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Black Country, New Road - For the first time

Black Country, New Road- For the first time

Ninja Tune / GoodToGo
VÖ: 05.02.2021

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Kollektives Vermögen

(. . .)

Wortlos beginnen Black Country, New Road ihr Debütalbum, als wollten sie sich Zeit nehmen für ihre Vorstellung. Schicht um Schicht erhöht das "Instrumental", dessen Name Programm ist, die Spannung und wartet mit einem feinen Ensemblespiel auf, das zu sagen scheint: Hier tritt keine gewöhnliche Rockband auf. Gitarre, Saxofon und Streicher wetteifern um die Melodieführung, tänzerisch synkopiert das Schlagzeug - die Jazz-Einflüsse sind nicht zu überhören. So mühelos wie bestimmt greift ein Rädchen ins andere, und der Eindruck entsteht, einem Kollektiv bei der Arbeit zu lauschen, das Warmspielen gar nicht nötig hat, um in Schwung zu kommen. Tatsächlich musizieren die drei Frauen und vier Männer aus London schon seit einigen Jahren miteinander und haben sich in der (Live-)Szene experimenteller Rockmusik, aus der nicht zuletzt Altersgenossen wie Black Midi stammen, einen Ruf erarbeitet, der mit "Geheimtipp" nicht ausreichend beschrieben wäre. "For the first time" ist also gleichermaßen Anfang und Destillat der ersten Schaffensphase; seine sechs Stücke präsentieren das Ergebnis strenger Komposition und Selektion aus dem Songkatalog des Septetts. Zwei Singles aus dieser Zeit finden sich in neuen Versionen auf dem Album wieder, die sich wie ein Donnerhall auf die Erwartungen an seine Urheber legen: "Athens, France" und "Sunglasses". Und dabei ist bislang ein wesentliches Charakteristikum der Band buchstäblich noch gar nicht zur Sprache gekommen.

Welcome to the best new six-part Danish crime drama.

Isaac Wood ist nämlich schon mit Anfang 20 ein begnadeter Erzähler. Mit Röntgenblick lässt er die Abgründe bürgerlicher Milieus sichtbar werden, während sein nervöser Bariton meist sprechend ihren Abglanz in allerhand emotionalen Verwüstungen sucht. Schlaglichter einer Pariser Romanze reihen sich in "Athens, France" aneinander, die von subtil eingeflochtenen Zweifeln an der eigenen sexuellen Potenz heimgesucht werden. Angespannter Math-Rock, der nicht nur hier an Slints "Spiderland" erinnert, bricht zweimal ab in einen grazilen Zwischenteil, in dem Violinen und Bläser die sanft wogenden Gitarren betören. Offen bleibt, ob Erleichterung oder Resignation ihr Grund sind.

Das unglaubliche "Sunglasses" leitet süffisant ein mit dem Hinweis auf skandinavische Krimiserien und verortet den Erzähler mit eindringlicher Gitarrenlinie in einer neuen Umgebung: dem luxuriösen Elternhaus einer Freundin. Im Gegensatz zum harten Spoken-Word-Stakkato der Single tritt Wood hier eher als wirrer Crooner auf. Was sich daraus entspinnt, wird musikalisch und textlich zum zehnminütigen Parforceritt, der seinesgleichen sucht. Just als er sich in die Perspektive des Vaters imaginiert, der – von würdevollen Bläsern flankiert – Stereotype über die britische Ingenieurskunst vom Stapel lässt, bricht die Fassade des Songs ironisch zusammen. Er zerfällt ins Chaos, verliert Rhythmus und Kontur, das Saxophon plärrt windschief drauflos, während Wood in elendes Wimmern verfällt: "I am so ignorant now with all that I have learned." Wie ein repetitives Riff danach die scheinbare Ordnung wiederherstellt und Kanye West dabei absolut keine Rolle spielen soll, rechtfertigt eine eigene Rezension. Natürlich ist das alles wahnsinnig klug konstruiert, mindestens genauso wichtig aber die affektive Wucht, die sich durchgehend entfaltet.

References, references, references!

Auch das ominös groovende "Science fair" wartet mit einer denkwürdigen Geschichte voller luzider Bilder auf, auch hier formulieren sich Unsicherheiten und ein Impostor-Syndrom, das gar die vierte Wand durchschlägt: "Just to think I could've left the fair with my dignity intact / And fled the stage with the world's second best Slint tribute act." Bei aller Ehrerweisung haben Slint nie einen Moment aufgenommen, in dem sich eine Noise-Gitarre und ein Free-Jazz-Saxophon duellieren, bis die Intensität beinahe viszeral wird, bevor ein technoider Synthie-Break beide wieder einfängt. Der muntere Reigen an Referenzen bildet jedoch einen weiteren roten Faden des Albums, mal explizit als Namedropping der Freunde von Black Midi, dann fast unmerklich intim wie auf "Athens, France", das aus Phoebe Bridgers' "Motion sickness" zitiert. Als eine eigene Mythologie flackern die popkulturellen Verweise in Woods Stories und stiften den gemeinsamen Erfahrungsraum ihrer Protagonisten. Manchmal werden sie brutal auf den Kopf gestellt. "I was born to run / It's black country out there", brüllt er am Ende von "Science fair" manisch und trifft im fulminant wirbelnden Höhepunkt des Songs anstelle von Bruce Springsteens Freiheitsdrang bloß noch Panik an.

Wie breit die Palette der Band ist, führen dann noch einmal die beiden abschließenden Nummern vor Augen. "Track X" kommt zur Abwechslung beinahe zärtlich daher, Streicher- und Bläserschnipsel kreieren einen Takt, der ein wenig an Arthur Russells Loop-Experimente oder gar Steve Reichs Minimalismus gemahnen, bevor der Chorus sich mit engelsgleichen Harmonien erhebt. "Opus" pendelt mit virtuoser Selbstverständlichkeit zwischen schwermütigem Arthouse-Soundtrack und einer wilden Kreuzung aus Stierkampfarena und Balkanfolklore, dann verabschiedet sich Wood elegisch: "Everybody's coming up / I guess I should have had something else to say." Bitte nicht.

"For the first time" ist ein grandioses Album geworden, das die frühe Blüte einer Ausnahmeband festhält. Black Country, New Road schreiben darin mit imposanten Mitteln ein Psychogramm ihrer Generation, wühlen auf und zelebrieren den doppelten Boden. Stets wachsen ihre vielgestaltigen Lieder zu einem organischen Ganzen zusammen, das die diversen Prägungen der Mitglieder elegant verwebt. "I am looking at you and you cannot tell / I am more than the sum of my parts", raunt Wood in "Sunglasses". Diesmal täuscht er sich. Es dürfte nicht lange dauern, bis sich dieser Meilenstein als eigenständiger Referenzpunkt für mutige Rockmusik etabliert hat.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights

  • Sunglasses

Tracklist

  1. Instrumental
  2. Athens, France
  3. Science fair
  4. Sunglasses
  5. Track X
  6. Opus

Gesamtspielzeit: 40:44 min.

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User Beitrag

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 29871

Registriert seit 07.06.2013

2021-07-07 11:58:41 Uhr
Die Bassistin ist ja die Tochter von Karl Hyde von Underworld. Cool irgendwie. :)

darkchild1985

Postings: 159

Registriert seit 05.12.2020

2021-05-20 20:01:50 Uhr
An der Platte höre ich mich echt kaum satt, allerdings, das muss ich zugeben, ist sie manchmal etwas zu gewollt frickelig und unaufgeräumt. Ein wenig mehr Struktur für kommende Releases würde ich mir wünschen, wobei man wahrscheinlich dann irgendwann sagen wird, dass das Chaos, die Unbeschwertheit und die Experimentierfreude der Anfangstage abhanden gekommen ist. Von daher sollen se machen. Gerne mehr davon.

Zudem ist Sunglasses mittlerweile echt mein Favorit und davon ab ein absolut wahnwitziges, viel zu langes Spaßfeuerwerk. Selten so viel Stimmungen, Tempowechsel und Irrsinn innerhalb eines Songs gehört, in dem sich trotzdem dann doch alles irgendwie richtig anfühlt.

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 8792

Registriert seit 26.02.2016

2021-05-18 19:45:34 Uhr
Jetzt "Track X (The Guest)" von Black Country, New Road hören!


Der neue Track von Black Country, New Road, „Track X (The Guest)“, ist heute, am 18. Mai 2021 digital via Ninja Tune erschienen.


Seitenbacher Müsli. Des Müsli vom Seitenbacher.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 24640

Registriert seit 08.01.2012

2021-05-18 19:00:05 Uhr - Newsbeitrag
BLACK COUNTRY, NEW ROAD VERÖFFENTLICHEN MIT "TRACK X (THE GUEST)" URSPRÜNGLICHE VERSION DES GEFEIERTEN ALBUM-HIGHLIGHTS!
(VÖ 18.05.2021)



Im Februar veröffentlichte die siebenköpfige Londoner Band Black Country, New Road ihr mit Spannung erwartetes Debüt, „For The First Time“, auf Ninja Tune und stellte damit unter Beweis, dass Rockmusik im Jahre 2021 durchaus noch hochrelevant sein kann. The Times fasste in ihrer 5-von-5-Sternen-Review zusammen, dass sie „die aufregendste Band des Jahres 2021“ seien, doch auch der Observer bezeichnete ihre Platte als „eines der besten Alben des Jahres“.

Doch auch hierzulande wurde „For The First Time“ über den grünen Klee gelobt, wie von plattentests.de, die das Debüt mit der unheimlich seltenen Bewertung von 9/10 Punkten zu ihrem Album der Woche kürten, während Der Spiegel anmerkte, dass „Das siebenköpfige Kollektiv Black Country, New Road […] als englischer Pop-Hype der Stunde“ gilt. Österreichs führender öffentlich-rechtlicher Sender Ö1 stellte wiederum fest: „Black Country, New Road leuchten aus, was Pop im Jahre 2021 bedeuten kann und werden dafür als Heilsbringer gefeiert.“.

Das Album stieg auf #44 der deutschen Albumcharts ein und konnte sich auch weltweit einer umfangreichen Unterstützung sicher sein: in den britischen Albumcharts stiegen sie in der ersten Woche sogar auf #4 ein - eine schier bemerkenswerte Leistung für ein weitgehend experimentelles Debütalbum.

Heute präsentiert die Band eine neue Version ihrer Single „Track X“ mit dem Titel „Track X (The Guest)“, die die ursprüngliche Version dessen ist, woraus sich später eins der Highlights des Albums entwickeln sollte; ein Stück, das Sänger Isaac Wood zuerst solo als „The Guest“ aufführte, noch vor BC,NR.

Reduziert auf Isaacs nüchternen Text und eine Akustikgitarre, ist es eine zärtliche Auseinandersetzung mit persönlichen Erfahrungen und eine Erinnerung an die kreative Dynamik innerhalb der Gruppe, wie aus spärlichen Anfängen etwas entstehen kann, das immer größer und größer wird und völlig neu ist.

Isaac hat folgendes über den Song zu sagen: „Aus dieser Version stammt der Text für ‚Track X‘. Es ist eine alte Geschichte, mit einem einfachen Gitarrenspiel und hat den zusätzlichen Text im Refrain. Es ist die ‚The Guest‘-Version, die vor ca. zwei Jahren in dieser Form geschrieben wurde und von der wir dachten, dass sie einen guten Abschluss für das Album darstellen würde.“.

„For The First Time“ erreichte auch Platz 1 bei Any Decent Music, Platz 2 bei Album Of The Year und saß für mehrere Wochen auf Platz 1 bei Rate Your Music und ist die Platte, die dort in diesem Jahr die meisten Fan-Bewertungen und Seiten-Diskussionen generierte. Black Country, New Road wurden außerdem von The Line Of Best Fit und Stereogum zum Artist der Woche und zum Album der Woche gekürt. Außerdem gab es Features im Tagesspiegel, tipBerlin, in der jungen Welt, im Express, in der Berliner Zeitung, Musikexpress, ByteFM, egoFM, radioeins Soundcheck, FluxFM, Deutschlandfunk Kultur und vielen vielen mehr - die Liste ließe sich tatsächlich lange fortführen.

Die Live-Auftritte von Black Country, New Road haben bei den Fans bereits einen legendären Status erlangt und die Band wurde vom Guardian als „eine der besten Live-Bands Großbritanniens“ bezeichnet. Nach dem Erfolg ihres kürzlichen Livestreams aus dem Southbank Centre, bei dem die Band von einem Chor begleitet wurde, um ihr neues Material vorzustellen (was auch zeigt, dass ein zweites Album bereits in Sichtweite ist), erhielt die Band eine weitere 5-von-5-Punkten-Live-Rezension von The Times, freut sich die Band nun darauf, ab Juni wieder live aufzutreten, beginnend mit einer ausverkauften UK-Tour und drei Londoner Headliner-Konzerten in der Islington Assembly Hall, von denen das dritte hinzugefügt wurde, nachdem die ersten beiden innerhalb von drei Minuten ausverkauft waren. Mitte August spielt die Band erstmals im GSA-Territorium, bevor sie ab Ende Oktober für fünf Auftritte nach Deutschland und in die Schweiz kommt - alle Details unten.

Jetzt "Track X (The Guest)" von Black Country, New Road hören!


Der neue Track von Black Country, New Road, „Track X (The Guest)“, ist heute, am 18. Mai 2021 digital via Ninja Tune erschienen.

sizeofanocean

Postings: 1182

Registriert seit 27.01.2020

2021-05-18 14:03:32 Uhr
"Weil ich so'n Hype von der Insel gleichzeitig mit Black Midi und Squid verspüre,..."

ich seh immer noch weit und breit keinen Hype um diese 3 seltsamen Veröffentlichungen
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