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Die Ärzte - Die Ärzte (2020 Edition)

Die Ärzte- Die Ärzte (2020 Edition)

Sony
VÖ: 18.12.2020

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Verbotene Liebe

Vielen Dank, Sven. Es muss so 2002 oder 2003 gewesen sein, als meine Entdeckungsphase des Kosmos von Die Ärzte den Höhepunkt erreicht hatte. Als ich nach "MTV Unplugged" und der direkt mitgekauften "13" völlig angefixt war und unbedingt das ganze Werk besitzen musste. Doch daaaamals ... ähm, ja gut. In jedem Fall wissen alle, die etwas mit der Bandhistorie vertraut sind, dass zu jenem Zeitpunkt die Alben "Debil" und "Die Ärzte" noch auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (heute: Medien) standen. Natürlich kannte ich den Inhalt der Platten bereits, aber ich musste sie auch besitzen. Ich war aber gerade mal 14 Jahre alt. Was tun? Mit einem Klassenkamerad, der in der Tat bereits 18 war (fragt nicht), ab in den Plattenladen. Dort organisierte er mir tatsächlich die beiden Schätze, sowie die noch viel verbotenere EP "Ab 18", während ich draußen wartete. Ich habe mich unglaublich cool gefühlt. Grüße gehen raus.

Mittlerweile ist "Debil" seit 2005 vom Index runter und wurde als "Devil" in die Welt losgelassen. Nur "Die Ärzte" ist in der Originalfassung immer noch indiziert – weil das böse "Geschwisterliebe" die Jugend verderben könnte. Das dritte Album der Band aus dem Jahr 1986 ist zwar zwischenzeitlich digital ohne den betreffenden Song erschienen, erst jetzt gibt es aber eine unbedenkliche physische Variante, die parallel ebenfalls streambar ist. Der Kniff: Auf Position fünf der Tracklist wartet hier "Frühjahrsputz". Jenes Großreinemachen entpuppt sich als ein reiner Vocal-Overdub über dem live aufgenommenen Originaltrack. Man hört sogar den alten Text im Hintergrund, über welchen Farin Urlaub nun Sachen wie "Ich geh' jetzt einfach mal das Dach fegen" singt. Das ist bewusst billig umgesetzt, ein Ärzte-typischer Insider. Musikalisch gibt das zwar nicht viel her, aber "Geschwisterliebe" war ja auch schon mehr Event als Meisterwerk.

Was sich über das restliche Album nicht sagen lässt. Das gilt in seiner Außenseiter-Position gemeinhin mit Recht als bestes Album der Band aus den Achtzigern. Farin Urlaub und Bela B waren nach dem Weggang Sahnies zum Duo geschrumpft und das Artwork versprühte mehr echte Düsternis als der Pappmaché-Gothic von "Im Schatten der Ärzte". Das schmissige "Ich bin reich" ist der einzige lustige Track aus der Feder der Band, es steht jedoch erst an vorletzter Stelle. Unglaublich gestaltet sich derweil auch das zwischen Hommage, Verarsche und völliger Dekonstruktion pendelnde Quietsch-Hall-Dröhn-Cover der Nino-De-Angelo-Schnulze "Jenseits von Eden". Das macht auch gleich die unangenehmen eigenen Schlager-Versuche vom Vorgänger vergessen. Es sind Ausreißer auf einem Album, das eine unterschwellige Grimmigkeit in sich trägt.

Die Platte beginnt mit Farins Ausruf "Hey Du, bleib stehen!" und lässt auch im Verlauf des griffigen "Wie am ersten Tag" nicht locker. Der blonde Hüne sorgt mit dem todtraurigen "Für immer" auch für einen der ergreifendsten Momente in der gesamten Diskografie. Wenn er bei den Zeilen "Du atmest nicht / Du liegst ganz still" wie in eine Paralyse fällt, um im Refrain das Drama auszupacken, ist das hochemotional. Das funky "Sweet sweet Gwendoline" spielt nicht nur zum ersten mal im Werk der Band mit Fesseln herum, sondern klingt fast genauso nach The Smiths wie Farins eigene Hommage "Sumisu" 15 Jahre später. Standesgemäß abschließen darf die Platte zudem die kleine Mordgeschichte "Zum letzten Mal". Den ursprünglichen Kettensägeneffekt fand die Band so schlecht, dass sie ihn 1994 für die Compilation "Das Beste von kurz nach früher bis jetze" generalüberholen ließ – hier gibt es aber entgegen der digitalen Kennzeichnung "Remix '94" das knattrige Original zu hören.

Bela huldigt indes an vielen Stellen seinen Gothic-Helden, entführt ins "Mysteryland" und verspricht: "Wir werden schön durch die Nacht." Ein absoluter Klassiker ist seine Loser-Charakterstudie "Ist das alles?", völlig zurecht einer der Ärzte-Kernsongs aus dieser Phase. Herrlich schmissig ist zudem "Alleine in der Nacht", auch wenn die Story nicht erst aus heutiger Sicht unglaubwürdig ist. Typ trifft Frau in einer Bar, nimmt sie mit, sie wird verhaftet und zu sieben Jahren Knast verdonnert – und er will bis zu ihrer Entlassung enthaltsam bleiben!? Für eine Frau, die er seit ein paar Stunden kennt? Vielleicht vermittelt das viel unrealistischere Vorstellungen von Leben und Liebe als der böse Song, der nicht sein darf. Sei es drum. Das Album ist nun für alle Alterstufen in allen Formaten verfügbar. Richtig und wichtig ist das. Und es kommt nicht mal was von Flachlegen drin vor.

(Felix Heinecker)

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Highlights

  • Ist das alles?
  • Jenseits von Eden
  • Für immer
  • Ich bin reich

Tracklist

  1. Wie am ersten Tag
  2. Mysteryland
  3. Sweet sweet Gwendoline
  4. Ist das alles?
  5. Frühjahrsputz
  6. Alleine in der Nacht
  7. Jenseits von Eden
  8. Wir werden schön
  9. Für immer
  10. Ich bin reich
  11. Zum letzten Mal

Gesamtspielzeit: 41:50 min.

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