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Typhoon - Sympathetic magic

Typhoon- Sympathetic magic

Roll Call
VÖ: 22.01.2021

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Die Fäulnis unter der Fassade

"Look inside America", forderte ein junger Damon Albarn einst, nachdem er seinen Frieden mit dem zuvor verspotteten Land geschlossen hatte. Kyle Morton kommt dem 25 Jahre später nach, findet statt des doppelten "She's alright" jedoch eine andere Konklusion: "Everybody's angry / Everybody's lonely / Maybe it's hopeless / And maybe love is not enough." 2020 war ein höchst turbulentes Jahr für die USA und Typhoon setzen diese Unruhe als Leitmotiv für ihr fünftes, überraschend veröffentlichtes Album "Sympathetic magic". So explizit rechnet Morton allerdings selten mit seinem Heimatland ab, seine Texte bleiben zu großen Teilen wieder abstrakt-poetisch und bleiben in gewohnten Themenfeldern wie Vergessen oder Heimat. Dieser Spur folgt das bis zu elf Köpfe umfassende Kollektiv anders als auf dem deutlich längeren Konzept-Meisterwerk "Offerings": spontaner, loser, lockerer, was sicher auch dem fragmentarischen Aufnahmeprozess auf Distanz zuzuschreiben ist.

"You have been here before", raunt der Opener "Sine qua nonentity" seinem verwirrten Helden zu, während die Streicher wie Vögel zwischen den Tonkanälen flattern. Hat er den vielsagend platzierten Blumenstrauß des Coverfotos entdeckt? Oder dient dieses gleichzeitig fremd wie vertraut wirkende Haus als Metapher für ein Amerika, dessen Fäulnis sich immer stärker an die Oberfläche frisst? "The apocalypse is incoming", singt Morton in "Empire builder" und weiter: "North Dakota metastasizing / The oil shales and the entropy / And the waves of darkness fold over me / As the dying sun goes down." Der Sanftheit der Musik entnimmt man diese Untergangsbilder nicht unmittelbar, doch auch hier steckt Dampf unterm Kessel, der sich einem grandios verzerrten Gitarrensolo entlädt. Die Wut ist kurz darauf aber vollständig verraucht, in "Motion and thought" bleiben nur noch flüchtige Erinnerungen und eine an The War On Drugs gemahnende Soft-Rock-Coda.

Tracks wie dieser pointieren das Kernproblem von "Sympathetic magic", auf dem Typhoon weitaus weniger ambitioniert als zuvor agieren und sich damit gefährlich einer immer noch gefälligen, aber auch etwas gewöhnlichen Folk-Band annähern. Die beschnittenen Songlängen fallen nicht per se negativ auf: Das tolle "Evil vibes" braucht etwa keine drei Minuten, um sich als zarte Ballade das Gewicht einer in alle Poren strömenden Klimax aufzuschultern. Zu solchen Momenten der Katharsis finden die orchestralen Arrangements jedoch selten zusammen, setzen stattdessen subtilere Akzente. Dem Album fehlen die Abgründigkeit und die klare Erzählstruktur des Vorgängers, was eine bewusste Stil-Entscheidung darstellt, das Hörerlebnis aber ein wenig verwässert. Es hätte gerne häufiger einen Reizpunkt wie "Masochist ball" geben dürfen – hier poltern Drums und Bläser mit feierlichem Nachdruck, während Mortons geschmeidiges Organ giftige Gräueltaten formuliert: "You deserve to die / You deserve painful burning needles in your eyes."

Immerhin das Herzstück der Platte kann mit den allergrößten Diskografie-Highlights mithalten. Mit labilem Trotz treibt "We're in it" voran und wird graduell immer lauter, bis Morton wie ein junger Win Butler Purzelbäume schlägt und die finalen Trompeten emotionale Lawinen auslösen – so schön, es ist kaum auszuhalten. In ihren besten Momenten können Typhoon aus dem Grenzbereich von Konkretheit und Abstraktion ihre ganz eigenen Skulpturen formen, doch leider kippt ein schmuckloser Song wie "And so what if you were right" zu sehr ins Vakuum. Wie man packender im Nichts stochert, beweist der Closer: Die Melodie wird am synthetischen Puls enggeführt, widersetzt sich dem allzu offensichtlichen Ausbruch und trägt ihre Spannung bis in die Stille weiter. "Welcome to the endgame / Final move's already been made"? Na hoffentlich nicht.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Empire builder
  • We're in it
  • Welcome to the endgame

Tracklist

  1. Sine qua nonentity
  2. Empire builder
  3. Motion and thought
  4. Santos
  5. We're in it
  6. Two birds
  7. Evil vibes
  8. And so what if you were right
  9. Room within the room
  10. Time, time
  11. Masochist ball
  12. Welcome to the endgame

Gesamtspielzeit: 39:27 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

kiste

Postings: 221

Registriert seit 26.08.2019

2021-02-28 14:31:00 Uhr
Ich mag das Album sehr. Klar, nicht so aufwendig arrangiert wie die Vorgänger aber es funktioniert so in der reduzierten Form perfekt für mich. Ich kann jedem Song etwas abgewinnen. Sympathische Magie!

Beefy

Postings: 465

Registriert seit 16.03.2015

2021-02-14 22:39:58 Uhr
Gefällt mir sehr gut. And So What If You Were Right ist für mich ein absoluter Übersong.

Martinus

Postings: 534

Registriert seit 13.01.2014

2021-02-14 22:37:50 Uhr
Ich habe das Album die letzten 2 Wochen fast täglich gehört und mittlerweile gefällt sie mir sehr gut.
Eine 7 ist es bei mir auf jedenfall.
Muss aber sagen, dass ich die ersten 1-2 Durchgänge echt langweilig fand, aber dann hat es mich doch erreicht.
Wer Offerings mochte, sollte ihr eine Chance geben.

javra

Postings: 193

Registriert seit 29.07.2014

2021-02-11 21:37:34 Uhr
Hmm, für mich war Offerings ein von den Kritiken total unterbewertetes Album, irgendwie hat das mit mir resoniert.

Den Vorabsong hiervon fand ich zielich fade, deswegen hab ich jetzt fast Angst, das Album anzufassen.

MartinS

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 1395

Registriert seit 31.10.2013

2021-02-08 17:49:03 Uhr
Ich fand die "Offerings" so auf lange Sicht abgesehen von ein paar Highlights schon ein bisschen dünn, deshalb werd ich die hier wohl eher schnell wieder vergessen haben.
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