Bicep - Isles

Ninja Tune / Rough Trade
VÖ: 22.01.2021
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Das verlorene Jahr
Eine Zeit lang enthielten die redaktionsinternen Rundmails, die sich um die Verteilung und Bearbeitung neuer Alben und den dazugehörigen Texten drehen, sinngemäß diesen einen Satz: "Wir haben Corona, das ist schlimm, sollte aber nicht in zu vielen Texten stehen, geben wir den Leuten wenigstens bei Plattentests.de etwas Ablenkung und Normalität." Klar, einige Veröffentlichungen kommen da nicht umhin, ist ihre Entstehungsgeschichte doch eng mit den seit mittlerweile knapp einem Jahr geltenden Einschränkungen und der damit einhergehenden – mindestens, was Liveauftritte angeht – Trübseligkeit verbunden. Der Großteil der neuen Platten hat mit Corona jedoch wenig zu tun und auch der Musik hört man das nicht an. Manchmal drängt sich allerdings sprichwörtlich die Frage auf: Wie soll die Musik wirken, wenn sie derzeit nicht wirken kann wie konzipiert? Willkommen auf "Isles", dem zweiten Longplayer von Bicep.
Das Duo aus Belfast zeigte schon auf dem selbstbetitelten Debüt 2017, dass es die Tanzfläche verstanden hat. Oder, um es mit den Worten eines Youtube-Kommentars auszudrücken: "Glue represented what every summer for the past 30 years meant. Atlas represents what this summer could have been..." Womit das Problem des Eingangsabsatzes beschrieben wäre. "Isles" ist ein Album, dessen derzeitige Ketten der Live-Enthaltsamkeit traurig machen. Dieser Sound muss auf die Bühne, muss mit seinen warmen, verspielten Synthies in den Sommer, muss zwischen die Bagger des "Melt!"-Festivals, wo die zwei Musiker 2020 hätten auftreten sollen, muss unter Leute. Bicep selbst geben immer wieder bekannt, wie sehr ihr Gesamtkonzept auf die Livedarbietung ausgerichtet ist. "Isles" ist nun die fast erzwungene Konserven-Version. Immerhin eine Auflockerung, eine Ablenkung von den Zoom-Meetings mit Freunden und Bekannten, die zunächst auch als passabler Präsenz-Ersatz dienten und durchaus spaßig und erfrischend sein konnten – mittlerweile aber niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Es bleibt zwar auch bei "Isles" die Langlebigkeit dieses akustischen Ausflugs aus der Realität abzuwarten, aber immerhin: Der Effekt ist erst einmal da – und vielleicht reicht er ja gar bis zum Ende dieser ungewissen Zeit.
In ihren besten Momenten klauben Bicep dabei aus dem Zutatenmix von Deep House und IDM absolute Kracher wie das bereits erwähnte, vor dem letzten Sommer veröffentlichte "Atlas" zusammen. Auch die Tracks nach dem Opener fallen nicht ab, Ausfälle gar sind auf "Isles" nicht zu verzeichnen. Statt der monoton distanzierten Techno-Kühlheit ehemaliger Fabrikanlagen dominiert hier jedoch ein gefälliges, sich durch die clevere Verwebung verschiedener Ebenen in die Arme fallendes Soundgewand. Die Breaks sind wohldosiert und -platziert, formen aus den Songs sich stetig wandelnde, organische Gebilde. Gesangsspuren finden sich zwar, sind jedoch nur sekundäres Element beziehungsweise als zusätzliches Instrument anzusehen. So verarbeiten Matt McBriar und Andy Ferguson etwa flüchtige musikalische Straßenbekanntschaften: ein zufällig gehörtes bulgarisches Chorsnippet hier, Dönerbudenbeschallung da, dazu Hindi-Vocals aus der Nachbarschaft. Einem herausragenden Live-Set entsprechend hat dieses Zweitwerk einen durchgängigen Flow, der den ganzen Körper durch seine knapp fünfzig Minuten Spielzeit trägt und das – der Vorteil der Konserve schlechthin – in so vielen Wiederholungen, wie gewünscht. Oder besser gesagt, wie für das eigene Wohlbefinden notwendig.
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Highlights
- Atlas
- X (feat. Clara La San)
- Sundial
Tracklist
- Atlas
- Cazenove
- Apricots
- Saku (feat. Clara La San)
- Lido
- X (feat. Clara La San)
- Rever (feat. Julia Kent)
- Sundial
- Fir
- Hawk (feat. Machìna)
Gesamtspielzeit: 49:26 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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smrr Postings: 85 Registriert seit 02.09.2019 |
2021-01-22 16:12:01 Uhr
Genau das, was man erwartet, kriegt man hier. Paar Banger als Singles, paar nicht ganz so geile Variationen der Banger und ein bisschen Überbrückungsmusik. Einige Vocal-Features hätten nicht sein müssen, aber vielleicht fallen die dann auf den Remixen weg, die hier sicherlich noch kommen werden. Ich find's jetzt aufs erste Ohr etwas überraschungsarm, weil es sehr auf Sicherheit schielt und so im bekannten Terrain bleibt, aber eigentlich ist es ja genau das, was Bicep ausmacht: Elektronische Musik für Leute, die sonst keine elektronische Musik hören ;-) 7/10 geht in Ordnung. |
Kai Postings: 697 Registriert seit 25.02.2014 |
2021-01-22 15:36:46 Uhr
Wer mit dem Gedanken spielt, sich die Deluxe-Version zu holen: zwei der 3 Songs (Sienna und Light) orientieren sich am Album gehen aber etwas mehr nach vorn. Sienna dabei mit deutlich mehr Deephouse anleihen. Könnte ein kleiner Club-Hit werden.Meli (I), der dritte Bonustrack hätte auch sehr gut als Intro zu Beginn des Albums gepasst. Bicep zitieren sich hier selbst. |
Kai Postings: 697 Registriert seit 25.02.2014 |
2021-01-22 15:05:11 Uhr
Hab mir die Deluxe-Edition mit 3 zusätzlichen Tracks gekauft. Stimme der Rezension eigentlich durchweg zu. Nur bei der Punktzahl würde ich noch einen Punkt drauf setzen weil der Scheibe für mich der perfekten Spagat zwischen Club, Lounge und Sofa gelingt. Ich hatte zunächst die Befürchtung, dass es hier ein paar Hits und dann Füllmaterial gibt aber die Scheine funktioniert als Album sehr gut. Highlight ist auch für mich bisher Sundial. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 19406 Registriert seit 08.01.2012 |
2021-01-20 20:12:24 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
The Blaze; Maceo Plex; Lane8; Max Cooper; DJ Seinfeld; LCD Soundsystem; Daniel Avery; Armand van Helden; Pional; Tensnake; Ross From Friends; The Future Sound Of London; Denis Sulta; Floating Points; Four Tet; Daphni; Mall Grab; Skee Mask; Actress; Kelly Lee Owens; Palms Trax; Fatima Yamaha; Yotto; Leon Vynehall; John Talabot; Fjaak; Peggy Gou; DJ Koze; Robot Koch
Surftipps
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