Kamasi Washington - Becoming (Music from the Netflix original documentary)
Young Turks / XL / Beggars / Indigo
VÖ: 11.12.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
Mach mal halblang
Ein neues Album von Kamasi Washington? Aber wir haben doch keine Zeit! Man erinnert sich: Zwischen zwei und drei Stunden Spiellänge hatten die beiden Vorgänger "The epic" von 2015 und das drei Jahre später veröffentlichte "Heaven and Earth". Das war so ausufernd, dass der geschätzte Kollege Stephan Müller für eine Weile ganz merkwürdige Aussagen tätigte, wenn man mal an seine Bürotür im vollverglasten Redaktionsgebäude an der Isar klopfte: "Mittagspause? Klar, aber ich habe nur einen halben Kamasi Washington Zeit!" Verrückt war das, im wahrsten Sinne des Wortes. Nun also der nächste Hammer, und das ausgerechnet dann, wenn die Tage eh kürzer werden? Gleich mal dem Kollegen mitteilen, wenn er morgen pünktlich um zwei Kamasi Washingtons vor 12 auftaucht.
Ach, Moment: Das ist gar kein richtiges Album, sondern nur ein Soundtrack mit teilweise leicht veränderten Songs aus dem Backkatalog – und dann soll das Teil auch nur eine Länge von 30 Minuten haben? Alles halb so lang also – äh, wild, natürlich. "Becoming (Music from the Netflix original documentary)" ist, Sie werden es geahnt haben, die musikalische Untermaltung einer Doku auf Netflix. Wer hätte es gedacht! Die Verfilmung des autobiografischen Bestsellers der ehemaligen First Lady Michelle Obama wurde im Mai 2020 auf dem Streaming-Dienst veröffentlicht, und Washington sorgt für den Score zum filmischen Produkt. Klingt ein bisschen steril? Ist es gar nicht. Aber im Vergleich zu den beiden Vorgängern durchaus sehr handzahm, was es da zu hören gibt. Experimentellen Jazz mit allerlei verqueren Strukturen und Melodien sucht man hier nämlich vergeblich, stattdessen gibt es das, was man wohl oft spöttischerweise als Lounge-Musik bezeichnet. Aber so ein bisschen Entspannung tut doch auch mal ganz gut, oder?
Dementsprechend knackig kurz sind dann auch die meisten Titel auf "Becoming": Da startet der harmonisch-wohlige Opener "Shot out of a cannon" mit gerade mal etwas mehr als einer Minute ins Rennen und ebnet vorbildlich den Weg für die kommende halbe Stunde. Es folgen Stücke wie das luftig arrangierte "Take in the story", der Sechzigerjahre-R'n'B von "Southside v.1" oder auch das wirklich schöne und überraschend tanzbare "The rhythm changes", in etwas langsamerer Form bereits bekannt von "The epic". Sie alle sind, wie auch der Rest des Soundtracks, überzeugend in ihrer Eingängigkeit, ohne dabei wie fader Einheitsbrei zu wirken. Daher war es nur rechtens und fair, dass Washington für diese Arbeit mit einer Emmy-Nominierung belohnt wurde – wenngleich die Trophäe am Ende an jemand anderes ging.
Vielleicht ist aber eh der Weg das Ziel und der eigentliche Preis das zugrundeliegende Werk selbst. Vor diesem Hintergrund nickt der Kopf zum herrlich rhythmischen "Detail" gleich umso schneller, schwebt "Fashion then and now" glatt noch etwas kunstvoller vor dem geistigen Auge, lädt "Southside v.2" mit noch weiter geöffneten Türen zum Tagträumen. Wie wohl so ein kleiner Ausflug mit Mr. und Mrs. Obama durch ihre alte Hood aussehen würde? Diese Antwort bleibt auch die Doku leider schuldig. Klar ist, dass sich die Regisseurin Nadia Hallgren Washington vollkommen zurecht als Komponisten ausgesucht hat, um die Geschichte der First Lady auch angemessen zu vertonen. So dürfte es kaum ein Zufall sein, dass die beiden (Quasi-)Titeltracks "Becoming" und "I am becoming" die beiden größten Highlights des Albums sind – so soll das sein als Aushängeschild. Ein solches wird der Soundtrack für das Gesamtwerk Kamasi Washingtons eher nicht. Aber er dient allemal als Chance zum ersten Kennenlernen und um die Wartezeit zum nächsten Epos zu verkürzen.
Highlights
- Becoming
- Take in the story
- The rhythm changes
- I am becoming
- Southside v.2
Tracklist
- Shot out of a cannon
- Becoming
- Take in the story
- Southside v.1
- Dandy
- The rhythm changes
- Song for Fraser
- Announcement
- Detail
- Fashion then and now
- Provocation
- Connections
- Looking forward
- I am becoming
- Southside v.2
Gesamtspielzeit: 30:44 min.
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Frisch rezensiert. Im Rahmen von "Weihnachtsspecial, Teil 1: Best Ofs, Soundtracks, Remixplatten und Weihnachtsalben" Meinungen? |
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Referenzen
Miles Davis; Miles Davis Quartet; Miles Davis Quintet; Miles Davis; Sextet; Bill Evans; Bill Evans Trio; Thelonious Monk; Thelonious Monk Quartet; Duke Ellington; Chet Baker; Charles Mingus; Sonny Rollins; Freddie Hubbard; Charlie Parker; John Coltrane; John Coltrane Quartet; Dexter Gordon; Wayne Shorter; Cannonball Adderley; Dizzie Gillespie; Art Blakey & The Jazz Messengers; Clifford Brown; Oliver Nelson; Art Tatum; Joe Henderson; Kenny Dorham; Hank Mobley; Lee Morgan; Lester Young; Grover Washington Jr.
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