Kadavar - The isolation tapes

Roboter / Pelagic
VÖ: 23.10.2020
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Echt kein Plan
Da geht es einer renommierten Band auch nicht anders als dem Rest. Kadavar aus Berlin steckten mitten in weltweiten Touraktivitäten, als im März dieses Virus alles zum Halten brachte. Keine triumphalen Auftritte mehr auf internationalen Bühnen, dafür jedoch reichlich unverhoffte Studio-Zeit. Nun gehört das deutsche Trio zu den Bands, die ihre Aufnahme-Sessions akribisch vorbereiten. Es werden normalerweise ausführliche Konzepte für ein neues Album erarbeitet, klar festgelegt, was man will und was nicht. Dies fiel dieses Mal alles weg, rein ins Studio und los. Bandmitglied Lupus Lindemann sagt über diese Zeit, dass er sich immer wieder frei wie ein Vogel gefühlt hat, und das hört man den resultierenden "The isolation tapes" freilich auch an. Sehr luftig ist dieses Album geworden, ungezwungen weitschweifig und leichtfüßig. Wenig dicke Hose, Retro-Rock nicht als Selbstzweck, sondern als Wurzel für ein inspiriertes Songwriting, ja, diese Quarantäne hat einen bleibenden Mehrwert geschaffen.
Vor allem hat man das Gefühl, dass Kadavar den einzelnen Bestandteilen Raum zur Entfaltung geben wollten. Da steht in "Eternal light (We will be ok)" ein dynamischer Basslauf für eine Weile ganz allein im Rampenlicht, und auch das folgende Schlagzeugspiel wird gebührend inszeniert, damit es voll zur Geltung kommt. Auch dem eröffnenden "The lonely child" wird Raum und Platz verschafft. Synthie- und Gitarrenmotive erhalten weiten Auslauf, schweifen gemächlich, aber markant durch die Klanglandschaften. "The isolation tapes" besitzt eine reizvolle Mischung aus Konzentration und Lockerheit, man kann einzelnen Tönen lange nachsinnen, weil hier nichts überladen wird. Da tröpfeln nur einige Noten aus dem Keyborard, doch durch eine reduzierte Klangfülle erhalten diese eine große Aufmerksamkeit. Auf den Punkt kommen Kadavar dabei aber auch immer wieder, eine solch maßgeschneiderte, sowohl packende wie auch leichtfüßige Hymnik wie in "(I won't leave you) Rosi" bekommen nur wenige hin. Zwischen irdischer Sehnsucht und interstellarer Rundreise liegen nur ein paar markige Riffs und ein pumpender Rhythmus.
Die beatlesken Tastentöne zu Beginn von "Everything is changing" wirken dann wieder angenehm bescheiden, es folgt jedoch wieder eine von agilen Synths begleitete Gesangsmelodie, die derart wohlgestalt auf den Punkt kommt, dass man meinen würde, man lausche einem der größten Hits einer imaginierten Super-Band aus den Siebzigern. Die Refrains, generell die Melodien auf dieser Platte besitzen eine klassische Schönheit, die zwar aufgrund ihrer klanglichen Bezüge schon retro ist, durch ihren klaren Kern jedoch eine zeitlose Strahlkraft besitzt. Doch sind es eben nicht nur die melodischen Highlight-Passagen, die dieses Album ausmachen. Die instrumentale Ausgestaltung, der Wille, wenigen Elementen gleichzeitig den größtmöglichen Raum zum Erstrahlen zu bieten, gibt "The isolation tapes" einen langmütigen, geduldigen Charakter. Dass man sich dabei nie langweilt, liegt an den wundervoll mäandrierenden Spannungsbögen. Wenn zum Beispiel im abschließenden "Black spring rising" am Ende eines atmosphärischen Orgel-Entreés jene packende Gesangspassage steht, erkennt man letztendlich, dass jene weitschweifigen, vogelfreien Ausflüge immer wieder in markanten, unheimlich berührenden End- und Höhepunkten münden. Und das ist dann auch viel mehr als nur ungezwungenes Rumprobieren.
Highlights
- The lonely child
- (I won't leave you) Rosi
- Everything is changing
- Black spring rising
Tracklist
- The lonely child
- I fly among the stars
- Unnaturally strange (?)
- (I won't leave you) Rosi
- The world is standing still
- Eternal light (We will be ok)
- Peculiareality (!)
- Everything is changing
- The flat Earth theory
- Black spring rising
Gesamtspielzeit: 46:14 min.
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