Lord Huron - Long lost
Republic / Universal
VÖ: 21.05.2021
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Grüße aus dem Jenseits
"Der Erfolg hat Euch verändert." Ein Satz, von dem wir uns bei Plattentests.de nicht angesprochen fühlen. Trotz unseres inzwischen globalen Renommees könnt Ihr schließlich immer noch ganz normal auf unsere Agenten zugehen und mit etwas Glück eine standardisierte Grußkarte bekommen, wie bei jedem anderen Menschen auch. Lord Huron geht es da ähnlich. Obwohl das kalifornische Quartett den Indie-Folk-Hype der späten Nullerjahre knapp verpasste, schlug es auch außerhalb seiner Nische beachtliche Wellen: Dank seiner Verwendung im Teenie-Drama "13 reasons why" erreichte der Song "The night we met" Platinstatus und das darauffolgende – und wirklich grandiose – Album "Vide noir" die Top fünf der amerikanischen Billboard-Charts. Viele Gründe also für Ben Schneider und Co., sich von ihren charmanten Verschrobenheiten abzuwenden und nach den Sternen zu greifen. Doch Lord Huron haben keineswegs vergessen, wo sie herkommen.
Stattdessen ist das Gegenteil der Fall. Die bandeigenen – und nach eigener Aussage bespukten – Whispering-Pines-Studios stehen im Zentrum der vierten Platte "Long lost", die mit einem abstrakten Konzept samt weirder Backstory um den fiktiven Hausbewohner Tubbs Tarbell jenen Geistern nachspüren will. Musikalisch stellt die Band das Space-Rock-Flair des Vorgängers zurück, um ein paar ihrer Wurzeln auszubuddeln, ohne ihre gewachsenen Genre-Ambitionen ganz zu beschneiden. "Folk" bezeichnet im Wörterbuch von Lord Huron keinen bärtigen Typen mit Akustikklampfe, sondern, im Fall der starken ersten Single "Mine forever", einen cineastischen Strudel aus Surf-Gitarren, weiblichem Background-Gesang und ausladendem Streicher-Schwung. Doch der kurz darauffolgende, klagevolle Country-Schunkler "Love me like you used to" verdeutlicht, dass die Grundhaltung dieses Mal eine traditionellere ist.
So arrangiert der Vierer durchaus wieder aufwändig, begeht aber keine größeren Stilbrüche. Dem thematischen Fokus entsprechend bevölkern Cowboy-Hut tragende Seelen vor allem das Titelstück, das mit Western-Orchester und klimperndem Piano die ganze Prärie auf einmal umspannt. Einen gleichsam weiten und einprägsamen Melodiebogen schlägt "Twenty long years", auch wenn man die ganze Zeit darauf wartet, dass Matt Berninger "I'm so surprised you want to dance with me now" darüber singt. Lord Huron beweisen weiterhin das hohe Niveau ihrer Kompositionskunst, doch führt die verstärkte Konzentration auf klassische Folk- und Americana-Muster dazu, dass ihnen der eigene Charakter ein wenig abhandengekommen ist. In Anbetracht der Albumstruktur mit ihren seltsamen Zwischenansagen mag auch das gewollt sein – zuweilen erzeugt "Long lost" eine Stimmung, als würde man in Twin Peaks' Great Northern Hotel sitzend durchs Country-Radio schalten.
Jene Struktur wird jedoch auch zur Krux. Nur gut die Hälfte der 16 Tracks besteht aus richtigen Songs, die ob ihrer nur vom Folk'n'Roll-Schleicher "Not dead yet" aufgebrochenen Gleichförmigkeit nicht rechtfertigen, das große Bohei mit Interludes und Akustikskizzen drum herum zu veranstalten. Wenn dann noch ein viertelstündiger Ambient-Soundtrack namens "Time's blur" die Platte beendet, strotzt das durchaus vor Chuzpe, doch leider zieht dieser angepappt wirkende Closer recht nichtssagend an einem vorbei. Zweifelsfrei kann man sich wieder wunderbar in die Musik von Lord Huron fallenlassen, die Fragezeichen bleiben aber. Dass diese vier Käuze ein Album aufgenommen haben, dessen Konzept am Ende niemand außer ihnen selbst durchschaut, macht sie aber wiederum auch ursympathisch. Trotz Welterfolgs das eigene Ding durchzuziehen, ist schließlich eine Tugend, mit der wir uns bei Plattentests.de voll und ganz identifizieren können. So, wer will jetzt eine Grußkarte?
Highlights
- Mine forever
- Long lost
- Twenty long years
Tracklist
- The moon doesn't mind
- Mine forever
- (One helluva performer)
- Love me like you used to
- Meet me in the city
- (Sing for us tonight)
- Long lost
- Twenty long years
- Drops in the lake
- Where did the time go
- Not dead yet
- (Deep down inside ya)
- I lied (feat. Allison Ponthier)
- At sea
- What do it mean
- Time's blur
Gesamtspielzeit: 58:06 min.
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boneless Postings: 5978 Registriert seit 13.05.2014 |
2021-08-20 22:24:04 Uhr
Schöne Rezi, Moped. Auch wenn mir die Wertung eher missfällt, wie 6 Punkte liest sich das trotzdem nicht. ;) Ich bin gerade vom traditionellen Moment der Platte besonders angetan. Der Vorgänger läuft eben und da sind es gerade die Songs mit diesem psychedelischen Anleihen, die mir wenig geben. Insofern sind die Sympathien klar verteilt, was natürlich nicht heißt, dass Vide Noir nicht auch Hübsches zu bieten hätte, im Gegenteil. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27849 Registriert seit 08.01.2012 |
2021-05-12 21:58:36 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Other Lives; Dry The River; Fleet Foxes; Iron & Wine; Admiral Fallow; Blitzen Trapper; Field Report; Shakey Graves; Family Of The Year; First Aid Kit; Radical Face; The Avett Brothers; The Felice Brothers; Gregory Alan Isakov; Great Lake Swimmers; The Head And The Heart; Old Crow Medicine Show; The Civil Wars; The Swell Season; Glen Hansard; Kevin Morby; Elliott Smith; Conor Oberst; Damien Rice; Typhoon; Bonnie 'Prince' Billy; Horse Feathers; Saintseneca; Jeff Tweedy; Wilco; Calexico; My Morning Jacket; The Decemberists; Noah And The Whale; Ennio Morricone
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