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Marina - Ancient dreams in a modern land

Marina- Ancient dreams in a modern land

Atlantic / Warner
VÖ: 11.06.2021

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

The revolution will be overstyled

"Love + fear" brachte als bisher schwächstes Album von Marina Diamandis nicht viel Begeisterung mit sich, aber dafür eine Erkenntnis. Drei Platten lang balancierte sie gekonnt bis großartig zwischen ihrer eigenen Vision und den Ansprüchen der Pop-Industrie, doch hier entledigte sie sich plötzlich allem: den "Diamonds" ihres Künstlernamens, der Farbe im Artwork und all ihrer extravaganten Kostüme und Personae. Dass am Ende eine größtenteils generische Suppe übrigblieb, legt den Schluss nahe, dass sich Marina mit diesem Schritt ihr Herz herausriss. Die überzeichneten Lyrics, das audiovisuelle Theater, der ganze Camp-Faktor waren bei ihr nie einfaches Beiwerk, sondern wesentlicher Bestandteil ihrer Kunst. Diese Ansicht scheint die Waliserin selbst zu teilen, denn "Ancient dreams in a modern land" negiert die falsche Intimität seines Vorgängers komplett. Ihre opernhaften Gesangsmanöver und herrlich überproduzierten Pop-Dynamos folgen wieder dem ganz eigenen Rhythmus statt dem des Mainstreams. Nimmt man noch die selbstbewussten thematischen Rundumschläge vom zutiefst Persönlichen zum Gesamtgesellschaftlichen sowie eine Steigerung im Balladen-Songwriting dazu, erhält man Marinas bestes Album seit dem Debüt "The family jewels".

Mit Disco-Stampf-Beat und wummerndem Synth-Bass ruft gleich der eröffnende Titeltrack zur von allen Fesseln befreiten Selbstentfaltung auf: "You don't have to be like everybody else / You don't have to fit into the norm / You are not here to conform." Ein Motto, das Marina sich selbst wie ihrem Publikum eingebrannt wissen möchte, weswegen sie es im hektisch-funkigen Piano-Pop von "Venus fly trap" nochmal wiederholt: "Nothing in this world could change me." In seiner ersten Hälfte ist "Ancient dreams in a modern world" ein Album des Widerstands – gegen abstrakte Lebensstandards ebenso gerichtet wie gegen konkrete soziale Missstände. Wobei es "konkret" nicht ganz trifft, wenn "Purge the poison" mit atemlosem New-Wave-Gestus zwischen Kapitalismus, Umweltverschmutzung und Harvey Weinstein großzügig durchwischt. Auch "Man's world" schlägt mit schlicht grandioser Melodieführung einen ganz weiten Bogen von Salems Hexenverbrennungen zu Marilyn Monroes Bungalow, der inzwischen einem Schwule mordenden Scheich gehöre. Wer der 35-Jährigen Zeitgeist-Anbiederung vorwerfen will, vergisst, dass sie all diese Themen schon zu Zeiten von "Hollywood" auf der Zunge hatte. Deshalb kann sie auch als Britin eine von dramatischen Konserven-Streichern gestützte Hymne aufs "New America" singen, die gerade in ihrer augenzwinkernden Polemik so viel Laune macht.

Mit ihrem neuen Selbstbewusstsein scheint Marina alles zu gelingen, weshalb sie auch im anderen Extrem brilliert. "Highly emotional people" heißt ihre schönste Ballade bislang, eine zärtliche Absage an gefühlsunterdrückende Männlichkeitsideale – ähnlich minimalistisch und bewegend gerät nur das präfinale "Flowers". In ihren letzten Tracks wendet sich die Platte ab von den Rissen der Welt und hin zu einer nicht weniger schmerzvoll zerschnittenen Beziehung. Ohne dabei an Ambition einzubüßen, wenn etwa "Pandora's box" den titelgebenden Mythos umformt oder "I love you but I love me more" die Drums donnern und Gitarren heulen lässt. Auch der Closer "Goodbye" fährt mit Streichern und Piano-Schwung ein letztes Mal die ganz opulente Kulisse hoch, und man fragt sich, ob es nicht zumindest hier auch dünnere Pinselstriche getan hätten. Doch wer ist man, der Queen Of Camp irgendwas vorzuschreiben, wenn sie mit einladendem wie gebieterischem Ausdruck gleich vom ersten Cover-Blick an ihre feierhafte Rückkehr markiert? Marina Diamandis hat ihre Kostüme und Masken wieder aus dem Schrank geholt und ist damit ihrem ungefilterten Innersten so nah wie noch nie.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Venus fly trap
  • Man's world
  • Highly emotional people

Tracklist

  1. Ancient dreams in a modern land
  2. Venus fly trap
  3. Man's world
  4. Purge the poison
  5. Highly emotional people
  6. New America
  7. Pandora's box
  8. I love you but I love me more
  9. Flowers
  10. Goodbye

Gesamtspielzeit: 36:07 min.

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User Beitrag

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19673

Registriert seit 10.09.2013

2021-06-27 19:53:42 Uhr
Danke dir, sowas lese ich gern :)

Edrol

Postings: 394

Registriert seit 19.10.2018

2021-06-27 19:43:50 Uhr
Die beste Rezension, die ich zu diesem Album bisher gelesen habe (auch international). Alles präzise auf den Punkt gebracht. Selbst bei den Highlights gehe ich mit, würde aber auch noch den Titeltrack mitnehmen. "Queen Of Camp" ist ein würdiger Titel für Marina ;)

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 24638

Registriert seit 08.01.2012

2021-06-27 19:24:23 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

Edrol

Postings: 394

Registriert seit 19.10.2018

2021-06-12 13:18:51 Uhr
Hurra, bin gespannt :)

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19673

Registriert seit 10.09.2013

2021-06-12 13:18:18 Uhr
Ja, ich hatte bereits in meine Einleitung zur "Love + Fear"-Rezi geschrieben, dass das meiner bescheidenen Meinung nach die erste gerechtfertigte 5/10 für ein Marina-Album war :) Die bisherige Diskographie würde bei mir so aussehen:

The Family Jewels 8/10
Electra Heart 6/10
Froot 7/10
Love + Fear 5/10

Die "Ancient dreams"-Rezi dauert wohl noch bis zum übernächsten Update, aber sie kommt.
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