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Kele - The waves pt. 1

Kele- The waves pt. 1

Kola / !K7
VÖ: 28.05.2021

Unsere Bewertung: 5/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Fahrstuhl ins Blaue

Kele Okereke vereint viele Rollen in seiner Person: Frontmann der einst in den Olymp gehypten Indie-Neuerfinder Bloc Party, queerer PoC-Repräsentant, Ehemann, Vater. Nicht gerade wenig Druck, dem der schon immer recht öffentlichkeitsscheue 39-Jährige standhalten muss. Lockdown & Co. haben nun augenscheinlich ihr Übriges getan, Okereke noch weiter in sein Schneckenhaus zu treiben, und die Kindererziehung im Pandemie-Alltag die Selbstreflektion auf die Spitze getrieben. Ein Ventil musste her. Also hat Okereke seine alte Liebe ausgegraben, die ja bekanntlich nicht rostet: die Gitarre. Im Artwork seines fünften Solo-Albums macht er nun Incubus' Brandon Boyd Konkurrenz, wie er gedankenverloren mit den Füßen in der Brandung an der Küste herumirrt, Muscheln sammelt und nicht so recht weiß, wohin mit sich. Nach dem sehr politischen und soundmäßig zerfahrenen "2042" liefert "The waves pt. 1" tiefenentspanntes Easy Listening – liebenswürdig, aber harmlos.

In Okerekes neu entdeckter Reduktion geben sich nur Ausreißer wie "The way we live now", in dem er einen abtrünnigen Geliebten zur Rechenschaft zieht, etwas kratzbürstiger: "Did you really think that I wouldn't notice the way you look at him? / Either way this has to end." Aus purer Gewohnheit wartet man auf das Anwerfen des Verzerrers, Matt Tongs mathematisches Schlagzeugspiel und die große Explosion. Die nicht kommt. Generell findet Percussion auf "The waves pt. 1" nicht statt, stattdessen versinken Hörende in einem – no pun intended – Meer aus Arpeggios und Aufwärmübungen aus dem Gitarrenunterricht. "Darling, I've made a mess", entschuldigt Okereke sich, obwohl er auch nicht mehr die Tanzflure zertrümmert wie zu Beginn seiner Solo-Karriere. Die Mittel sind heute fingergepickte Stahlsaiten und Effektpedale, zusätzlich kann "The waves pt. 1" leichte Spuren von Synthies enthalten. Okerekes wie eh und je warme und wandlungsreiche Stimme als vielleicht doch wichtigstes Instrument gibt den Crooner, den Spoken-Word-Propheten oder den liebesbedürftig Säuselnden und umarmt dazu den Soul, den der Künstler schon früher immer angedeutet und spätestens auf Bloc Partys "Hymns" voll empfangen hat.

Stichwort früher: "The one who held you up" beschwört tatsächlich ein wenig die alten Tage, wenn auch sicherlich nicht in der gleichen Intensität. Der monotone RPG-Soundtrack-Vibe von "Dungeness" kann da absolut nicht mithalten. Generell bleibt es oft bei eher unausgegorenen Skizzen, die wie überlange Intros zu besseren Ideen anmuten. Stücke wie die instrumentalen "The heart of the wave" oder "The patriots" loopen lieber minutenlang im Kreis, anstatt Wichtiges zu erzählen – wenn auch in letzterem Fall mit überraschend apokalyptischem Flair, das sich mit dem Rest dezent beißt. Das Erzählen überlässt Okereke in "Intention" dem charmanten British English eines weiblichen Selbsthilfe-Coachs über der mäandernden Gitarre. Was das genau zu bedeuten hat, wird nicht ganz klar. Je nach Musikgeschmack aber kann man das ätherische Bronski-Beat-Cover "Smalltown boy" sogar schöner finden als das Original. Okereke hat kein Gesamtkonzept im Sinn, probiert sich einfach aus. Was so eine Gitarre wohl noch alles kann? Der Hit-or-Miss-Charakter des Albums liegt in der Natur der Sache.

"I'll keep you weightless, suspended in dreams": Schwerelos ist "The waves pt. 1" in der Tat, schwebt sogar ziellos durch die Gegend wie ein versehentlich am Strand losgelassener Drachen, und dass Okereke sein Partyhütchen im Schrank gelassen hat, war auch nie anders zu erwarten gewesen. Wir erinnern uns: Ost-London ist ein Vampir, der einem die Freude direkt aus dem Herzen saugt – viel scheint sich daran seit 2007 nicht geändert zu haben, und in Isolation ist's noch schlimmer. Aus Hörersicht allerdings mindestens interessant, bleiben Bewohner wie Kele Okereke doch produktiv und experimentierfreudig. So eine durchwachsene Kreuzung aus Fahrstuhlmusik und großen Emotionen wie "The waves pt. 1" muss man auch erstmal hinkriegen.

(Ralf Hoff)

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Highlights

  • The way we live now
  • The one who held you up
  • Smalltown boy

Tracklist

  1. Message from the spirit world
  2. They didn't see it coming
  3. The way we live now
  4. How to beat the lie detector
  5. Dungeness
  6. Nineveh
  7. The one who held you up
  8. The patriots
  9. Intention
  10. Smalltown boy
  11. From a place of love
  12. The heart of the wave
  13. Cradle you (Bonus track)

Gesamtspielzeit: 49:58 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2021-08-14 12:28:03 Uhr
Mh, leider gar nichts für mich. Gelegentlich kommt da eine interessante Stimmung auf, aber die Songs drehen sich nur im Kreis, es fehlt an Ideen und starken Melodien. Diese "Spoken Word"-Passagen sollte er auch lassen.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2021-07-06 10:39:14 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

Grizzly Adams

Postings: 4521

Registriert seit 22.08.2019

2021-03-28 19:37:18 Uhr
Holt mich nicht ab. Das Original ist klasse. Aber diese Version ist eher etwas dröge. Versteh auch nicht so recht, wieso die erste Single ein Cover sein muss. Verdacht: das Label möchte auf Nummer sicher gehen und das Album zunächst mal irgendwie platzieren.

Ituri

Postings: 413

Registriert seit 13.06.2013

2021-03-27 11:01:32 Uhr
Kai, mir geht's exakt genau so. Mag das Original, es klingt nach alt-j und es geht in Ordnung!

Kai

User und News-Scout

Postings: 2751

Registriert seit 25.02.2014

2021-03-27 10:30:43 Uhr
Liegt's an mir oder klingt das extrem nach alt-j?
Mag das Original und hatte erst etwas Angst aber das geht so schon in Ordnung. Hätte mir gewünscht, dass das am Ende vielleicht etwas ausbricht.
Zum kompletten Thread

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