Chaoze One - Venti
Grand Hotel van Cleef / Indigo
VÖ: 16.07.2021
Unsere Bewertung: 3/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Was wurde eigentlich aus ...?
In den streng geheimen Statuten von Plattentests.de steht geschrieben, dass bei Rezensionen die Ich-Form nur in ganz seltenen Fällen zum Tragen kommen sollte, so einer liegt nun vor. Ich erinnere mich an eine unserer HipHop-Jams in Worms, im April 2001. Meine beiden Kumpels Shikka und MC Sinnflut sind mit ihrer Formation Stereotypen die Headliner, unterstützt von der lokalen Truppe Die Beatfetischisten. Auch ein Rapper aus Neustadt an der Weinstraße gehört zum Line-Up: Jan Hertel, damals noch Chaoze MC. Während wir anderen zu dieser Zeit verzweifelt auf der Suche nach den originellsten Wortwitzen und Punchlines sind, setzt Jan auf seine dunkle Stimme und links-politische Inhalte. Um positiv einzusteigen: Was das angeht, ist er sich auch unter seinem aktuellen Namen Chaoze One treu geblieben.
Die auch in Plattentests.de-Kreisen sehr geschätzten Menschen vom Label Grand Hotel van Cleef kündigen "Venti" als ihre erste HipHop-Platte an und bezeichnen den Vierzigjährigen als gesellschaftskritischen Rapper. Gesellschaftskritisch ist Jan Hertel tatsächlich, er zeigt Haltung. Als Rapper muss er sich jedoch mit Genre-Kollegen aus 2021 vergleichen lassen und nicht mit uns Amateuren aus 2001. Bei diesem Vergleich lässt er ordentlich Federn. Seine Art zu rappen ist so verkrampft und bemüht, als hätten zwanzig Jahre Rap-Evolution nicht stattgefunden. Das klingt auf "Patronen der Schuld" so: "Du reißt aus, bist gerissen weil‘s Vermissen zerfrisst." Zu den holpernden Lines kommen Exaltiertheit und Pathos, die wohl mit Hertels Tätigkeit am Theater zu tun haben müssen. Direkt beim Opener "Memento Moria" wird das deutlich. Es geht um die Flüchtlingsthematik, man will das gut finden, aber es fühlt sich verdammt nach Poetry Slam in der tiefsten Provinz an. In "Get the fuck up / Das bisschen Totschlag" wird das legendäre "Simon says" von Pharaoahe Monch verwurstet, dazu hektische Scratches und ein Aufzählreim, wie zu den großen Zeiten der Fantastischen Vier. Der Track soll Wut ausdrücken, erreicht aber nicht ansatzweise die Intensität eines PTK oder Audio88.
Musikalisch setzt Chaoze One auf echte Instrumente, fast kein Song ohne gniedelnde E-Gitarre oder scheppernde Drums. Beim radio-poppigen "So weit von zuhaus" funktioniert das ganz gut, "Schwarzmaler" und "Vive l'utopie" punkten durch Reggae-Elemente. Das klingt niemals so lässig wie bei Waving The Guns, erinnert aber an Irie Révoltés und Hertels Kumpel Mal Élevé, der auf "Daloy politsey" neben Torsun von Egotronic ein Feature-Gast ist. Sowieso ist Chaoze One offensichtlich ein sehr guter Netzwerker: Matze Rossi steuert einen gelungenen Refrain bei, Sookee hat den Promotext zu "Venti" verfasst, Punk-Autor Jan Off liest einen Interlude-Text. Hertel wurde in Krefeld geboren, ist in der Pfalz aufgewachsen und lebt heute in Mannheim. Woher die unzähligen maritimen Anspielungen kommen, wie auf "Santa Maria", "Ich hab das Meer gesehen" oder dem seicht-gefühligen "Ausguck", ist nicht überliefert. Bei Letzterem sieht man ihn schon neben Ina Müller auf der Theke sitzen, die verträumt-ergriffen den Kopf wiegt, und der Shantychor schunkelt im Takt: "Mann ich hab Liebe zu teilen, genieß die Brise im Freien, und der Frieden kehrt heim“. Sorry GHvC, aber das ist nicht Deutschrap, das passt eher in die Kategorie neue Deutschpoeten.
Meiner hämischen Vorfreude auf meine erste Rezension unter Mittelmaß bei Plattentests.de folgt fade Ernüchterung, wenn es sich um jemanden handelt, den man mal persönlich kennengelernt hat. Shikka ist mittlerweile Akademiker, mein Freund MC Sinnflut erfolgreicher Drehbuchautor. Aus der Ecke habe ich also keine weiteren musikalischen Ergüsse zu befürchten. Aber was machen eigentlich die Die Beatfetischisten heute?
Highlights
- Vive l'utopie
- Ich hab das Meer gesehen
Tracklist
- Memento moria / Die Welt brennt
- Schwarzmaler
- Ausguck
- Patronen aus Schuld (feat. Matze Rossi)
- Get the fuck up / Das bisschen Totschlag
- Häuser vs. Träume (feat. Überdosis Grau)
- Dass es besser wird (feat. Shana Supreme)
- So weit von zuhaus
- Unverfügbarkeit (Interlude)
- Schattenboxen
- Wüste des Vergessens
- Der Kapitalismus. Wachkomapatient 202
- Vive l'utopie
- Daloy Politsey (feat. Torsun und Mal Élevé)
- Ich hab das Meer gesehn
- Santa Maria
- Frei & geborgen
Gesamtspielzeit: 70:27 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Kai User und News-Scout Postings: 2958 Registriert seit 25.02.2014 |
2021-07-16 15:00:50 Uhr
Chapeau! Immerhin gibt es einen Song bei dem Scooter tatsächlich auf einer Kuschelrock landen könnten.Macht Memento Moria aber nicht besser. Die ersten zwei Minuten passen in ihrer Dramaturgie vielleicht auf die Theaterbühne, in dem Song wirken sie aber verloren. Dann gibts eine Minute durchschnittlichen Sprachgesang und zuletzt ein Outro. Ich hab überhaupt kein Problem mit Gitarren in Rap-Beats aber das hier klingt einfach nicht besonders originell. Die drei Singles sind leider einfach nicht besonders gut. Ob das Album 3 oder vielleicht doch eher 5 oder 6 Punkte verdient hat, kann ich nach den drei Singles natürlich nicht sagen. Aber wenn das der Vorgeschmack ist, ist der Wunsch das komplette Werk zu hören eher gering. |
Swenson Postings: 2 Registriert seit 15.07.2021 |
2021-07-16 14:08:31 Uhr
Ey Kai und Andi. Vielleicht sind eure Schubladen auch einfach n bisschen überholt.https://www.youtube.com/watch?v=dWIHvuABaFU |
Kai User und News-Scout Postings: 2958 Registriert seit 25.02.2014 |
2021-07-15 14:55:06 Uhr
Zumindest die 3 Singles sind schon ziemlicher murks. "So weit von zuhaus" ist noch halbwegs okay aber eben auch nicht gut.Schattenboxen hat einen der schlechtesten Beats den ich seit Jahren gehört hab. Dazu ist der Flow auch einfach nicht gut und passt kaum zum Beat. Memento Moria... Auch hier ist die Darbietung einfach nicht gut. Dieses Spoken Words ding wirkt hier so deplatziert wie Scooter auf dem Kuschelrocksampler. Wenn das Niveau so auch bei den anderen Tracks bleibt ist das halt echt murks. Das ist dann wie mit ZSK und so zeugs. Man will das eigentlich gut finden weil die Menschen scheinbar sympathisch sind und sich für richtige Dinge engagieren aber die Musik ist einfach kacke. |
Swenson Postings: 2 Registriert seit 15.07.2021 |
2021-07-15 14:22:22 Uhr
Also, ich hab sie jetzt zweimal gehört. Ist sicher Geschmacksfrage, aber kann es sein, dass eurem Andreas an diesem Abend des gemeinsamen Konzerts irgendeine Rechnung aufging, die er jetzt begleichen wollte :D? |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27369 Registriert seit 08.01.2012 |
2021-07-14 18:54:48 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Mal Élevé; Irie Révoltés; Microphone Mafia; Anarchist Academy; Nic Knatterton; Lotta C; Matze Rossi; Sookee; Radio Havanna; Swiss und die Andern; PTK; Antilopen Gang; Waving The Guns; Milli Dance; Pöbel MC; Vandalismus; Disarstar; Turbostaat; Pascow; Antifuchs; Veedel Kaztro; Umse; Curse; Casper; Marteria; Audio88 & Yassin; Fatoni; Zugezogen Maskulin; Danger Dan; Clueso; Bosse; Johnny Mauser; Kafvka; Egotronic; ZSK; Moop Mama; Max Herre; Jan Delay
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- Chaoze One - Venti (7 Beiträge / Letzter am 16.07.2021 - 15:00 Uhr)