Juanita Stein - Snapshot

Nude / Membran
VÖ: 30.10.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Ein Rahmen für die Erinnerung
Wieder so eine Binsenweisheit: Große Musik entsteht oft in der Spiegelung persönlicher Tragik. Die Howling-Bells-Frontfrau Juanita Stein hat nun auch diese Erfahrung gemacht. Die Australierin spielte gerade mit ersten Songideen für ihr drittes Solo-Album, als ihr Vater Anfang 2019 schwer erkrankte. Und da wurde es ernst, Stein hielt ihre Konfusion und Angst in Songs fest, die ihr wie von selbst aus der Feder flossen. Daraus ist das Album "Snapshot" geworden, welches trotz großer melodischer Eingängigkeit vor allem Verunsicherung und Verletzlichkeit bis hin zu offen ausgebrochener Dissonanz aufbietet.
Vor allem entzieht sich Stein, deren Bruder auf diesem Album die Lead-Gitarre übernimmt, einer allzu anschmiegsamen Lieblichkeit. Viel Schmutz, kakophonische Feedbacks und oftmals dem Noise frönende Gitarren-Passagen, Stein hat viele Ungereimtheiten und Störfeuer eingebaut. Der Opener gibt sich zunächst als balladesker Klammerblues, das energisch angezählte "1, 2, 3, 4, 5, 6" verbeißt sich jedoch in jaulenden Krachspuren des Sechs-Saiters. Auch "L. O. T. F" hält sich an die dreckigen Seiten des Blues, herrlich kontrastierend mit Steins edler Gesangsstimme. Auch die Drums stampfen dabei brachial und grob, Handclaps winken fiebernd aus dem Hintergrund. Neben melodischer Geschmeidigkeit herrscht also auch dissonanter Schmerz, und dies sind die Pole, welche Stein immer wieder fein ausbalanciert.
Gerade war alles noch in Ordnung, schon rutscht man in die emotionale Ausnahmesituation, "I feel the fire / I feel the change", im dazugehörigen Refrain des Songs "Lucky" wird aus milder Melodieseligkeit eine hitzige Intensität, Steins Stimme geht schmerzliche Höhen an, und trotzdem bleibt da das Gefühl wohlausformulierter Anmut. Der Titelsong wendet sich dem Vergangenen zu, "You are a snapshot in my mind / All I can do is build a frame / Access the memory again", das Gitarrenspiel ist versonnen, treibt unterbewusst an, bettet seine Töne jedoch in ein zurückhaltendes Setting. Vergeblichkeit und Nostalgie prägen diesen weichen Song, sodass schon eine leicht intensivierte Gitarrenmelodie einen großen Fußabdruck hinterlässt. Dass dabei eine eigentlich zarte Gangart trotzdem den Raum für eine konfuse Psychedelik anbietet und somit latente Verunsicherung Raum greift, lässt den Song vielseitig glänzen.
Einsam scheint es in "From peace" neben den verloren perlenden Gitarren-Tönen zu sein, Stein steigert das Stück jedoch in eine nebulöse Orchestrierung hinein, die viel Raum für hallende Melancholie lässt. Man meint fast, man befinde sich in narkotisiertem Zustand auf einer Todesprozession, einem letzten Geleit für all das, was einem einmal wichtig war. Diese mit Western-mäßiger Grobkörnigkeit ausgestattete Endzeit-Stimmung greift auch in "The mavericks", welches seine melodische Lieblichkeit von Staub und Wüstensand umwehen lässt. Die Klänge und Töne verwischen dabei, lösen sich teilweise auf, während Streicher und ein paar energische Synthie-Klänge noch eine letzte Kontur aufrecht erhalten. Am Ende steht jedoch eine relativ lockere, handfeste Country-Nummer. Und so erscheint jenes "In the end" wie ein letzlicher Triumph der Kontrolle und der klaren Gedanken, wo vorher viel Verunsicherung und Unklarheit herrschte. Schön, dass Juanita Stein auf diese Weise aus ihrer Tragödie rausgekommen zu sein scheint.
Highlights
- Lucky
- Snapshot
- From peace
Tracklist
- 1, 2, 3, 4, 5, 6
- L. O. T. F
- Lucky
- Snapshot
- Hey mama
- From peace
- The mavericks
- Reckoning
- Take it or leave it
- In the end
Gesamtspielzeit: 36:27 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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myx Postings: 5521 Registriert seit 16.10.2016 |
2021-01-28 22:01:07 Uhr
"From Peace" ist wirklich schön, danke. In den Rest des Albums werde ich gerne mal reinhören. |
Garmadon Postings: 489 Registriert seit 29.08.2019 |
2021-01-28 21:16:21 Uhr
Drei Monate später gilt das hoffentlich nicht mehr als Spam :-DNachdem ich es heute mal wieder gehört habe, muss ich doch noch einmal Werbung dafür machen; schade, dass das hier nicht auf mehr Interesse stößt. "From Peace" ist immer noch mein Favorit und auch der Anspieltipp; "Reckoning" ist auch ziemlich gewachsen. Das ganze Album ist aber sehr homogen und trotzdem nicht langweilig. |
Garmadon Postings: 489 Registriert seit 29.08.2019 |
2020-10-24 21:46:25 Uhr
Nachdem es nun doch eine Woche früher rauskam, kann ich gleich mal mitteilen, dass ich auf Anhieb sehr begeistert bin. Die Tracks sind wie in der Rezension beschrieben zwar eingängig, haben aber auch gleichzeitig etwas besonderes. Und wenn noch ein paar weitere Songs so für mich wachsen wie "The Mavericks" es getan hat, wird es für mich auf eine 8 rauslaufen. Wobei die im Prinzip auch zum Text der Rezension gepasst hätte.Favorit neben dem oben genannten "The Mavericks" noch "From Peace". |
Garmadon Postings: 489 Registriert seit 29.08.2019 |
2020-10-02 21:34:38 Uhr
30.10.2020?!Na hoffentlich kann ich mich da noch dran erinnern. Die Vorab-Songs finde ich jedenfalls gut und bin gespannt aufs Album. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28508 Registriert seit 08.01.2012 |
2020-09-29 19:49:10 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Howling Bells; Jess Williamson; Nadia Reid; Courtney Barnett; Brigid Mae Power; Rose Elinor Dougall; Anna Burch; Nadine Shah; Lucy Dacus; Nicole Atkins; Liela Moss; Dana Gavanski; Loma; Lomelda; Gia Margaret; Madeline Kenney; Nap Eyes; Shannon Lay; Courtney Marie Andrews; Tomberlin; Helena Deland; Hand Habits; Adrianne Lenker; Big Thief; Anna Calvi; Molly Burch; Bedouine; Itasca; Katie Von Schleicher; Julie Byrne
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