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Iceage - Seek shelter

Iceage- Seek shelter

Mexican Summer / Al!ve
VÖ: 07.05.2021

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Schlammwein

Wie klingt eigentlich ein typischer Iceage-Song? Gar nicht so einfach zu beantworten, zertrümmern die Dänen mit ihrer Entwicklung vom kaputten Hardcore-Punk zum windschiefen Orchester-Noise-Pop jede leichtfertig gezimmerte Schublade mit Leidenschaft. Die Unvorhersehbarkeit hat System, schließlich könnte nach Frontmann Elias Bender Rønnenfelt seine Band ohne gar nicht bestehen: "If there's no sense of mystery in it for us, then it's not fun." Dementsprechend überrascht es so gar nicht, wenn das fünfte Album "Seek shelter" mit einem weiteren Diskografie-Novum namens "Shelter song" beginnt: Pavement-Ballade in den Strophen, hymnischer Britpop im Refrain, akzentuiert von Gospel-Chören und Slide-Gitarren. Iceage bewegen sich weiter in Richtung aufwändig arrangierten Wohlklangs, ohne dabei die textlichen Schlagringe auszuziehen: "They kick you when you're up / They knock you when you're down."

Rønnenfelt und seine Jungs spucken also immer noch Blut und haben trotz weiterer Annäherung an uramerikanische Musiktraditionen natürlich nicht die Kernelemente ihres Schaffens vergessen: Krach und Rausch. Der Indie-Disco-Pumper "Vendetta" schichtet sich einen regelrechten Gletscher of Sound zusammen, der vor den eigenen Augen wegschmilzt – und dabei ein paar Gewaltplastiken zurücklässt, die nicht gerade einladend die Arme ausbreiten: "This ain't no place for a sightseer." Sky Ferreira muss dieses Mal nicht als Sparringspartnerin herhalten, dafür haben sich Iceage mit Pete Kember (Spacemen 3) einen namhaften Produzenten angelächelt, der für zwei Tracks noch das Lisboa Gospel Collective ins portugiesische Studio geholt hat. Dass jener Ort mit einer undichten Decke zu kämpfen hatte und die Aufnahmen um Regeneimer herum stattfinden mussten, hat den Fünfer selbst vermutlich wenig gestört. Eine sumpfigere Post-Punk-Band muss diesseits des Atlantiks schließlich noch gefunden werden.

Wenn man das noch Post-Punk nennen kann. Das famose "High & hurt" galoppiert zwar mit Schaum vorm Mund nach vorne, verwurstet nach dem Zusammenbruch mit Percussion- und Saiten-Flimmern jedoch den Gospel-Standard "Will the circle be unbroken?" zur Hook. In "Love kills slowly" versuchen Verstärker und verschleppte Drums zu unterlaufen, was Rønnenfelt zur Halbballade mit Streichern, Piano und Chor formen will. Singen kann der 29-Jährige freilich immer noch nicht, doch beziehen seine Melodieversuche genau daraus ihren Reiz – und wie viel Herzblut er für Soul am Rande des Totalkollapses übrig hat, weiß man seit seinem Nebenprojekt Marching Church sowieso. Im Kontext der Platte wirkt er noch mehr wie ein Jesus, der Schlamm in Wein verwandelt und dafür sorgt, dass seine Schäfchen ganz sicher nicht im Trockenen bleiben. Und dennoch scheint "Seek shelter" nicht länger die Apokalypse vertonen zu wollen, sondern zieht mit seinen verstärkten Country-Einflüssen das titelgerechte Refugium davor hoch.

Klar, dass diese Schutzhütte schon ein paar Risse hat – da kann auch die Mundharmonika nicht über hinwegtäuschen, die in "Gold city" das marode Arrangement zu kitten versucht. Auch "Dear Saint Cecilia" lässt es an allen Ecken so quietschen und knarzen, dass die Roadhouse-Bühne dieser wüsten Uptempo-Nummer unter ihr einzubrechen droht. Wenn dann noch "The wider powder blue" die ganz schwere Bläser-Geste auspackt, schimmelt jede Bodendiele schon mal prophylaktisch von selbst durch. Die Intensität eines Meisterwerks wie "Plowing into the field of love" erreichen Iceage im neuen Prärieprediger-Gewand nicht mehr, doch das eingangs erwähnte Postulat des Mysteriums bleibt bestehen. Davon legt vor allem der faszinierend-unheimliche Closer "The holding hand" Zeugnis ab, der sich vom körperlosen Klopfen zur Nick-Cave'schen Ekstase hochschaukelt. Die Frage nach dem typischen Iceage-Song sorgt nach Abklingen des letzten Tons für noch mehr Ratlosigkeit als ohnehin schon.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • High & hurt
  • Dear Saint Cecilia
  • The holding hand

Tracklist

  1. Shelter song
  2. High & hurt
  3. Love kills slowly
  4. Vendetta
  5. Drink rain
  6. Gold city
  7. Dear Saint Cecilia
  8. The wider powder blue
  9. The holding hand

Gesamtspielzeit: 41:29 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Monzo

Postings: 113

Registriert seit 22.02.2021

2022-01-25 09:55:12 Uhr
Gute Livesession!
https://youtu.be/47AaDPm2Fp4

saihttam

Postings: 2271

Registriert seit 15.06.2013

2021-11-24 00:31:06 Uhr
Bin mir mit meinem abschließenden Urteil zu diesem Album irgendwie noch unsicher. Schon das hitlastigste und eingängigste Album der Band. Mir fehlt manchmal ein wenig die Abgründigkeit früherer Werke. Aber die ist ja trotzdem immer wieder rauszuhören wie in Vendetta oder im Abschlusstrack, nur nicht mehr so vordergründig. Aber diese Entwicklung hat sich ja auch schon auf dem Vorgänger abgezeichnet. Und so beschwingte Sachen wie Drink Rain sind trotzdem immer noch auch irgendwie schräg. Vom Mainstream ist das schon noch weit entfernt. Könnte mir höchstens Shelter Song im Radio vorstellen. Was eine Hymne! Macht schon Spaß insgesamt, aber ich weiß nicht so richtig, welche Emotionen es in mir anspricht.

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 30773

Registriert seit 07.06.2013

2021-07-08 17:49:06 Uhr
"High & Hurt" ist sogar noch besser als der Opener. Aber brauchte alles bei mir etwas bis auf Track 1.

noise

Postings: 943

Registriert seit 15.06.2013

2021-07-03 17:54:28 Uhr
Bislang 2 mal gehört. Erst fand ich sie wirlich interessant und gut. Dann etwas lahm und langweilig. Muss der Scheibe wohl noch ein paar Durchläufe geben.

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 30773

Registriert seit 07.06.2013

2021-06-30 20:00:21 Uhr
Hat bis auf die ersten beiden Sobgs etwas gedauert aber inzwischen echt für mich ein sehr gutes Album. Echt ne irgendwie eigene Band. 7,8/10 bisher...
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