Kala Brisella - Lost in labour
Tapete / Indigo
VÖ: 13.11.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Keine Lakaien
Gar nicht mal so steile These: Kala Brisella sind das Gegenteil von Wir Sind Helden. Nicht, was den Status als musikalisch zuweilen querschießende Sympathen angeht, sondern vielmehr in Bezug auf ihre Einstellung zur Werktätigkeit. Dem Trio, das sich frei nach dem traurigsten Pizzabäcker Neuköllns benannt hat, wäre zuletzt nämlich nicht im Traum ein Song wie "(Ode) an die Arbeit" eingefallen. Kala Brisella feierten lieber das Nichtstun, begriffen "Endlich krank" als erstrebenswerten Zustand und machten allenfalls an ihren Instrumenten den einen oder anderen Finger krumm. Bis zum neuen Longplayer mit seinem mühseligen Titel. Doch auch hier existiert eine Zeile wie "Du bist unser working star / Wolltest Du doch immer sein" nicht ohne ein mindestens zweischneidiges "Deine Arbeit bist nicht Du / Du bist nichts ohne sie." Ein Album von Humankapital zu Humankapital?
In diesem streng funktionalen Sinne rekapituliert "Lost in labour" zu weiten Teilen den zackigen Post-Punk, den der Dreier auf dem tendenziell nebulösen Zweitling "Ghost" ein wenig aus den Augen verloren hatte – die denglischen Textfetzen lassen sich Kala Brisella gerade beim Thema Arbeitswelt aber natürlich nicht nehmen. Und jeder, der statt zum Friseur zum Hairdresser geht und es voll sad findet, dass sich dieser aus Pandemie-Gründen zu empfindlichen Umsatzeinbußen committen muss, sollte sich Gedanken darüber machen, ob er oder sie nicht selbst schon längst ein "Working star" ist, wie ihn Anja Müllers und Jochen Hakers Duett in der fabelhaft kantigen ersten Single beschreibt. Oder gar der "Dark star" aus dem ganz ähnlich gelagerten Opener. Als wäre es noch nicht genug, dass der Todesstern des Südens jedes Jahr Deutscher Meister wird.
Dass dieses Album aber weder Lakaientum noch Untätigkeit propagiert, stellen schon die kämpferischen, nach Feierabend auf einem Bierdeckel zusammengestrichenen Gitarrenschläge im Stil der ätzendsten Gang-Of-Four-Traktate klar. Ob nun atemloses "Ich bin dafür, dass wir dagegen sind" in nicht einmal zwei Minuten präzisem Geklacker oder das nur aus einer Zeile bestehende "Hörst Du", in dem Riff-Platzpatronen mit einer wurmartigem Bassfigur rangeln, Haker seine Stimme zerstückeln lässt und sie dann in die Endlosschleife schickt – viel unzufriedener könnten Kala Brisella mit der Gesamtsituation gar nicht sein. Erst recht nicht bei den dadaistisch zersprengten Vocal-Ad-Libs von "Weiße Ritter", einem Stück gegen alle kumpeligen Ausbeuter. "Sein light ist unser Leid, sein pleasure unser Feind" – egal, ob Ja, Panik einmal "Dance the ECB" forderten.
Bei allen Spitzen gegen die gesellschaftlich verderblichen Auswüchse von Kapitalismus und ruinöser Beschäftigung vergessen Kala Brisella jedoch nie, dass sie sich im Rahmen einer idealerweise kratzbürstigen Popkultur bewegen. "Das hier ist ein Kontaktversuch / Das Szenario wird neu verhandelt" – diesen Satz aus dem spitz zulaufenden Kieks-Rocker "Lost in art" kann man leicht auf ein 2020 beziehen, in dem die Protagonisten ebendieser Kultur von der Hand in den Mund leben müssen. Dennoch ist Fatalismus nicht die Sache der Berliner: "fck w" stellt mit souveränen Mitteln erstaunliche Gemeinsamkeiten von Treibhauseffekt, Pippi Langstrumpf und Angel Olsen in der Raum, und der Songtitel fährt genau wie "i c h" mit Identitätsdebatte und Poststrukturalismus Schlitten. Steile Thesen gibt es also genug – auf dem bisher vermutlich besten Kala-Brisella-Album.
Highlights
- Working star
- Hörst Du
- Lost in art
- fck w
Tracklist
- Dark star
- Dafür
- Working star
- i c h
- Hörst Du
- Dunkler Wald
- Weißer Ritter
- Lost in art
- fck w
- Bin between
- Down
Gesamtspielzeit: 39:12 min.
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