Julia Stone - Sixty summers

BMG / Warner
VÖ: 30.04.2021
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Tanz Dich raus
"So I left and started dancing under the street light." Die ersten Worte auf "Sixty summers" lassen sich programmatischer deuten, als sie vermutlich gemeint waren. Seit sie mit ihrem Bruder Angus mittelgroße Wellen in der Indie-Szene schlägt, scheint Julia Stones Stimme wie verwachsen mit flüchtigen Folk-Arrangements, kennt kaum eine andere Assoziation als postkartenreife Naturidylle. Doch weil künstlerische Schubladen dazu da sind, auf den Sperrmüll geworfen zu werden, macht Stones drittes Soloalbum alles anders. Gemeinsam mit Annie Clark (besser bekannt als St. Vincent) und Thomas Bartlett (nicht unbedingt besser bekannt als Doveman) nahm sie sich eine halbe Dekade lang Zeit, um einen, wie sie ihn selbst nennt, freien Schaffensprozess zu genießen. Das Ergebnis rekontextualisiert ihren Gesang auf reizvolle Weise, tanzt wahrlich mitten auf den nächtlichen Straßen Sydneys in einem brandneuen Glitzerkleid aus Disco-Bläsern und urbanem Elektro-Pop.
Zu Beginn gelingt das formidabel. In "Break" torkelt Stone herrlich beiläufig an Afrobeats und ebenso beschwipsten Saxofonen vorbei, ehe eine St.-Vincent-Gitarre die Szenerie durchfegt. Ein grandioser, gar an Talking Heads erinnernder Opener, catchy und eigensinnig gleichermaßen. Doch nur zwei Songs später verspürt die Australierin plötzlich Sehnsucht nach ihrer Komfortzone. Mit behutsamen Melodiebögen streichelt sie die Porzellanballade "We all have" und holt sich mit The Nationals Matt Berninger den männlichen Bariton-Konterpart dazu, den Angus mit seiner der Schwester ähnlichen Sanftheit nie so recht ausfüllen konnte. Doch leider steht dieses etwas dröge Stück, in dem die Duettierenden ohne wirkliche Chemie nebeneinander herlaufen, sinnbildlich für die Versäumnisse der Platte. So ungezwungen Stone hier tatsächlich rüberkommt, hätte man sich von ihr noch ein bisschen mehr Mut, Radikalität und Exzess gewünscht.
Zu gut zwei Dritteln ist "Sixty summers" dennoch ein wirklich gutes Pop-Album. Ob "Fire in me " mit dramatischen Konservenstreichern und bluesigem Bassriff nach vorne stampft, "Free" geschmackvoll die Retro-Discokugel aufhängt oder sich "Who" an UK Garage und 2-Step annähert: Die 37-Jährige probiert viel aus und gibt überall eine gute Figur ab. Da lässt es sich verschmerzen, wenn auch immer noch bedauern, dass sie die Stilvielfalt größtenteils in herkömmliche Pop-Formen gießt und dabei die eigene Persönlichkeit ein wenig untergeht – "Substance" könnte etwa auch 1:1 von Lorde stammen. Das eine oder andere Fragezeichen bleibt selbst im Rausch der Bewegung noch stehen. Wo genau ist abgesehen vom Eröffnungstrack noch Clarks Einfluss herauszuhören? Und haben die 50 mit Bartlett aufgenommenen Demos wirklich kein spannenderes Material als die späten Schnarcher "Heron" und "Unreal" abgeworfen?
Abgesehen von diesen beiden funktionieren jene Stücke, die den ruhigen Gestus von früher in den neuen Sound einbetten, allerdings wunderbar. Der Titeltrack gleitet elegant und trompetenbegleitet durch seine funkelnden Achtziger-Wolken, während der Soul-Schleicher "Queen" Stone zu einem der besten Refrains ihrer Karriere motiviert. Das introvertierte "I am no one" setzt die Synths schließlich nur noch als Akzente zwischen Akustikgitarre und Klopf-Percussion – ein stimmungsvoller Abschluss, würde danach nicht noch die angepappte halbfranzösische Version des ohnehin schon nervigen "Dance" folgen, dem nach Lana-Del-Rey-mäßigen Spoken-Word-Strophen nicht mehr viel einfällt. Julia Stone hat sich endgültig von allen Erwartungshaltungen emanzipiert, doch muss sie für manche Momente ihres musikalischen Befreiungsschlags leider noch mit sich alleine tanzen. Aber das war ja von Anfang an der Plan.
Highlights
- Break
- Sixty summers
- Queen
Tracklist
- Break
- Sixty summers
- We all have (feat. Matt Berniger)
- Substance
- Dance
- Free
- Who
- Fire in me
- Easy
- Queen
- Heron
- Unreal
- I am no one
- Dance (French version)
Gesamtspielzeit: 43:51 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 24608 Registriert seit 08.01.2012 |
2021-04-21 20:30:05 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
Gomes21 Postings: 4583 Registriert seit 20.06.2013 |
2021-01-30 22:21:53 Uhr
Ja, das featuring hat mich kurz gecatcht, aber den Song finde ich ehrlichgesagt sterbenslangweilig. Bisher zumindest.Was macht der Angus eigentlich? Immer noch Dope Lemon? |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 24608 Registriert seit 08.01.2012 |
2021-01-29 23:29:10 Uhr
‚Julia steht für Interviews zur Verfügung‘Ups, das sollte da nicht drin stehen, entferne ich jetzt noch. Dafür hätte das hier drin sein sollen: |
Garmadon Postings: 489 Registriert seit 29.08.2019 |
2021-01-29 22:19:21 Uhr
https://www.youtube.com/watch?v=b_4ZTHLvKO8 |
musie Postings: 3577 Registriert seit 14.06.2013 |
2021-01-29 19:57:02 Uhr
‚Julia steht für Interviews zur Verfügung‘Endlich mal ein guter Pressetext! Die beiden akustischen Versionen der neuen beiden Singles auf der letzten EP sind grossartig. |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Lorde; Florence + The Machine; Jessie Ware; Haim; Lykke Li; Charlotte Gainsbourg; Hayley Williams; La Roux; Robyn; Ellie Goulding; Annie; Shura; Goldfrapp; Lily Allen; Benee; Dua Lipa; Carly Rae Jepsen; Aluna; Disclosure; Belle & Sebastian; The Staves; Emilíana Torrini; Boy; Sophie Hunger; Bat For Lashes; Sharon Van Etten; Torres; Marika Hackman; St. Vincent; Talking Heads; Anna Ternheim; Lisa Hannigan; She & Him; Cat Power; Angus & Julia Stone
Surftipps
- https://juliastone.com.au/
- https://de.wikipedia.org/wiki/Julia_Stone
- https://en.wikipedia.org/wiki/Julia_Stone
- https://www.facebook.com/JuliaStoneOfficial/
- https://twitter.com/juliastonemusic
- https://www.instagram.com/juliastone__
- https://www.last.fm/music/Julia+Stone
- https://www.discogs.com/de/artist/720262-Julia-Stone
- https://soundcloud.com/juliastoneofficial
- https://www.youtube.com/channel/UCHsfoPOD2zz3ogtONTjHrvw
- https://www.allmusic.com/artist/julia-stone-mn0001626380
- https://musicbrainz.org/label/5cc19d2e-7a71-4a6d-8ef8-d72ecb 98a580
- https://rateyourmusic.com/artist/julia_stone
- https://genius.com/artists/Julia-stone
- https://www.songkick.com/artists/5257973-julia-stone
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Plattentests.de-Forum
- Angus & Julia Stone - Life is strange (5 Beiträge / Letzter am 16.09.2021 - 15:05 Uhr)
- Julia Stone - Sixty summers (7 Beiträge / Letzter am 21.04.2021 - 20:30 Uhr)
- Angus & Julia Stone - Angus & Julia Stone (80 Beiträge / Letzter am 25.01.2021 - 16:52 Uhr)
- Julia Stone - Neues Album? (5 Beiträge / Letzter am 04.09.2020 - 14:18 Uhr)
- Angus & Julia Stone - Snow (25 Beiträge / Letzter am 08.06.2018 - 18:42 Uhr)
- Angus & Julia Stone - Down the way (19 Beiträge / Letzter am 14.02.2014 - 06:51 Uhr)
- Angus & Julia Stone - A book like this (18 Beiträge / Letzter am 08.03.2013 - 17:44 Uhr)
- Julia Stone - By the horns (5 Beiträge / Letzter am 05.06.2012 - 10:48 Uhr)
- Julia Stone - The Memory Machine (7 Beiträge / Letzter am 25.10.2011 - 11:33 Uhr)