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Calexico - Seasonal shift

Calexico- Seasonal shift

City Slang / Rough Trade
VÖ: 04.12.2020

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Kaktuslametta

Die Popkultur kennt so manchen dissonanten Umgang mit dem Themenfeld "Weihnachten". Colin Farrell erfuhr im festlich geschmückten Brügge nicht gerade Besinnlichkeit, während Tom Cruise von den winterlichen Straßen New Yorks geradewegs in eine maskierte Orgie stolperte. Auch Calexico, die klanggewordene Wüstensonne Arizonas, verbindet man nicht direkt mit Lebkuchenmännchen und märchenhaften Schneelandschaften. Doch weil die Jungs für Klischees eh nie viel übrighatten und sich der lichterkettenbehangene Trailer auch im trockenen Nirgendwo aufstellen lässt, ist ihr erstes Weihnachtsalbum "Seasonal shift" eine fast komplett stimmige Angelegenheit. Fast, weil jenes Coverbild durchaus eine kleine Dissonanz enthält: Anstatt sich in der hier suggerierten Einsamkeit zu suhlen, hat sich die eh schon multinationale und -linguale Band so viele Gäste aus allen Teilen der Welt eingeladen wie noch nie.

Zu Beginn sind sie noch ganz bei sich. "Hear the bells" eröffnet die Platte als unverkennbare – und unverkennbar großartige – Calexico-Komposition, auch wenn die Streicher und Bläser ein bisschen feierlicher als sonst klingen. Man sollte auf keinen Fall den Fehler machen, "Seasonal shift" wegen seines Labels als Weihnachtsalbum zum künstlerisch wertlosen Klamauk zu degradieren: Hier sind immer noch die Leute am Werk, die sich für so virtuose Meisterwerke wie "Carried to dust" oder "Feast of wire" verantwortlich zeichnen. Die Spielfreude und musikalische Klasse können trotz der thematischen Einschränkungen locker mit den regulären Studio-Alben mithalten. Das beeindruckt deshalb, weil die Truppe um Joey Burns und John Convertino größtenteils Audio-Spuren um den Globus schicken musste, statt gemeinsam in einem Raum zu jammen. Das Resultat wirkt so organisch, als hätten sie sich samt aller Kollabo-Partner*innen ganz Pandemie-unkonform in besagten kleinen Wohnwagen gequetscht.

Und was da alles reinpasst. Mit Tom Pettys "Christmas all over again" und John Lennons "Happy Xmas (War is over)" wagen sich Calexico an zwei anglo-amerikanische Kulturgüter, die sie mit vielen tollen Arrangement-Ideen ausschmücken: Chöre, erhabene Trompeten und Slide-Gitarren, die selbst die härtesten Adorno-Fans dazu bringen, ihren Kitschbegriff zu überdenken. Daneben steht völlig gleichberechtigt "Mi burrito sabanero", ein venezolanisches Kinder-Weihnachtslied um einen Jungen und seinen Esel, das die aus Guatemala stammende Sängerin Gaby Moreno mit ansteckender Leichtfüßigkeit vorträgt. Doch "Seasonal shift" weiß, dass das Fest der Liebe nicht für alle Menschen die Zeit der unbeschwerten Familienzusammenkünfte ist, und zeigt auch ein paar nachdenklichere Seiten. Am stärksten gelingt in dieser Hinsicht die düster-atmosphärische Elegie "Tanta tristeza", abgründig umschmeichelt von der Portugiesin Gisela João.

Jubel, Tanz, Totengedenken – die Stimmungspalette, die das Septett aus Tucson seinem Leitmotiv entlockt, begeistert. Das absolut famose "Heart of downtown" lässt gar in so getriebener Manier die Hitze durch die Saiten flirren, dass es selbst den staubigsten Wüstensohn zum Schwitzen bringt: Ein Killer-Riff formt mit fiebriger Percussion und mysteriösen Vocals des nigrischen Künstlers Bombino nicht weniger als einen der besten Calexico-Tracks der letzten zwölf Jahre. Da verzeiht man ihnen auch eine charmante Albernheit wie "Sonoran snoball", in der Burns über Spielzeug-Synths und scheppernden Drums den Rapper im Strickpullover raushängen lässt. In der finalen Reprise von "Mi burrito sabanero" ist eh jedes negative Gefühl gegessen. Eine mehrsprachliche, von Kindergesang begleitete Collage von Weihnachtsgrüßen der beteiligten Musiker*innen und ihrer Familien birgt auf dem Papier durchaus Cringe-Potenzial – doch in den Händen einer der nicht nur versiertesten, sondern auch sympathischsten Rockbands unserer Zeit bleibt keine vereiste Herzkammer ungeschmolzen. Calexico sind ein Geschenk, ganz unabhängig von der Jahreszeit.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Hear the bells
  • Mi burrito sabanero (feat. Gaby Moreno)
  • Heart of downtown (feat. Bombino)
  • Tanta tristeza (feat. Gisela João)

Tracklist

  1. Hear the bells
  2. Christmas all over again (feat. Nick Urata from DeVotchKa)
  3. Mi burrito sabanero (feat. Gaby Moreno)
  4. Heart of downtown (feat. Bombino)
  5. Seasonal shift
  6. Nature's domain
  7. Happy Xmas (War is over)
  8. Glory's hope
  9. Tanta tristeza (feat. Gisela João)
  10. Peace of mind
  11. Sonoran snoball (feat. Camilo Lara)
  12. Mi burrito sabanero (Reprise)

Gesamtspielzeit: 42:28 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Perfect Day

Postings: 652

Registriert seit 18.01.2014

2023-12-03 16:48:40 Uhr
Heute wieder mit diesem wundervollen kleinen Album den kürzestmöglichen Advent eröffnet. Mittlerweile eine liebgewonnene Tradition!

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 9300

Registriert seit 26.02.2016

2022-12-19 22:48:33 Uhr
Also bei mir war die immer schon 3,5 Minuten lang...

sweet nothing

Postings: 1906

Registriert seit 04.11.2014

2022-12-19 13:06:39 Uhr
Kann sein ja, wobei ich mich frage warum da Oli von Calexico (?) allen einen schönen Sommer wünscht… :D

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31659

Registriert seit 07.06.2013

2022-12-14 12:42:32 Uhr
Das Reprise wurde erweitert, oder? Da sind dieses mal mehr Glückwünsche, hab ich das Gefühl.

Gomes21

Postings: 4867

Registriert seit 20.06.2013

2022-12-14 12:40:27 Uhr
Apúrate, mi burrito!
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