2021-08-09 21:42:12 Uhr
Gelesen. Aber dafür reicht mein Englisch leider nicht aus, um das schönste und klügste herauszulesen… bin ich doch mehr auf eure Rückmeldungen angewiesen.

dreckskerl

Postings: 11147

Registriert seit 09.12.2014

2021-08-09 21:19:12 Uhr
Die Art wie er die Songs mit seiner Akustischen begleitet ist für meine Ohren auch ein besonderes Merkmal des Albums, irgendwo zwischen klassisch reduziertem Fingerpickig aus der Paul Simonschule, und den "geschlagenen" rhythmischen Akkorden von Nick Drake plus das sich manchmal leicht überschlagende LoFi Moment von Neutral Milk Hotel.

Ja, die Sounddetails sind klasse, zum Beispiel diese "tickenden" Sounds entgegen Harmonie und Takt, die im Hintergrund von "Pink" auf- und abebben und zum Schluß mit einem Flattergeräusch entschwinden.

Die am schönsten und klügste geschriebene review ist die von TheQuietus:

https://thequietus.com/articles/30224-stephen-fretwell-busy-guy-review
Zum kompletten Thread

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Bestellen bei Amazon

Threads im Plattentests.de-Forum

Anhören bei Spotify