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Lisa Who - Ein neuer Beginn

Lisa Who- Ein neuer Beginn

The Shit / Zebralution
VÖ: 07.05.2021

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

German Angstlosigkeit

Die Welt der Neuen Deutschen Belanglosigkeit in Bild und Ton steckt voller Überraschungen. Der Rezensent staunte nicht schlecht, als er erfuhr, dass Matthias Schweighöfer inzwischen in Hollywood Zombie-Blockbuster mit Zack Snyder dreht. Und auch Lisa Whos Debüt "Sehnsucht" haute so manche aus den Latschen, die ob der Songtitel und der bisherigen Künstlerinnenkarriere den nächsten Radio-Schlager erwarteten. Als wollte sie jede gruselige Implikation des Begriffs "Madsen-Keyboarderin" in die Stratosphäre schießen, haute die gebürtige Berlinerin ein kleines Meisterwerk psychedelisch-progressiver Popmusik raus. Mit einem solchen Überwältigungseffekt kann das zweite Album "Ein neuer Beginn" logischerweise nicht mehr punkten, doch beeindruckt es weiterhin, wie unbeirrt Lisa Who ihr Ding durchzieht. Den titelgebenden Neustart lebt sie schon mit der Gründung ihres eigenen Labels The Shit vor, nachdem die Zusammenarbeit mit der Metal-Bude Arising Empire nur eine Platte lang andauerte. Auch musikalisch klopft sie – gemeinsam mit den Produzenten Sebastian Madsen und Tobias Siebert – neue Ideen aus ihren Art-Pop-Entwürfen, die ihre künstlerische Identität weiter ausdifferenzieren.

So eröffnet der Titeltrack das Album ungewohnt direkt, zündet rasch ein grelles Synth-Feuerwerk, dem die Pyrotechnikerin auch textliche Raketen hinterherschickt. Ihre Trademarks hat Lisa Who dabei nicht verlernt: kunstvolle Arrangements in Verbindung mit unaufdringlichem Gesang aus der Judith-Holofernes-Schule unpeinlicher Sentimentalitäten. Da verzeiht man gerne, dass jener Opener seine Weltumarmungsmelodie aus dem Flaming-Lips-Stück "Do you realize??" geborgt hat, trägt die Pink-Floyd-Bewunderin ihre Referenzen sowieso immer offen auf dem Ärmel. Was freilich nicht bedeutet, dass "Ein neuer Beginn" zur reinen Nummernrevue verkommt, setzt es die bekannten Steine stets zum ganz eigenen Mosaik zusammen. Mit stoischem Bass-Motor pumpt "Leichtigkeit" vorwärts, ein Trip durch die nächtliche Wüste, in deren Dunkelheit unscharfe Klänge lauern. Plötzlich bricht ein titelgerecht luftiger Midtempo-Refrain hinein, nur damit sich die Szenerie fortsetzt, als sei nichts gewesen. Auch der famose Siebenminüter "Er hat mich wieder nicht gesehen" lässt Americana-Rock, Konserven-Orchester und Radioheadsche Schattentänze aufeinanderfolgen, ehe alle Elemente in ein kathartisches Finale zusammenfließen.

Die im Vergleich zum Vorgänger fast doppelte Spielzeit nutzt Lisa Who, um Wagnisse einzugehen und in den unterschiedlichsten Ästhetiken zu brillieren. "I sat by the ocean", sang einst Josh Homme, "Weit wie die See" geht seine Epigonin, um mit stark verzerrten Saiten ihre eigene Indie-Stoner-Disco hochzuziehen. Das kuntergraue Trennungslied "Glücklich ohne Dich" klingt, als hätte sich Lana Del Rey ein Deutschbuch und ihr Drummer ein paar Aufputschmittel reingezogen. Wenn dann auch noch "Lichtgestalt" – leider keine Hommage an den legendären Plattentests.de-Forumsmoderator – mit Funk-Licks und komplexer Percussion die Balance zwischen Bewegung und Anspruch findet, ist alles klar. Nicht jede dieser 56 Minuten mag auf dem allerhöchsten Niveau zupacken, doch Lisa Who beweist, wie inspiriert, stilistisch divers und atmosphärisch dicht alternativer deutschsprachiger Pop klingen kann – und im Fall der atemberaubend schönen instrumentalen Coda der Folk-Ballade "In der Natur" ist auch international nicht mehr viel Luft nach oben. Wenn jetzt noch der Mark-Forster-Gitarrist seinen inneren John McLaughlin entdeckt, schafft's der Schweighöfer wahrscheinlich auch zu David Lynch.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Er hat mich wieder nicht gesehen
  • Glücklich ohne Dich
  • In der Natur

Tracklist

  1. Ein neuer Beginn
  2. Leichtigkeit
  3. Lichtgestalt
  4. Er hat mich wieder nicht gesehen
  5. Müde am Mehr
  6. Weit wie die See
  7. Glücklich ohne Dich
  8. Mutter
  9. Nicht wahr
  10. In der Natur
  11. Freundschaft
  12. Ich komme mit, ich bin dabei

Gesamtspielzeit: 56:07 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Vive

Postings: 517

Registriert seit 26.11.2019

2021-05-12 15:44:20 Uhr
und was hat diese musik jetzt mit kate bush zu tun? wo ist der mut, die originalität, die kreative wut? ich hör hier nur gäääääääähhn

Yndi

Postings: 316

Registriert seit 23.01.2017

2021-05-11 10:15:47 Uhr
Liebs. Richtig gute Scheibe, die mehr Aufmerksamkeit verdient hat.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2021-05-05 21:13:12 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2021-03-02 19:53:34 Uhr - Newsbeitrag
Lisa Who – Ein neuer Beginn
VÖ:07.05.2021
Label: The Shit Reords
LC: 96344
Vertrieb: Zebralution

Alles, was wir haben, ist Jetzt. Ein Gedanke, über den man im Angesicht der aktuellen Weltlage schnell mal ins Taumeln geraten kann. Lisa Who versucht dieser Erkenntnis positiv zu begegnen und schreibt mit ihrem zweiten Album „Ein neuer Beginn“ ein Plädoyer fürs Mutigsein. Denn Mut, den brauchte man 2020 als Indiekünstlerin.

Mutig war auch der Schritt, sich von ihrem Label Arising Empire zu trennen und ihr zweites Album nun auf ihrem eigenen, frisch gegründeten Imprint The Shit Records im Alleingang herauszubringen.



„Ein neuer Beginn“ ist genau das und zum Glück doch keine komplette Abkehr von Lisa Whos früherem Sound. Einzelne Fäden aus ihrem psychedelischen Debüt „Sehnsucht“ (2017) spinnen sich hier hörbar fort. Die von Pink Floyd, Warpaint und Air gleichermaßen inspirierten, zeitlupenartigen Instrumentalparts etwa, die playlistenoptimierte Songformate konsequent sprengen. Lisa Who nimmt sich Zeit, ihre Songs zwischen kosmischem Prog-Rock, sphärischem Indie und eingängigem Deutschpop eindrucksvoll zu entwickeln. Gewohnt zart konterkariert ihr melancholisch-verträumter Gesang dabei die mächtige wall of sound. Doch in einigen tanzbaren Up-Tempo-Momenten zeigt Lisa Who auch neue Facetten von sich, etwa die ausgelassene Live-Performerin, die sie als Keyboarderin der Band Madsen herauslassen kann. „Ein neuer Beginn“ ist Gegenwartsbewältigung ohne Eskapismus. Denn alles, was wir haben, ist Jetzt.



Eine zentrale Figur während dieses künstlerischen Selbstfindungsprozesses war ihre Begegnung mit Sebastian Madsen, Sänger der gleichnamigen Band. Er holte sie 2010 als Keyboarderin in die Band und damit auf die große Live-Bühne, wo sie hingehört. In Sebastian Madsen hat Lisa Who einen musikalischen Seelenpartner gefunden, mit dem sie bis heute als Produzent ihrer Musik zusammenarbeitet. Denn obwohl Lisa Who als Sängerin, Songwriterin und Performerin das kreative Zepter hinter ihrer Musik nie aus der Hand gibt, ist sie doch keine One-Woman-Show.



Auch auf „Ein neuer Beginn“ hat Sebastian Madsen neben Tobias Siebert (Klez.e, And The Golden Choir), als Produzent mitgearbeitet. Entstanden im Madsen-Studio im Wendland und im Kreuzberger Studio von Siebert, fügen sich Lisa Whos lyrisches Songs zwischen treibenden Beats, bombastischen Rockgitarren und detailverliebten Produktionsspielerein mit alten Synthies und analogen Bandmaschinen organisch zu einem facettenreichen Kaleidoskop zusammen. Auch wenn „Ein neuer Beginn“ im Gegensatz zu „Sehnsucht“ bewusst kein Konzeptalbum sein will, ziehen sich doch inhaltlich wie musikalisch deutliche roten Faden durch das Album.
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