Young Mountain - Infraröd
Through Love / Indigo
VÖ: 26.03.2021
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Ein Mittsommernachtsalbtraum
Ari Asters zweiter Horrorfilm "Midsommar" hat seine Zuschauer tief in die schwedische Provinz entführt, wo sie Zeugen davon werden konnten, wie ein heidnischer Opferkult amerikanische Touristen auseinandernimmt. Möchte man sich in die Angst und Befremdung einfühlen, welche die ahnungslosen Figuren wohl gespürt haben müssen, böte es sich an, den skandinavischen Landsmännern von Young Mountain zuzuhören. Auch deren Zweitwerk gibt sich zunächst zutraulich, zieht den Hörer dann aber zunehmends einen dunklen Abgrund herab, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt. Das Fiese: Dabei können die Musiker weiterhin stets freundlich lächeln – der versteckte Schrecken lauert im grellen Tageslicht.
Integrierten die Göteborger auf "Lost tree" ihre süßlichen, durchaus an handelsüblichem Indie geschulten Momente noch brav als klar abgegrenzte Inseln in zerfressene Blackgaze-Trümmer, formt "Infraröd" aus ihren verschiedenen Einflüssen nun ein vielköpfiges Monster. Die Selbstbezeichnung "atmospheric hardcore" trifft den Nagel auf den Kopf und gibt den Rahmen vor, in dem Young Mountain ungeniert in diversen Gehegen wildern und einige Schubladen aufreißen. So bietet "Lovely" in seinem kompakten Drei-Minuten-Format Futter für die Emo-Fraktion und mit seiner "Yeah, you bore me"-Zeile eine überraschende Eingängigkeit, die aber nicht fehl am Platze wirkt. "Wildfire" hingegen kredenzt pures Dreampop-Rauschen, als wäre es für diesen Song erfunden worden, lässt ihn aber in verzweifelten Todesschreien statt in schwebender Erlösung enden.
Die stellenweise aufkeimende Brutalität passt hübsch zum finster dreinblickenden Vierbeiner auf dem Cover – ist dieser Kater etwa der Bote einer finsteren Hexe aus den Tiefen des schwedischen Unterholzes? "Cherry knot" schleppt seine träge Soundwand den Weg des größten Widerstands entlang und schneidet sogar Spoken-Word-Schnipsel in das Durcheinander, bevor am Ende wieder alles krachend zerbricht. Immer wieder, besonders in "9406", verlieren Young Mountain sich im Post-Rock und lassen schwelgerischen Passagen freien Raum zur Entfaltung. Kami Kalantaris Gesang kippt mitunter gar ins Falsett, und es ist kaum vorstellbar, dass der Mann sich nur ein paar Minuten zuvor noch die Stimmbänder wundgeschrien hat, als ginge die Welt unter.
Als Hörer mag man irritiert sein, wenn das große Screamo-Drama sich immer wieder in Richtung Wohlklang verabschiedet. Oder einfach happy, wenn einem bewusst wird, welch diebische Freude der Drummer beim Eintrommeln von "Worm" empfunden haben muss. Den Hardcore-Ausbruch zu dessen Schluss lassen Young Mountain in einen Effekt münden, der wie ein freigelassener Hornissenschwarm klingt. Was könnte bedrohlicher wirken? In nur sechs Songs zelebriert das Quartett die Vielseitigkeit härterer Gitarrenmusik, drückt aber jedem seinen eigenen Stempel auf und kreiert ein in sich geschlossenes, wunderbar rundes Gesamtwerk. Sollte Ari Asters nächster Terrorfilm wieder in Schweden spielen, hätte er mit Young Mountain den passenden Soundtrack dazu gefunden. Vor allem, weil sie den Abgrund so schön einladend aussehen lassen können.
Highlights
- Cherry knot
- Worm
Tracklist
- Lovely
- Cherry knot
- Wildfire
- Worm
- Infraröd
- 9406
Gesamtspielzeit: 31:53 min.
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