Nick Cave & The Bad Seeds - Idiot prayer: Nick Cave alone at Alexandra Palace
Bad Seed / Rough Trade
VÖ: 20.11.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Mit Schuhen am Klavier
Ein passender Auftritt für diese Zeit: Nick Cave ohne Begleitband, nur mit Klavier in der West Hall des Alexandra Palace in London. Ein Künstler allein in der Auseinandersetzung mit seinem eigenen Werk, welches er auf den nackten Kern entblößt. So intim, dass der mit zwei Kameras als One-Take aufgezeichnete Videostream des Konzerts am 23. Juli 2020 eigentlich nicht für die Ewigkeit konserviert werden, sondern ein einmaliges Erlebnis bleiben sollte. Nun aber doch: ein Kinofilm und ein zugehöriges Album namens "Idiot prayer: Nick Cave alone at Alexandra Palace". "Live" möchte man das kaum nennen, denn außer dem Echo von den weit entfernten Wänden der Location gibt es keine Resonanz, keinen Applaus. Schon die letzten Studioalben "Skeleton tree" und "Ghosteen" waren in sich gekehrte Verarbeitungswerke. "Idiot prayer" zieht die Konsequenz, indem es diesen Blickwinkel auf die Vergangenheit richtet.
Der Beginn der Platte ist noch reduzierter. Beim "Spinning song" bedient Cave nicht mal das Tasteninstrument, rezitiert lediglich den Text und von irgendwo erklingen leise Töne, die kaum zu lokalisieren sind. Erst im Anschluss spielt er die aus den "Conversations"-Auftritten aus 2019 entstandenen Piano-Versionen von Stücken aus seinem umfangreichen Katalog. Mit dem zarten "Euthanasia", das Cave mit einer Mischung aus Neugier und Trauer singt, ist zudem eine neue Komposition dabei. "Losing myself, I found myself / Found myself in time." Vom Seitenprojekt Grinderman fließen außerdem "Palaces of Montezuma" mit leicht jazzigem Unterton und das gefühlvolle "Man in the moon" ein. Ansonsten reichen Songs der Bad Seeds vom jungen "Ghosteen" bis zurück zu "Your funeral ... my trial" aus dem Jahr 1986.
Eine Platte nimmt dabei eine besonders prominente Rolle ein: Von "The boatman's call" ist die Hälfte der Stücke vertreten. Kein Wunder, schließlich atmet dieses Album aus 1997 am meisten den Geist der hier so spartanisch dargebotenen Versionen. Ausgerechnet "(Are you) The one I've been waiting for?" veranlasst Cave am Ende sogar zu einem kurzen Lachen – ein sehr seltener Moment der Lockerheit inmitten dieser Ernsthaftigkeit, von welcher sonst so gut wie nichts ablenken kann. "Idiot prayer" ist sehr intensiv, aber auch auf ganzer Länge eine kleine Geduldsprobe. Für Einsteiger ist die klaviergetränkte Werkschau sicher kein guter Startpunkt und selbst für manchen Fan dürfte die Reduktion auf eine bestimmte Facette von Nick Cave & The Bad Seeds über 22 Songs zu viel des Guten sein.
Unbestreitbar holen die Fassungen auf "Idiot prayer" jedoch bei vielen Stücken ergreifende Aspekte in den Vordergrund. Wie auch Johnny Cashs Coverversion ist "The mercy seat" hier eine intensive Erfahrung. Es funktioniert, weil auch das Original eine simple Idee verfolgt und wenig Mittel benötigt. "Jubilee street" ist hingegen gerade durch den Pomp in der Klimax so großartig und lässt diesen hier schmerzlich vermissen. Von "Push the sky away" macht dagegen "Higgs Boson blues" als eine der beeindruckendsten Neufassungen mit großer dynamischer Spannweite die bessere Figur. Und "Into my arms" muss sich natürlich kaum verändern – es bleibt einfach eine der besten Klavierballaden überhaupt. Vielleicht wäre "Idiot prayer" etwas gestrafft noch beeindruckender gewesen. Denn am Ende erkennt man, dass so viel weniger manchmal trotzdem etwas viel sein kann.
Highlights
- Brompton oratory
- Girl in amber
- The mercy seat
- Higgs Boson blues
- Stranger than kindness
- Into my arms
Tracklist
- CD 1
- Spinning song
- Idiot prayer
- Sad waters
- Brompton oratory
- Palaces of Montezuma
- Girl in amber
- Man in the moon
- Nobody's baby now
- (Are you) The one I've been waiting for?
- Waiting for you
- The mercy seat
- Euthanasia
- CD 2
- Jubilee street
- Far from me
- He wants you
- Higgs Boson blues
- Stranger than kindness
- Into my arms
- The ship song
- Papa won't leave you, Henry
- Black hair
- Galleon ship
Gesamtspielzeit: 83:53 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Klaus Postings: 10147 Registriert seit 22.08.2019 |
2021-07-23 20:52:09 Uhr
@neomathExakt meine Einschätzung. Ansonsten gibt es übrigens auch 20000 Days on earth bei arte. |
NeoMath Postings: 2198 Registriert seit 11.03.2021 |
2021-07-23 20:34:34 Uhr
so sehr ich Cave mag, aber ich persönlich finde die Performance der Songs äußerst eintönig.Schon klar, dass Piano + Gesang only nur wenig Spielraum zulässt... dennoch gefallen mir die regulär instrumentierten Versionen deutlich bessser. Hier kommt bei mir eine eher unangnehme Unruhe auf, weils auf Dauer einfach viel zu einsilbrig ist. Dafür hat Cave vor allem stimmlich einfach auch nicht die überzeugende Spannweite. Emotional ja, Melancholie ja, schön ja, aber nicht auf über 80 Min, das ist mir einfach too much.... dafür passiert zu wenig. Sorry, wenn sich nun Cave-Nerds in den Arm gekniffen fühlen. |
Talibunny Postings: 2588 Registriert seit 14.01.2020 |
2021-07-23 20:04:45 Uhr
Danke für den Hinweis. |
Klaus Postings: 10147 Registriert seit 22.08.2019 |
2021-07-23 17:56:31 Uhr
Derzeit frei verfügbar in der Arte Mediathek. |
boneless Postings: 5990 Registriert seit 13.05.2014 |
2020-12-14 18:21:12 Uhr
Ich hab die erste LP fast durch und mal davon abgesehen, dass die Pressung ganz gut klingt (was bei Cave leider nicht selbstverständlich ist)*, mag ich die nackte Version seiner Songs, auch wenn man der Beschreibung "Jammer-Cave" nichts wirklich entgegnen kann. :D Werd dann wahrscheinlich auch erstmal eine Pause einlegen.* wenn Cave allerdings loslegt und kräftiger in die Tasten haut, neigt der Sound zur Übersteuerung. |
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Referenzen
Nick Cave; Warren Ellis; Nick Cave & Warren Ellis; Mick Harvey; Leonard Cohen; Mark Lanegan; Mark Lanegan Band; Nick Drake; Adrian Crowley; Tindersticks; Stuart A. Staples; The Black Heart Procession; Madrugada; American Music Club; Mark Eitzel; Swans; Soulsavers; Sparklehorse; Gravenhurst; Serge Gainsbourg; Johnny Cash; Dakota Suite; Tom Waits; Sixteen Horsepower; Wovenhand; The National; I Like Trains; Rufus Wainwright; Okkervil River; Bill Callahan; Cold Specks; Marianne Faithfull; Get Well Soon; Bob Dylan; Jeff Buckley; Lou Reed; PJ Harvey; Kate Bush; Soap & Skin; Scott Walker; Sun Kil Moon; Sivert Høyem; Grinderman; The Birthday Party; The Boys Next Door
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