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Adrianne Lenker - Songs + instrumentals

Adrianne Lenker- Songs + instrumentals

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 23.10.2020

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Otari in der Hütte

Adrianne Lenker machte das Beste aus der Situation, auf ihre eigene Art: Nachdem das Jahr 2019 ein einziger Triumph für die Band Big Thief gewesen war, befand man sich im März 2020 auf ausgedehnter Europa-Tour. Dann kam der große Corona-Stop, und Frontfrau Lenker hatte auf einmal Kapazitäten frei. Sie fand eine einsame Hütte im Westen von Massachusetts und richtete sich dort mehr oder weniger häuslich ein. Wie im Inneren einer Gitarre habe es da geklungen, wenn Lenker Musik spielte. Und dass die Einsamkeit förderlich für das Songwriting einer Künstlerin wie Lenker ist, weiß jeder, der ihre Solo-Sachen, aber auch die Stücke von Big Thief kennt. Nur ihr Sound-Engineer Phillip Weinrobe hatte Zutritt, karrte analoge Tape-Maschinen heran, von denen die meisten in einem armseligen Zustand waren. Letztlich war es eine Otari 8 Track, welche die in der Hütte geschriebenen Songs für die Nachwelt festhielt. Jene Stücke bestehen ausschließlich aus Gesang und Gitarrenspiel und bilden die erste Hälfte von "Songs & instrumentals", dem neuen Doppelalbum Lenkers. Der zweite Teil besteht aus Instrumental-Collagen, welche sich aus spontanen Improvisationen von Lenker und Weinrobe zusammensetzen.

Das Schlagwort für dieses Album ist, das merkt man schnell, Intimität. Lenker hat eine Art, ihre Songs mit ihrem Gesang zärtlich zu verarzten, die für Gänsehaut und Wohligkeitsschauer sorgt. Ihre milde Stimme gleitet über die Akkorde, ist oftmals wenig mehr als ein beseeltes Hauchen. Die Tonlage dabei liegt in fragilen Höhen, der Klang ist licht und mild. Und wenn sie damit zwischenmenschliche Nähe besingt, wie in "Anything", liegt oftmals eine erlösende Aufhebung aller Widerstände in Reichweite für das Publikum, "I don't wanna talk about anything / I don't wanna talk about anything / I wanna kiss kiss your eyes again / Wanna witness your eyes again." Das Gitarrenspiel dazu ist weich gebettet, hat aber häufig einen energischen Drive, trägt die Songs entschlossen durch die fragilen Traumlandschaften.

"Forwards beckon rebound" hat zum Beispiel einen lebendigen Schwung, die Gitarre tönt agil, doch befüllt Lenker mit ihrem Gesang die Leerstellen mit weichgezeichneter Körperlosigkeit. Am Rande des Stillstands agiert hingegen zunächst "Come", welches die vollen, tiefen Gitarrentöne mit großer Zaghaftigkeit in die Leere sendet, bevor sich ein rüstiges Spiel entspinnt. Lenker gleitet wieder mit dieser eigentümlichen Mischung aus Zartheit und melancholischer Schwere über die Akkorde, und man hat das Gefühl, solche Klänge können nur von einem ganz und gar vergeistigten Wesen stammen. Denn Ecken und Kanten, sperrige Ungereimtheiten werden in einer tranzendenten Fokussierung eingeebnet. Dabei entsteht eine vollumfängliche Behütetheit, die fast greifbar ist. Die Stücke von "Songs" sind dabei eigentlich ganz schlichte Folk-Songs, die aber aufgrund des Gesang-Vortrages von Lenker ins Übernatürliche, rein Seelische verweisen.

Die zwei extralangen "Instrumentals"-Stücke treiben dann eine Auflösung von Form und Funktion voran, die mit entsprechender Geduldigkeit beim Hören in einen körperlosen Schwebezustand überführt. Da hört man in "Mostly chimes" zum Beispiel für lange Minuten nur dem scheinbar willkürlichen Klingen eines Windspiels zu, doch diese Loslösung von enganliegendem Zweck und Fokus weitet die eigene Sensorik. So entbindet man sich von der Erwartungshaltung, dass da doch jetzt eine handfeste Melodie kommen müsse und mit ihr greifbare Struktur. Doch jene beiden Klangcollagen operieren teilweise jenseits davon, stehen oft am Rande der Verflüchtigung. Dies ist dann eine konsequente Fortführung der Tendenzen zur Körperlosigkeit der "Songs"-Stücke, welche herrlich zwischen der klaren Struktur eines Folk-Songs und der sich verflüchtigenden Materie in Lenkers Gesang pendeln.

(Martin Makolies)

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Highlights

  • Anything
  • Forwards beckon rebound
  • Come
  • Mostly chimes

Tracklist

  • Part 1
    1. Two reverse
    2. Ingydar
    3. Anything
    4. Forwards beckon rebound
    5. Heavy focus
    6. Half return
    7. Come
    8. Zombie girl
    9. Not a lot, just forever
    10. Dragon eyes
    11. My angel
  • Part 2
    1. Music for indigo
    2. Mostly chimes

Gesamtspielzeit: 77:05 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

saihttam

Postings: 2359

Registriert seit 15.06.2013

2024-01-11 13:33:13 Uhr
https://www.youtube.com/watch?v=c1Zu33MrCiY

Hat eigentlich jemand schon diese wunderbare Live-Version von Anything gesehen?

saihttam

Postings: 2359

Registriert seit 15.06.2013

2022-12-31 13:13:43 Uhr
Jo, wunderbar! Sehr intime Momente!

Grizzly Adams

Postings: 4521

Registriert seit 22.08.2019

2022-12-22 22:26:53 Uhr
Wer ihre Band Big Thief mag — und das sind nicht so wenige, denke ich — muss hier reinhören. Fragilely, gradually and surrounding („ingydar“). Wunderbares Album.

Z4

Postings: 8076

Registriert seit 28.10.2021

2022-06-29 16:48:40 Uhr
Vive, wir warten auf deinen Eindruck.

myx

Postings: 4640

Registriert seit 16.10.2016

2020-10-28 17:49:25 Uhr
@vive: Auf alle Fälle vergleichbar, finde ich, aber vielleicht ist Lenker noch ein bisschen näher, präsenter als auf dem Vorgänger, was auch den Produktionsumständen zu verdanken ist. Auch kommt ausschliesslich die Gitarre zum Einsatz. - Bin gespannt auf deinen Eindruck!
Zum kompletten Thread

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