International Music - Ententraum
Staatsakt / Bertus / Zebralution
VÖ: 23.04.2021
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Luzider Eskapismus
Der kurze Moment des Aufwachens nach einem Traum mitten in der Nacht – wahlweise schweißgebadet oder einfach nur verwirrt – kommt wohl im irdischen Leben der Illusion einer Existenz zwischen zwei Welten am nächsten. Peter Rubel, Pedro Goncalves Crescenti und Joel Roters widmen sich auf dem zweiten Album "Ententraum" ihres Projekts International Music diesen nirgends zu verortenden Szenen, die sich nachts irgendwo im stillen Jenseits des Bewusstseins abspielen. Dabei entsteht ganz bewusst kein durchgängiger roter Faden, sondern ein Sammelsurium von losen Erzählsträngen, Momentaufnahmen und seelischen Abgründen. Eine Traumreise, die ihre Gäste von Ort zu Ort durchs Nichts führt.
Da wäre zum einen die Sehnsucht, denn wenn sich "Wassermann" inmitten von Fabelwesen, hymnischen Achtziger-Gitarrenläufen und einem simplen Klimperklavier sehnsüchtigen Gedanken widmet, hinterlässt das bleibende Spuren: "Dein Herz schlägt immer für mich / Mein Herz schlägt immer für Dich / Und dann schau ich Dich an." Dass Zufluchtsorte hier jedoch nicht immer in der Meta-Ebene lauern, zeigt das zunächst schüchterne "Beauty of the bar", das sich als Liebesode an die Stammkneipe mit Zeilen wie "Wenn Du hinfällst, helfe ich Dir aufzustehen / Wenn Du auf Krücken läufst werde ich langsam gehen" zunächst liebesgetränkt gibt, um gegen Ende den sich androhenden Vollsuff in einem schrägen Outro zu zelebrieren. Im Opener "Fürst von Metternich" breiten International Music einen Klangteppich aus, der sich wie ein Sprung auf eine saftige grüne Wiese anfühlt. Irdisches Zwitschern und Knistern trifft hier auf erzählerische Schnipsel, die sich im Verlauf zu einem widerspenstigen, surrealen Narrativ zusammentun und Ängste offenbaren. "Ich sollte Sie warnen, vor Gefahren im Schlaf."
Gefahren, die sich auf "Ententraum" vor allem in der Verabeitung zwischenmenschlicher Verzweiflung äußern und an dunkle Orte führen. Im schwermütigen "Erosion Korrosion" wird bitterlicher Liebeskummer in flüchtigen, abstrakten Momentaufnahmen ausgedrückt. "So fängt es an / Danach eine Pause / Und dann fängt es wieder an / Die Erosion meiner Lust / Ist die Korrosion unserer Liebe." Es sind solche Momente, die bei aller Verzweiflung auch den einzigen thematischen roten Faden auf "Ententraum" erahnen lassen – beispielsweise wenn das patzige, von düsteren Melodien geleitete "Museum" hier ansetzt und Gedanken an verlorene Zweisamkeit weiter ausschweifen lässt. "Weinen will ich nicht / Das befeuchtet mein Gesicht zu sehr."
Den niederschmetternden Bildern stehen jedoch auf dem Album auch viele jener Momente entgegen, die sich voll und ganz der fiktiven Natur eines wilden Traums hingeben. Dabei entstehen immer wieder wundervoll entrückte Hymnen wie "Insel der Verlassenheit", "Dschungel" und "Immer mehr", die pointierte Instrumentals, fesselnde Spannungsbögen und obskure Lyrics mit Leichtigkeit vereinen. Ins Schwimmen gerät die titelgebende Ente lediglich dann, wenn in Stream-of-consciousness-Zwischenspielen wie beispielsweise "Marmeladenglas", "Die Höhle der Vernunft" oder auch "Der Traum der Ente" der Bogen ein wenig überspannt wird und das Traumwandeln droht, ins Chaos abzudriften. Ein Traum, der irgendwo anfängt, irgendwo endet und zwischendrin irgendwie existiert. "Die Insel der Verlassenheit hab ich im Traum gesehen." Was genau sich dort abspielt, bleibt wohl ein Geheimnis. Und waren die letzten sechzig Minuten überhaupt real?
Highlights
- Fürst von Metternich
- Wassermann
- Insel der Verlassenheit
- Dschungel
Tracklist
- Fürst von Metternich
- Die Höhle der Vernunft
- Wassermann
- Erosion Korrosion
- Spiel Bass
- Museum
- Insel der Verlassenheit
- Zucker
- Misery
- Kopf der Band (Pedros Version)
- Marmeladenglas
- Beauty of the bar
- Raus ausm Zoo
- Immer mehr
- Der Traum der Ente
- Dschungel
- Los Angels
Gesamtspielzeit: 63:37 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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n00k Postings: 181 Registriert seit 26.01.2021 |
2023-11-16 00:32:34 Uhr
Nur 6/10 ... die größte Skandalwertung seit Reamonn :D |
VelvetCell Postings: 6453 Registriert seit 14.06.2013 |
2022-05-06 10:13:07 Uhr
Ein fantastisches Album immer noch und ich freue mich auf das Konzert in Kürze. |
boneless Postings: 5293 Registriert seit 13.05.2014 |
2022-05-05 21:59:57 Uhr
Gestern live in der fast ausverkauften Groovestation. Es war ein Spaß, die Band gut gelaunt, das Publikum euphorisch. Mit Wassermann, Höhle der Vernunft und Zucker gabs meine 3 Favoriten gleich zu Beginn, aber auch der Rest des Sets war aller Ehren wert. Schlussendlich spannend, da IM auf dem Papier Musik spielen, die furchtbarer nicht klingen könnte. Aber auf Platte so wie Live und in Farbe unterhält das einfach zu gut, als das man diesem Trio ernsthaft böse sein könnte. |
Lateralis84skleinerBruder Postings: 757 Registriert seit 03.03.2019 |
2022-01-04 10:55:43 Uhr
Später im Jahr unternahm ich eine Kopfhörersession, es war vielleicht der 35. Durchlauf des Albums….da schälte sich bei „Immer mehr“ eine Welt frei, die mir vorher verschlossen war.Für mich - neben vielen anderen Highlights - der mittlerweile beste Song auf dem Album |
Lateralis84skleinerBruder Postings: 757 Registriert seit 03.03.2019 |
2022-01-04 10:41:09 Uhr
Ich möchte diesen Moment nutzen, um die Rhythmussektion zu feiern. Wenn nach dem ersten Break der Basslauf mit dem Rhythmus-Ei wieder einsetzt ist grooviges Gold in meinen Ohren. Hat noch jemand von euch die Release Show auf Youtube gesehen? Die Band saß im Makroscope in Mülheim und wurde visuell vom Team des Ladens begleitet. Bin super spät dazu gekommen, quasi erst bei Traum der Ente. Die Umsetzung des folgenden Dschungel hat mich in der Liebe zu meinem Album des Jahres tief beeinflusst. Danach folgte ein vollständiger Durchlauf auf Platte. |
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Referenzen
The Düsseldorf Düsterboys; Die Türen; Der Mann; Albrecht Schrader; Botschaft; Die Heiterkeit; Die Kerzen; Tocotronic; Schnipo Schranke; Die Regierung; Ducks On Drugs; Die Höchste Eisenbahn; Niels Frevert; Olli Schulz; Enno Bunger; Gisbert zu Knyphausen; Max Prosa; Ja,Panik; Stella Sommer; The Screenshots; Agnes Obel; Fortuna Ehrenfeld; Tele; Element of Crime; Mia.; The Jesus And Mary Chain; Helge Schneider; Erregung Öffentlicher Erregung; Wir Sind Helden; Drangsal; Bonaparte; Helge Schneider; The Beach Boys
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