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Flowerpornoes - Morgenstimmung

Flowerpornoes- Morgenstimmung

Bandcamp
VÖ: 26.05.2021

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Zwischen Menschen

Wer es lieber kuschelig möge, so schrieb Tom Liwa kürzlich auf Facebook, der lasse bitte die Finger von "Morgenstimmung", dem ersten Album der Flowerpornoes seit sechs Jahren. Damit kommuniziert der Dichter und Songschreiber der Indie-Urgesteine zunächst zweierlei: Es besteht nach Dekaden Banderfahrung weiterhin kein Interesse daran, in wehmütiger Altersmilde im Sofa zu versinken; außerdem kehrt Liwa nach seinem Soloalbum vor wenigen Monaten in Begleitung seiner zwei Mitstreiter und einer Mitstreiterin zurück zu einem rockigen Klanggewand. Während "Der, den mein Freund kannte" mit Ambienteinlagen und Lo-Fi-Elektronik eine stille Trauer verhandelte, intim und persönlich daherkam, öffnet "Morgenstimmung" wieder die Perspektive und kanalisiert einen immer noch punkigen Geist in den diskursiven Anschlüssen Liwas. Schon der Titel formuliert Aufbruch und Abbruch zugleich: den Beginn eines neuen Tages, das Ende einer nächtlichen Entfesselung. Ein Zwielicht, das auch die elf Lieder bespielen, die ohne Label und Vertrieb in die Welt getragen werden. Und so eröffnet Liwa zu irreführend leisen Akustikklängen das Album mit einem Satz, in dem sich Bitterkeit und Selbstironie die Hände reichen: "Sie können auf Dich verzichten / Dein Marktwert und Deine Kaufkraft halten sich in Grenzen."

Weder verzichteten noch verzagten jedoch die Flowerpornoes, als sie innerhalb eines einzigen Tages das musikalische Grundgerüst von "Morgenstimmung" errichteten: Eine treibende, schnodderige Energie durchzieht das Album, die den pointierten Uneindeutigkeiten der Texte stets die Resignation verbietet. "Konterrevolutionär" spuckt Galle in das Gesicht derjenigen, die politisches Bewusstsein als Attitüde vor sich hertragen, nur um sich dann selbst ein Stück weit auszuhebeln. "Der politische Kampf ist kein T-Shirt mit 'nem witzigen Slogan", ächzt Liwa und schreibt damit einen Satz, der bald in metaironischer Geste auf T-Shirts gedruckt werden könnte – Widerstand als Sisyphusarbeit. Das eindringliche "Mamas Welt" bewegt sich mit seiner in wenigen Pinselstrichen schonungslos skizzierten Scheidungsgeschichte zurück ins Persönliche, doch auch hier konfrontiert sich Liwa mit Witz und aller Härte selbst: "Dies ist das wirkliche Leben und nicht der Refrain von einem deiner Scheiß-Songs." Als die Akkorde ins Dissonante kippen und er bedrohlich grunzt, erinnert das Coverbild plötzlich unwillkürlich an Black-Metal-Ästhetik: "Du wirst dich hier nicht mehr sehen lassen."

Auffallend ist die Präsenz intergenerationaler Konflikte und Zerwürfnisse auf dem Album: Im siebenminütigen Gitarrenstrudel im Zentrum ("Leben wie ein Prinz") wiederholt der väterliche Erzähler gegenüber seinem als unzureichend empfundenen Sohn: "Wenn ich mal nicht mehr bin, wirst Du leben wie ein Prinz." Es klingt eher nach Verurteilung als nach Befreiung. "Mein Vater war ein Tänzer" wiederum belegt einmal mehr, wie Liwa mit wenigen berührenden Zeilen eine schwankende Figur erschaffen kann: "Wenn er uns in den Schlaf trug / Dann trug er uns in Mustern." Auch "Too much Coca Cola", ein Duett mit Britta Caspers (The Lost Verses), lässt Zwischenmenschlichkeit elliptisch auseinanderdriften, um beide Stimmen dann im Refrain wieder zu einem hymnischen Hit zu harmonisieren.

Platz für kleinere Experimente finden die Flowerpornoes auch noch. "No hate" schunkelt lässig im Kontrast zu seinem Text, einem Briefwechsel in anwaltlichem Bürokratendeutsch, der kollidierende Perspektiven unaufgelöst gegenüberstellt. Ob es das etwas betuliche "Ich bin Dein Hund" unbedingt gebraucht hätte, in dem Liwa den Titel ganz wörtlich nimmt und in anhängliches Jaulen verfällt, sei dahingestellt. Viel stärker überwiegt auf "Morgenstimmung" sonst der Eindruck, dankbar sein zu können für eine Stimme, die ihre eigene Klugheit nie verknöchern lässt, nie aufhört, sich selbst in Frage zu stellen. Liwa schreibt nach wie vor Songs, die darauf warten, durch die Einsichten ihrer Hörer ergänzt zu werden. Man nehme das treffend betitelte "Ich mag Kopfschmerzen": Zu verschleppten Gitarrenwänden balanciert der Erzähler auf dem Fensterbrett, unten zieht der Verkehr quälend langsam vorbei. "Ich mag Kopfschmerzen": vielleicht keine schlechte Voraussetzung für jemanden, der die die rätselhaften Chiffren menschlichen Zusammenlebens so scharf im Blickfeld behalten möchte.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights

  • Mamas Welt
  • Ich mag Kopfschmerzen
  • Mein Vater war ein Tänzer

Tracklist

  1. Abendstimmung
  2. Konterrevolutionär
  3. Mamas Welt
  4. Krishna Mond
  5. Too much Cola Cola
  6. Leben wie ein Prinz
  7. No hate
  8. Ich mag Kopfschmerzen
  9. Mein Vater war ein Tänzer
  10. Ich bin Dein Hund
  11. Info

Gesamtspielzeit: 39:40 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 25666

Registriert seit 08.01.2012

2021-05-26 21:05:59 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

AliBlaBla

Postings: 4377

Registriert seit 28.06.2020

2021-04-16 21:47:26 Uhr
Oh, meine Frau ...wird........AUS- FLIP- PEN, . .....big news in da house...wie schön! ! ! Kultband der 90er..
Wer freut sich noch?

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 25666

Registriert seit 08.01.2012

2021-04-16 20:23:28 Uhr - Newsbeitrag
Neues FLOWERPORNOES-Album: „MORGENSTIMMUNG" (VÖ: 26. Mai)

„Unsere Alben aus den Neunzigern hätten ähnlich geklungen, wenn wir gewusst hätten, wie. Ich finde aber, wir sollten die speziellen Arbeitsweisen – wie die Algorithmen, nach denen die Kompositionen entstanden und das mit den Perspektivwechseln bei den Texten – aus dem Info rauslassen. Das braucht es nicht. Und wo ist eigentlich mein Kaffee?" Tom Liwa riecht nach Farbe und nach einem Sonnentag. Er hat heute die Außenwand seines Hauses gestrichen und kratzt sich mit der Rechten Schorf vom linken Arm.

Ihr wollt es doch auch! Ein Rock-Album der Flowerpornoes. Mit lauten Gitarren und großer Klappe. Kluger Lärm! Wie früher? Nein, wie heute! Kein halbes Jahr nach dem Weird-Ambient-Soloalbum „Der, den mein Freund kannte" schlägt Tom mit seiner Band eine ganz andere Richtung ein – oder schließt er nur mal wieder einen Kreis? „Morgenstimmung" dreht sich sozusagen von außen um die eigene Achse – es wird abgerechnet. Aber wer mit wem, ist nicht ganz klar. Väter kommen zu Wort, Kinder, Exfrauen, Exmänner, Kolleg*innen, ja sogar der Mond und der Hund haben Schonungsloses mitzuteilen. Die Brutalität der Sprache passt zu den direkt ins Blut gehenden Melodien – das hier sind tatsächlich, im wahren Wortsinn: Hits.

Genau einen Tag Zeit brauchte es, um diese wilden Lieder aufzunehmen. Tom Liwa (Gesang/Gitarre), Giuseppe Mautone (Schlagzeug), Birgit Quentmeier (Keyboards) und Markus Steinebach (Bass) buchten sich in ein Studio in Bochum ein, wo „zufällig" eine Les Paul rumhing, die den Flowerpornoes-2021-Sound entscheidend prägt. „Vor Ort war das getragen von einer Rieseneuphorie, von diesem Schwarmgefühl, das kommt, wenn wir gemeinsam spielen. Wir hatten das fast vergessen", so Tom, der mit Birgit und Markus seit 1977 und mit Giuseppe immerhin auch schon seit 2012 Musik macht. Erst eine Woche vor dem Zusammentreffen schickte er den dreien die Demos (textlose Soloversionen an der Gitarre, mit dem Handy aufgenommen), alle probierten zu Hause rum und übten. Obwohl sie im Grunde ein sehr eingespieltes Team sind, waren sie von der Dynamik überrascht, die das ultraschnelle Arbeiten möglich machte. „Das hatten wir so noch nie", sagt Birgit Q. Sie stellte im Studio erfreut fest: „Wir funktionieren einfach zusammen. Es war eine unglaubliche Energie im Raum. Alle hatten furchtbar Lust zu spielen, es war laut und heftig. Wahrscheinlich musste sich da alles Angestaute Bann brechen." Die Flowerpornoes hatten – wie so viele Bands 2020 – kaum Gelegenheit, gemeinsam zu spielen. Man will ja jetzt nicht mit Klischees wie „sie haben die Live-Atmosphäre eingefangen" anfangen, doch sogar der recht unerschütterliche Markus war erstaunt, wie „sensationell gut" die Band gerade unter den erschwerten Bedingungen klang. „Es wäre natürlich schön, wenn wir jeden zweiten Tag proben könnten, aber so hat es den Effekt, dass man, wenn es geht, mit besonderer Begeisterung dabei ist."

„Ich bin seit 2012 dabei und damit der dienstälteste Flowerpornoes-Drummer!" Giuseppe Mautone zupft an seinem Man-Bun herum und grinst: „Auch der mit den meisten eingespielten Minuten. Weiß ich von Birgit, die so was wie das Büro der Band ist. Ein wunderbarer Kontrast zu Tom, der auch schon mal Sachen fragt wie ,in welchem Bund spiel ich in diesem Lied?' oder ,Wo ist mein Kaffee?'. Oh, verrat ich jetzt alles?? " Er lacht, und diese verschmitzte Freude taucht bei allen Vieren auf, wenn sie von der Band reden. „Ich versuche immer, in meinem Spiel auch den Text zu beachten – das ging diesmal natürlich nicht, also habe ich überlegt: Was führt Tom wohl im Schilde? ", erinnert sich Giuseppe. „ Das ist schon wie ein kleines Wunder, wenn man zum ersten Mal alles gemeinsam spielt und es sofort zusammenpasst." Dass keine Zeit war, sich eine „ausgefuchste Begleitung" zu überlegen, und jetzt alles „relativ roh" klingt, wie Birgit es nennt, ist ja gerade der Pluspunkt dieses Albums: „Es klingt anders, als es die Leute vielleicht erwarten, nicht so: ,Hab ich schon tausendmal gehört, Tom Liwa und die Flowerpornoes kennt man ja.'" Man ist eben nie zu alt, um sich selbst und andere zu überraschen! „Als Tom im letzten Jahr, als Corona kam, die Songs von ,Der, den mein Freund kannte' dann doch komplett allein aufgenommen hat, war ich schon ein bisschen traurig. Er schrieb uns, dass er das jetzt abschließen wolle, und danach können wir uns komplett neuerfinden. Das war ja erst mal nur so ein Gedanke, aber nun ist es tatsächlich genau so gelaufen mit der neuen Platte!"

Für Birgit sind die Songs „ein Lichtstrahl in dieser bescheuerten Zeit". Wobei die Texte, die Tom später zu Hause im Wendland schrieb, natürlich eher Blitzschlägen gleichen. „Ich wundere mich immer wieder über Toms tolle Texte", so Markus. „Vor allem wenn sie so nach wörtlicher Rede klingen, wie ein Sample aus der Realität. Diesmal kommen noch die vielen Perspektivwechsel dazu." Er streicht eine seiner Alfred-Stieglitz-Locken aus der Stirn und erinnert mich daran, dass bei einem dieser Stücke Britta Caspers von The Lost Verses (einer unbedingt entdeckenswerten Band) mitsingt – und zwar ihren eigenen Text.

Natürlich bleiben wir (die unser Freund kannte) dem Weg, den wir mit „Der, den mein Freund kannte" 2020 eingeschlagen haben, treu: „Morgenstimmung" wird am 26. Mai ebenfalls ohne Label, ohne Vertrieb oder andere Industrie-Strukturen veröffentlicht, kein Amazon oder Spotify wird es in die Finger kriegen. Es kann ab Anfang Mai auf tomliwa.bandcamp.com bestellt werden, schöne Spezial-Editionen mit hochwirksamem Zeug und überraschenden Gästen gibt es dann auch.
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