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Afel Bocoum - Lindé

Afel Bocoum- Lindé

World Circuit / BMG
VÖ: 04.09.2020

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Tanz und Kontemplation

Dass die Musiklandschaft Malis weit über die Grenzen des westafrikanischen Landes hinaus ausstrahlt, hat verschiedene Gründe. Sie spiegelt die Auseinandersetzungen einer Gesellschaft, die so widersprüchlich, komplex und reich an Konflikten ist, dass beinahe überall Geräusche und Reibungen entstehen, die dann wiederum als Funkenschlag Eingang finden in ihre Lieder. Ihre Vielseitigkeit – von den psychedelischen Hypnosen des Touareg-Rock bis zu den berückenden Kora-Melodien der Mandé-Musik – fasziniert somit seit einiger Zeit Künstler aus dem Westen, die sich gleichermaßen auf Spurensuche wie auf Entdeckungstour befinden. Martin Scorseses Doku "Feel like going home" beispielsweise sucht die Wurzeln des amerikanischen Blues in Westafrika und schlägt eine Brücke zwischen zwei Regionen, die so maßgeblich von ihren Hauptflüssen geprägt waren und sind: dem Mississippi und dem Niger. In den inzwischen zahlreicher werdenden transkontinentalen Kollaborationen verschiedener Musiker fällt besonders ein Name immer wieder ins Auge: Ali Farka Touré. Spätestens seit seinem 1994 erschienenen Album mit Ry Cooder ("Talking Timubktu") liefen bei ihm die Fäden einer ganzen Szene zusammen, die das Städtchen Niafunké auf die musikalische Landkarte brachte und wenige Jahre später auch Damon Albarn anlockte. Albarn traf dort auf den von Touré protegierten Afel Bocoum und die Saat einer fruchtbaren Zusammenarbeit war gesät.

Fast zwanzig Jahre nach dem Gemeinschaftsprojekt "Mali music" produziert Albarn nun das inzwischen vierte Studioalbum Bocoums, das nach einem Niafunké umgebenden Landstrich benannt ist. Bocoum habe etwas zu sagen über den Zustand seines Landes, sich verändernde Familienstrukturen, Arbeit und den sozialen Kitt – und Musik sei nun mal sein Ventil, so der Mittsechziger. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen und bereits der Opener verrät, dass es ihm ernst ist. "Penda djiga" beginnt als spröder, staubiger Blues, der melancholisch und erdverbunden vor sich hintrottet, bis er sich langsam erhebt. Frauenchöre gehen ein lebendiges Frage-Antwort-Spiel mit Bocoum ein, das Schlagzeug nimmt Fahrt auf, die Gitarren tanzen immer wilder: Schon die ersten Minuten auf "Lindé" legen Zeugnis ab über die Brillanz und Eingespieltheit seiner Musiker und eine tranceartige Atmosphäre, in der Tanz und Kontemplation einander stets durchwirken. Auch Gegenbilder aus Stadt und Land manifestieren sich nach und nach.

"Bombolo liilo" beginnt mit freundlichen Bläsern und beschwingtem Sprechgesang auf einem Reggae-Beat – Posaunist Vin Gordon spielte einst in Bob Marleys Band – und dockt zunächst im Nachtleben Bamakos an, bevor die harfenähnlichen Klänge der Kora Tiefe und Textur verleihen. Die fröhlichen Harmonien in "Avion" und ihr versicherndes Credo "On n'est pas fatigué" versetzen geradewegs ins urbane Treiben, in dem Stimmengewirr und körperlicher Ausdruck als Bereicherung wahrgenommen werden. Doch auch die beinahe meditative Ruhe des traditionelleren Mali-Blues blitzt immer wieder auf und wird im wunderschönen "Fari njungu" von Joan Wasser (Joan as Police Woman) mit einer schwebend-ätherischen Violine betupft. Die Melodien des kargen "Jaman bisa" sind hingegen von einer feierlichen Schwermut getragen, die ein subtiler Rhythmuswechsel sanft abrollen lässt. Wellenartig, nicht explosiv: So kommt die Ästhetik dieser Lieder daher.

Der kollaborative Ansatz, der Afel Bocoums musikalisches Leben bestimmt, entwirft auch auf "Lindé" die Statik der Lieder, die wirken, als folge man einem sich langsam entwickelnden Gespräch. Neben den erwähnten Gordon und Wasser spielen auch die verschlungenen Gitarrenfiguren Mamadou Kellys und das groovende und doch elegante Drumming des kürzlich verstorbenen Afrobeat-Pioniers Tony Allen, der einen formidablen Gastauftritt auf "Djougal" hinlegt, eine gewichtige Rolle für den Fluss des Albums. Über allem schwebt die Weisheit Bocoums, der die Zügel in der Hand hält, weil er eben nicht um jeden Preis seinen Stempel aufdrücken muss. Musikalisch performiert "Lindé" seine Forderung nach der Einigkeit vieler Stimmen, die er Mali so sehr wünscht. Denn dessen Wunden reißen immer wieder auf, auch innerhalb der Band: Hama Sankaré, der als traditioneller Perkussionist auch schon mit Touré zusammenarbeitete, starb kurz nach den Aufnahmen, als eine Landmine ihn und viele weitere Mitinsassen eines Geländewagens in den Tod riss. Eine Feier des Lebens, trotz seiner Tragik, seiner Anfälligkeit – das ist der kompromisslos hoffnungsvolle Ansatz, den Bocoum entgegenhält und der die Musik auf "Lindé" so kraftvoll werden lässt.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights

  • Penda djiga
  • Fari njungu
  • Jaman bisa
  • Avion

Tracklist

  1. Penda djiga
  2. Bombolo liilo
  3. Dakamana
  4. Fari intro
  5. Fari njungu
  6. Jaman bisa
  7. Avion
  8. Sambu kamba
  9. Yer gando
  10. Kakilena
  11. Djougal

Gesamtspielzeit: 45:08 min.

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Armin

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2020-09-22 19:49:19 Uhr - Newsbeitrag
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