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24/7 Diva Heaven - Stress

24/7 Diva Heaven- Stress

Noisolution / Soulfood
VÖ: 19.03.2021

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Lippenstift aufs Maul

Es ist leider kein Geheimnis, dass die globale Musiklandschaft streng von männlichen Künstlern dominiert wird. Nicht zuletzt die großen Festivals wie Leeds und Reading gerieten deswegen vor gar nicht allzu geraumer Zeit in die Kritik, verfügte doch nur ein verschwindend geringer Prozentsatz aller gebuchten Acts über weibliche oder nicht-binäre Musiker*innen. 24/7 Diva Heaven aus Berlin haben von dieser Schieflage die Schnauze voll. Sie bedienen sich am heiligen Gral der feministischen DIY-Bewegung, dem Riot Grrrl, übertragen dessen Ästhetik und Sound von der US-Westküste der Neunziger in hiesige Gefilde und das Jetzt, und prangern eingangs erwähnte Würstchenparty sowie andere Missstände an. Mit ordentlich Lärm, so wie es sich gehört. Style over substance also? Nein, eine blasse Kopie ihrer Idole oder gar bloß der nächste Auswuchs des seit Jahren behaupteten, unsäglichen Grunge-Revivals sind die drei Damen nicht, sondern haben ausnahmslos starke Songs am Start, sodass sie sich nicht bloß hinter dem Gestus und Habitus einer Kathleen Hanna oder Courtney Love verstecken müssen.

Klar, dass bei der klassischen Trio-Besetzung und dem kleinen Genre-Einmaleins der Spielarten – Powerchords an die Macht! – natürlich kein Prog-Rock herauskommt. Stattdessen wird im Rahmen der Möglichkeiten mitreißend mit Laut-Leise-Dynamik und ordentlich Fuzz und Feedback gearbeitet, wie exemplarisch in der Single "Bitter lollipop" festgehalten. Vor Eingängigkeit schreckt die Band trotz aller Hau-drauf-Attitüde nicht zurück, und manchmal verstecken sich gar Kinderlieder-Melodien im Getöse, wie im Opener "Potface". "Shamebath" oder "J.T." meistern den Balanceakt zwischen grungigem Krach und dicker Hook exzellent."Head on collision" hingegen mag für manche ein bisschen sehr dreist nach "Kool thing" von Sonic Youth klingen, ist vermutlich aber eine ehrliche Hommage, deren Offensichtlichkeit wohlüberlegt ist und zum Konzept gehört. Währenddessen freut Kim Gordon sich, dass die Kids im fernen Europa noch anständige Musik hören und sich davon inspirieren lassen.

Nach hinten raus trauen sich die drei Rebel Girls dann auch, die anfangs noch nervös über der Handbremse schwebende Rechte komplett zurückzuziehen und ihrem Kontrahenten (männlich, alt, weiß) stattdessen maximal unzimperlich mitten ins Gesicht zu zimmern. "Death to" groovt über eine waschechte Hardcore-Kante, bevor "Topped with cheese" auf Ramones-artigen 1-2-3-4-Punk setzt und die Machos dieser Welt endgültig auf die Matte schickt. Dabei liefern 24/7 Diva Heaven trotz aller Wut stets überzeugende Melodien, auch wenn sie, wie im schleppenden "Everyman", mal das Tempo herausnehmen. Der fröhliche Powerpop von "Everything sucks" könnte sogar von Dover geborgt sein, als die noch Gitarren hatten, und der passenderweise mit "Outro" betitelte Closer lässt zum Abschluss leise Melancholie zu. Trotz den eng abgesteckten Grenzen, die das Genre halt so mitbringt, ist für Abwechslung gesorgt, und Form und Inhalt finden auf "Stress" konsequent zusammen.

Außerhalb des Bandprojekts organisieren die Musikerinnen Jam-Sessions in ihrer Heimatstadt und sind Teil eines größeren Kollektivs, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, abseits der zum größten Teil in fester Männerhand steckenden Musikwelt anderen gesellschaftlichen Gruppen eine Bühne und die Chance zur Selbstverwaltung zu bieten. An der Schnittstelle von Musikmachen und Aktivismus sind sie dann ganz bei ihren Vorbildern. Ihr Debüt erreicht vielleicht nicht komplett die Intensität der musikalischen Stinkefinger, auf denen es basiert – man denke an "Pretty on the inside" oder "Pussy whipped" –, ist aber beileibe nicht zu glattgeschmirgelt. Es geht ums Prinzip, und sich den Pop oder zumindest eine Idee davon zu eigen zu machen, war auch seit jeher das Konzept vieler Grrrl-Bands. Auch wenn ihrem musikalischen Schaffen vielleicht noch der ausschlaggebende Schuss Eigenständigkeit fehlen mag: 24/7 Diva Heaven treten so lange heftig auf den Bigmuff, bis das Patriarchat zerfällt. Und das ist ja schließlich eh nur eine Frage der Zeit.

(Ralf Hoff)

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Highlights

  • Bitter lollipop
  • Everyman
  • Topped with cheese
  • Outro

Tracklist

  1. Potface
  2. Bitter lollipop
  3. Shamebath
  4. Everything sucks
  5. Head on collision
  6. Everyman
  7. J.T.
  8. Death to
  9. Topped with cheese
  10. White swamp
  11. Outro

Gesamtspielzeit: 39:04 min.

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Armin

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2021-03-17 19:52:04 Uhr - Newsbeitrag
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