Chamber - Cost of sacrifice
Pure Noise / Membran
VÖ: 23.10.2020
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Krachtherapie
So, jetzt führen sich bitte mal alle vor Augen, was sie so im Allgemeinen mit dem Wort "Metalcore" assoziieren. Klinisch saubere Hightech-Produktionsdesaster, halbarschig singschreiende Strophen, die gern hart wären, während sie in etwa so viel Angst verbreiten wie der Angriff frisch geschlüpfter, flauschiger Entenküken? Genau. Übel peinlich benannte Bands, die zwar einen doppelten Rückwärtssalto von der Bassbox drauf haben, ohne eine einzige Note in den Sand zu setzen, aber trotzdem austauschbarer wirken als ein Billy-Regal? Unbedingt. Und natürlich: Refrains im Klargesang, die so schleimig, überbordend, vorhersehbar, phantasielos und einfach schlecht sind, dass sie nicht mal mehr das Attribut "pathetisch" verdient haben. Metalcore halt, ein Albtraum von Genre.
Dann sind da aber Chamber. Ein 2017 gegründetes Quartett aus Nashville, das tatsächlich ganz offiziell unter dem Label Metalcore läuft, jedoch so ziemlich jedes damit einhergehende Klischee wahlweise ins Leere laufen lässt – oder aber, so sie es in die Finger kriegen, windelweich geprügelt zurück an den Absender schickt. Unfrei, versteht sich. Damit steht fest, dass deren Debüt "Cost of sacrifice" einen Platz unter den besonders räudigen Platten verdient, die einem sonst vor lauter Krach und Wut das heimische Kallax-Regal zerlegen würden. Die Zutaten sind dabei natürlich klar: Chamber fahren sie alle auf, die fiesen Breakdowns, die angemetalten Hardcore-Riffs, die markerschütternden Brüllattacken, die Momente des vollständigen Chaos. Nur eben dergestalt, dass man hinhören muss. Die Kompromisslosigkeit leiht sich die Band dabei von Knocked Loose aus, den immer mitschwingenden Hang zum Komplexen bei Code Orange. Doch die Art und Weise, wie all diese Zutaten vermengt werden, bestimmt die Band selbst. Heraus kommt ein Opener wie "Fracture" der sich 25 Sekunden bedrohlich aufbauen darf, um dann Gift und Galle in alle Richtungen zu keifen. Alle Fragen sind da schon beantwortet, und doch will man mehr.
Weil es noch so viel mehr zu entdecken gibt. Etwa wie "Numb (transfuse)" nach gut drei Minuten ein Einsehen hat, in sich zusammebricht und für eine halbe Minute eine allumfassende, fast einlullende Ruhe um sich greifen lässt. Oder wie "Visions of hostility" von der ersten Sekunde auf Krawall gebürstet kein Einhalt geboten wird und das Stück sich entsprechend zur völligen Raserei hochschaukelt. Oder wie eben "Impulse" direkt im Anschluss die Trümmer zusammensucht und auf diesem Fundament einen Monolith voller Atmosphäre errichtet. Sogar mit richtig einprägsamer Gitarrenfigur. Oder wie sich "Disassemble:Reassemble" in seiner furchterregenden und doch ganz und gar nicht bemühten Industrial-Pose pudelwohl fühlt. Und wenn die Band so konsequent ist, dass sie den mit Abstand eingängigsten Momenten des Albums im Refrain von "Scars in complex patterns" das wohl fieseste Geschrei zur Seite stellt, kann man nur anerkennend den Hut ziehen und sich kopfüber in den Pit werfen.
Dann fragt man auch gar nicht mehr nach, ob man "Cost of sacrifice" ob all seiner seiner mit beeindruckender Verve dargebotenen Brutalität – und vor allem ob der überraschenden Stilvielfalt – wirklich mit dem schnöden Metalcore-Etikett bekleben muss. Man freut sich schlicht und ergreifend über 29 Minuten meist schwer verdauliche, gerne auch mal hässliche, stets unerbittliche, dafür aber hervorragend arrangierte Minuten harter Musik fernab von Fragilität oder Stumpfsinn. Ein fast therapeutisches Ventil für jedwede Form von Wut.
Highlights
- Scars in complex patterns
- Visions of hostility
- Impulse
- Cost of sacrifice
Tracklist
- Fracture
- Scars in complex patterns
- Paranoia bleeds
- Visions of hostility
- Impulse
- In cleansing fire
- Numb (transfuse)
- The edge of every lie
- Disassemble:Reassemble
- Cost of sacrifice
Gesamtspielzeit: 29:07 min.
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2020-11-04 21:15:35 Uhr - Newsbeitrag
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