Årabrot - Norwegian gothic
Pelagic / Cargo
VÖ: 09.04.2021
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
In der Besserungsanstalt
Gerade noch mal gutgegangen: Viel hätte nicht gefehlt, und der selbstbetitelte 2013er-Longplayer wäre Årabrots letzter gewesen. Ein Jahr später wurde bei Frontmann Kjetil Nernes ein Rachenkarzinom festgestellt – womit satanische bis blasphemische Anrufungen wie "Throwing rocks at the devil" oder "Madonna was a whore" und auch die fäkale Ausrichtung von "Solar anus" schnell in den Hintergrund rückten. Auf einmal hieß das Arschloch Krebs, und der inzwischen geheilte Norweger nahm die lebensbedrohliche Erfahrung zum Anlass, Årabrot neu aufzustellen. Mit zusehends philosophischen Inhalten, musikalischen Mitteln jenseits von geschwärztem Sludge-Metal und Noise-Rock und seiner Frau Karin Park als festem Bandmitglied. Denn auch die kennt nicht erst seit der mächtigen Elektro-Pumpstation "Apocalypse pop" die unheilvollen Seiten des Daseins.
Da liest sich der Titel des neunten Albums fast wie ein Mission Statement – doch statt auf Tod, Teufel und Toilettentieftaucher konzentriert sich das Duo wie beim Vorgänger "Who do you love" ganz auf das dunkle Herz des Rock'n'Roll. Zwar zitiert "Norwegian gothic" nicht Bo Diddley und enthält keine Coverversion des traditionellen Spirituals "Sinnerman" im Geiste von Nina Simone, lässt aber nie einen Zweifel daran, dass es sich hier um eine zutiefst existenzialistische Rock-Platte handelt, die keiner stilistischen Einengung bedarf, um zu faszinieren. Wie zum Beweis täuscht "Carnival of love" zu Beginn ein verhuschtes "Paranoid"-Riff an, ehe "The rule of silence" einen schleifenden Post-Punk-Groove vor sich hertreibt, zu dem die Gitarren in hypnotischen Taumel verfallen. Entfesseltes Geschrei? Eskalierende Growls? Haben Årabrot längst nicht mehr nötig.
Was auch an Karin Park liegt: Die Heuschreckenschwärme aus ihren Keyboards verleihen "Norwegian gothic" ebenso eine ungreifbare Entrücktheit wie ihre Vocals, die Nernes' kehliges Barmen in jenseitige Bewusstseinszustände überführen. Den Wachtraum "Hallucinational" bestreitet die Schwedin gar im Alleingang – eine Chimäre von einem Torch-Song, die etwa einen Meter über dem Rest schwebt. Zur perfiden Dramaturgie dieses Albums gehört jedoch auch , dass "(This is) the night" im Anschluss einen umso tosenderen Rocker abgibt – härter kickte zuvor nur "Feel it on" samt abgehobenem Uh-huh-Chor. Das Kraftpaket "The lie" würde ohne rhythmische Sollbruchstellen zur Hymne taugen, "Hailstones for rain" holt sich an Rotor-Bass und bohrendem Orgel-Motiv eine blutige Nase. Störrische Hits, bei denen jeder Dämon mit den Zähnen knirscht.
Doch der Teufel liegt auf "Norwegian gothic" ohnehin im (Zwischen-)Menschlichen: "Kinks of the heart" referiert mit metallischen Power-Eruptionen über tiefe seelische Schrammen, mit "Hard love" legen Nernes und Park ein kantiges Duett über die stachlige Seite von Beziehungen als emotionale Besserungsanstalt hin – so grimmig wie nötig und so tröstlich wie möglich. Erst danach beginnt dieses Album auseinanderzufallen: Schon der verbreakte Doom-Bolzen "Hounds of Heaven" hat mit Gleichlaufschwankungen zu kämpfen, und im siebenminütigen Improvisations-Erdwurm "The moon is dead" tröten auch die von Motorpsycho und Jaga Jazzist rekrutierten Gastmusiker aus dem vorletzten Loch. Kalkulierte Unschärfen, die dieser meist kompakten und tödlich präzisen Stunde nichts anhaben können – Årabrot bleiben ungemütlich. Sie können gar nicht anders.
Highlights
- The rule of silence
- The lie
- Hailstones for rain
- Hard love
Tracklist
- Carnival of love
- The rule of silence
- Feel it on
- The lie
- The crows
- Kinks of the heart
- Hailstones for rain
- The voice
- Hallucinational
- (This is) the night
- Hard love
- Impact heavily on the concrete
- Hounds of Heaven
- Deadlock
- The moon is dead
- You're not that special
Gesamtspielzeit: 56:57 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Klaus Postings: 9621 Registriert seit 22.08.2019 |
2022-12-02 15:16:45 Uhr
Karin Park hat mit "private Collection" übrigens noch ein Album mit Neuverfassungen eigener Songs herausgebracht. Da sind ebenfalls 2-3 Perlen dabei, wie z.b. Tokyo by night |
MasterOfDisaster69 Postings: 980 Registriert seit 19.05.2014 |
2022-12-02 15:15:03 Uhr
Oh, Danke.Da werde ich dann mal bei Coil reinhoeren... |
NOK Postings: 262 Registriert seit 04.10.2018 |
2022-12-02 15:12:04 Uhr
"Going Up" ist der Abschluss von "The Ape of Naples", einem (einige sagen: DEM) Meisterwerk von Coil. Ordentliche Bearbeitung von Årabrot, auch wenn ich meine liebe Mühe mit Karin Parks Darbietung habe. Und das bei allem technischen Können, das mir allerspätestens durch ihre letztjährige Lustmord-Kollabo aufgefallen ist. |
MasterOfDisaster69 Postings: 980 Registriert seit 19.05.2014 |
2022-12-02 14:28:57 Uhr
Mit der Heart – EP bringen Årabrot ein paar Coverversionen raus, durch unterhaltsam, wobei insb. das lange Stueck ‘Going Up’ eine Wahnsinns-Stimmung aufbaut und sofort gefaellt, obwohl keine Ahnung von wem das Original ist.Die Vinyl-Version in Form eines rosa Herzens ist schonmal ein Hingucker. |
testplatte Postings: 399 Registriert seit 13.06.2020 |
2021-05-31 09:31:35 Uhr
gehört derzeit auch zu meinen lieblingen, kann ich (fast) immer gut hören. ich mag gerade auch den sehr vertrauten 90er sound, das 'drama' in der musik und die - für meine hörgewohnheiten - eingängigkeit des albums. das vermittelt auf eine angenehme weise ein gemeinsames älter/altersweise-geworden-sein.bin auch bei 8/10, in besonders passenden momenten auch bei 9/10 |
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Referenzen
Nernes / Skagen; Grinderman; The Birthday Party; Nick Cave & The Bad Seeds; The Gun Club; Melvins; Swans; Neptunian Maximalism; Amenra; Thou; Emma Ruth Rundle; Red Sparowes; Marriages; Ides Of Gemini; Darkher; Myrkur; Esben And The Witch; Karin Park; Susanne Sundfør; Chelsea Wolfe; Mrs. Piss; Cranial; Mirrors For Psychic Warfare; Neurosis; Cult Of Luna; Mammoth Weed Wizard Bastard; Hey Colossus; Gallon Drunk; Crime & The City Solution; These Immortal Souls; Tom Waits; Wovenhand; Sixteen Horsepower; Iceage; Marching Church; The Icarus Line; Refused; The (International) Noise Conspiracy; Serena-Maneesh; Killing Joke; Beastmilk; Hexvessel; The Doors; Led Zeppelin; Kyuss; Brothers Of The Sonic Cloth; Big Black; Okkultokrati; Sumac; Old Man Gloom; Oranssi Pazuzu; Waste Of Space Orchestra; Isis; Sunn O))); Gnod; Young Widows; Wrekmeister Harmonies; Jaga Jazzist; Motorpsycho; Cult Of Youth; Death In June; Current 93; Coil; Nurse With Wound
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