Convulsif - Extinct
Hummus
VÖ: 23.10.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
Geigenhumor
Wo soll man auch hin, wenn vor einem nur noch der Abgrund liegt und hinter einem das Unheil im Dickicht lauert? Stehen bleiben und Augen zuhalten gilt nicht. Bleibt der freie Fall ins Unbekannte oder die Konfrontation mit dem Monströsen. So oder so, ein Höllenritt beginnt. Dieses Gefühl vermittelt der Opener "Buried between one" von Convulsifs nunmehr fünftem Album "Extinct". Ein intensiv grollender Basslauf aus dem Hause Doom bildet das Fundament für ein Hin und Her aus lärmigen Stakkato-Attacken, während das Stück beinahe unbemerkt Fahrt aufnimmt. Ehe man sich versieht, ist man schon mitten im Strudel dieser Platte: unheilvolle Manie, exaltiert, hysterisch.
Auf diese Weise konstatieren die Schweizer gleich zu Beginn, welches Monster sie auf die Hörerschaft loslassen: eine Kakophonie aus Post-Metal, Jazz und Noiserock, die so einige Überraschungen bereithält. Wovon die größte eher dem Kleingedruckten zu entnehmen ist: Denn so sehr Extinct aufs geschundene Ohr den Eindruck einer – zumindest im Kern – Rockplatte macht, drücken Convulsif diesem Label klar ihren eigenen Stempel auf. Keine Gitarre! Bassklarinette! Geige! Wo sind wir hier gelandet?!
Bassist Loïc Grobéty übernimmt somit den Löwenanteil der klassischen Rock-Instrumentierung und verleiht "Extinct" einen dauergroovenden Unterton, der in seinen besten Momenten die innerlich zerissene, weltumarmende Präsenz der wiederbelebten Swans zu deren Meisterwerk "To be kind" heraufbeschwört. Das treibende Schlagzeugspiel ist zwar im Jazz zu Hause, behält aber stets die propulsive Natur der Musik im Fokus. Wenn der Wahnsinn ungebremst seinen Lauf nimmt, wie etwa im 13-minütigen "Five days of open bones", hindert die extrem tighte Rhythmussektion die Musik am Abheben. Die gellende Geige und kreischende Klarinette beschwören einen Feuersturm, der das Chaos mit aller Macht zu verschlucken droht. Ein infernalisches Monstrum bis zur letzten Sekunde.
Bei all der Intensität ist die Fallhöhe natürlich hoch. Um der ewigen Crescendo-Falle des Post-Rock, der schon viele Gruppen ungewollt zum Opfer wurden, zu entgehen, trennen Convulsif ihre überlangen Brecher eben nicht durch ambientartige Interludes oder Atmosphäre erzwingende Spoken-Word-Parts. Stattdessen gerät ein Zweiminüter wie "Feed my spirit side by side" hier zum Highlight, indem er den geballten Freejazz-Wahnsinn des vorangegangenen Fanals fieberhaft reproduziert.
Das Lebenselixier bildet in all dem Wahnsinn – wen wundert's – die Improvisation. Auf den letzten Tourneen, unter anderem durch Kuba, stellten die vier Musiker sich der Aufgabe, jeden Abend mit einer eigenen, spontanen Energie zu füllen. So entstanden unheimlich dröhnende, repetitive Rituale, die den Grundstein für "Extinct" bilden. Ganz in diesem Sinne nutzt das große Finale "The axe will break" seine fast viertelstündige Spieldauer für einen einzigen Bassgroove, der auch Tool und ihren Fibonacci-Melodien gut zu Gesicht stehen würde, und lässt das Kakophoniebiest ungebremst toben. Die bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Geige erzeugt ein Lärmgewitter, das alles umhüllt und auffrisst. Was uns zur anfänglichen Frage zurück bringt: Absprung oder Attacke? Egal, vergiss bloß die Axt nicht.
Highlights
- Feed my spirit side by side
- The axe will break
Tracklist
- Buried between one
- Five days of open bones
- Surround the arms of revolution
- Feed my spirit side by side
- The axe will break
Gesamtspielzeit: 38:33 min.
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2020-10-21 21:35:50 Uhr - Newsbeitrag
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Referenzen
Swans; Tool; Bohren & Der Club Of Gore; Russian Circles; Neurosis; Godspeed You! Black Emperor; Mogwai; Earth; Aereogramme; Melvins; SunnO))); Boris; Om; Khanate; Nadja; Jesu; Pelican; Caspian; Isis; Old Man Gloon; Sumac; Sleep; Electric Wizard; Mono; Kayo Dot; Dead To A Dying World; Locrian
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