Jeff Tweedy - Love is the king

dBpm / Rykodisc / Warner
VÖ: 23.10.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

I am trying to fix your heart
Hat er sie endlich gefunden? Jeff Tweedys letzte Alben suggerierten mit ihren Titeln "Warm" und "Warmer" die Suche nach etwas, vielleicht der Liebe, wie Kollege Heinecker spekulierte. Privat ist der Wilco-Frontmann zwar schon seit über zwei Dekaden verheiratet, doch als Künstler brauchte er bis ins Jahr 2020, um schließlich "Love is the king" zu konstatieren. Wieder hat sich Tweedy zurückgezogen, um seinem heißgeliebten Country gut zwei Handvoll zart gezupfter Huldigungen auszusprechen. Doch seine vierte Solo-Platte klingt feierlicher, offener als ihre Vorgänger, als wolle sie ihrer titelgebenden Erkenntnis mit gebührender Geste Nachdruck verleihen. Hier bekommt die E-Gitarre mal wieder mehr Freilauf und darf Sohnemann Spencer sein Schlagzeug etwas bestimmter bearbeiten. Der 53-Jährige selbst klingt so in sich ruhend wie eh und je, doch vibriert in seiner Stimme auch das Selbstbewusstsein der großen amerikanischen Songwriter, zu denen er längst zählt. Der gewohnten Intimität tun die lauteren Arrangements keinen Abbruch, man wähnt sich beim Hören nach wie vor im Wohnzimmer der Familie Tweedy. Und auch, wenn die kleine Schwester von Vertrautheit Langeweile heißt und nichts auf "Love is the king" wirklich aufregend daherkommt, zieht einen das Album von Anfang bis Ende in seinen Bann.
Das liegt vor allem daran, dass Tweedy weiterhin meisterhaft die Dynamik der Reduktion beherrscht. Das poppige "Guess again" treibt beschwingt seine ohrwurmende Melodie vor sich her und spricht eine entwaffnend süße Liebeserklärung aus: "And if you think that / That's the main thing / Pulling me through / Guess again / My love / It's you." Herrlich gerät auch "Gwendolyn", in dem sich die cleane Elektrische in bester "Sky blue sky"-Manier windet und der aus Illinois stammende Künstler seine bekloppte Alltagspoesie vom Stapel lässt: "Sun coming up like a piece of toast." Dagegen kommt eine erschöpfte Ballade wie "Even I can see" nur mit Gesang und ein paar perlenden Saiten aus. Interessant ist auch, dass Tweedy die auf "Warmer" noch zuweilen auftretenden Synth-Akzente weglässt, um sein Lieblingsgenre in einer so ursprünglichen Form zu würdigen wie vielleicht seit Uncle-Tupelo-Zeiten nicht mehr. Wenn in Songs wie "Opaline" oder "A robin or a wren" die Slides losheulen und sich seine Stimme sehnsuchtsvoll ans stoisch rumpelnde Rhythmus-Skelett schmiegt, lässt sich aus dem oft an ihm angebrachten "Alternative Country"-Label bedenkenlos das erste Wort streichen.
In die gleiche Kerbe schlägt auch der fidelste Track der Platte, das unbeschwert hoppelnde "Natural disaster", mit dem zweiten Sohn Sammy als gesangliche Unterstützung. Doch Tweedy kann auch ganz anders. "Here I am / There it is / At the edge / Of as bad as it gets", klagt er im eröffnenden Titelstück. Wie ein in den Seilen hängender Boxer blickt er dem letzten, fatalen Schlag ins Auge, doch rappelt er sich wieder auf. Ein verzerrt zitterndes Solo erkämpft sich mühsam seinen Weg ans Licht und gibt schließlich dem zentralen Mantra Raum: "Love is the king." Bei aller Klasse muss man ehrlich sein: Hätten Wilco immer so geklungen, wie es ihr Bandleader auf seinen Solo-Alben tut, hätten sie wohl nie ihren Status in der Königsklasse des Indie-Rock errungen. Doch die herzerwärmende, tröstende Qualität von Tweedys Musik macht ihre fehlende Abenteuerlust locker wieder wett – und wenn sich der grandiose Closer "Half-asleep" in seinen elektrisch geladenen Sog hineinsteigert, wird der Geist von "Yankee hotel foxtrot" und Co. wieder greifbar. "I wonder why we listen to poets when nobody gives a fuck", hieß es damals im monumentalen "Ashes of American flags". Vielleicht, weil sie die Welt zwar nicht retten, aber uns zumindest das Gefühl geben können, nicht alleine mit ihr klarkommen zu müssen. "When you need me / I'll be there."
Highlights
- Love is the king
- Gwendolyn
- Natural disaster
- Half-asleep
Tracklist
- Love is the king
- Opaline
- A robin or a wren
- Gwendolyn
- Bad day lately
- Even I can see
- Natural disaster
- Save it for me
- Guess again
- Troubled
- Half-asleep
Gesamtspielzeit: 39:29 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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humbert humbert Postings: 2468 Registriert seit 13.06.2013 |
2021-08-17 13:31:16 Uhr
Hier übrigens der Link dazu. Wer es sich genauer anschauen möchte. |
humbert humbert Postings: 2468 Registriert seit 13.06.2013 |
2021-08-17 13:28:16 Uhr
Tweedy ist jedenfalls sehr aktiv auf seiner neuen Mailing Liste. Alle zwei Tage bekommt man eine Mail mit Songskizzen, Touranekdoten und sonstigem Zeug. Klicke das meiste aber weg. |
Zappyesque Postings: 1012 Registriert seit 22.01.2014 |
2021-08-12 22:16:03 Uhr
Achso, dachte jetzt es hätte eine Ankündigung gegeben oder sowas… ich habe die newsletter von Wilco/tweedy irgendwann letztes Jahr abbestellt - wird einem dann doch zu viel ‚Zeug‘ angedreht. Ab und an dann halt auch mal ein neues Album zum Download ;) |
dreckskerl Postings: 11009 Registriert seit 09.12.2014 |
2021-08-12 21:21:17 Uhr
Ich bin auf der Wilco mailing list. |
humbert humbert Postings: 2468 Registriert seit 13.06.2013 |
2021-08-12 20:57:53 Uhr
Weil es mich interessiert. Ich dachte man tauscht sich hier aus … |
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Referenzen
Tweedy; Uncle Tupelo; Wilco; Loose Fur; Golden Smog; Califone; My Morning Jacket; Bill Callahan; Big Star; Shearwater; Okkervil River; Gun Outfit; R.E.M.; Calexico; Ryan Adams; M. Ward; Bonnie 'Prince' Billy; Giant Sand; Son Volt; Billy Bragg; Jason Isbell And The 400 Unit; Hiss Golden Messenger; Eddie Vedder; The Jayhawks; Justin Townes Earle; Conor Oberst; Bright Eyes; Neil Young; Bob Dylan; Willie Nelson; Neil Diamond; Leonard Cohen; The Bottlerockets; Mark Olson; Pete Krebs; Alejandro Escovedo; Rhett Miller; Patterson Hood; Willard Grant Conspiracy; Lambchop; Blake Mills; The Divine Comedy; Lucinda Williams; Neko Case; Land Of Talk; Florist; Josh Rouse
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