Into It. Over It. - Figure
Big Scary Monsters / The Orchard
VÖ: 18.09.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Bruch und Aufbruch
Musikrezeption ist ein spannender individueller Prozess. Eine Songzeile hier, eine Andeutung dort, addiert um das, was zwischen den Zeilen liegt. Garniert mit dem Effekt, den Lyrics und Musik in ihrer Kombination beim Hörer auslösen. Das darf man zuweilen und mit nüchternem Blick hier und da auch übertrieben finden. Allerdings gibt es Alben, die ohne ihren Kontext und ihre Entstehungsgeschichte nicht wirken, nicht zu greifen sind. Ende des Jahres 2016 sah Evan Thomas Weiss ohnmächtig zu, wie sein Leben aus den Fugen geriet. Nach einer Europa-Tour, während der sein langjähriger Into It. Over It.-Wegbegleiter Josh Sparks hinwarf, fand sich Weiss, zurück in den Staaten in einem kalten Winter, in einer Beziehung wieder, die er bereits nachhaltig beschädigt hatte. Die Abrechnung nahm er selbst vor, und sie war hart: Zerrütettes Privatleben, keine Arbeit, keine Krankenversicherung und tausende Dollar an Tourschulden. Und in der Analyse viele Fehler, mit denen Weiss in der Folge nur schwer klarkam.
Somit sind seinem vierten Longplayer "Figure", Nachfolger des wunderbaren "Standards", in erster Linie das Verstehen und Einordnen, das Suchen nach Halt, das Finden von Wegen aus der persönlichen Krise in die DNA gepflanzt worden. Dass dies eine emotional mitunter überfordernde Zeit war, hört man dem bewährt schönen Gitarrenrock dieses Albums nicht immer an, denn es geht auch mal lautmalerisch-befreit und von knarzenden Gitarren begleitet zu, wie in "Hollow halos" oder "We prefer indoors", einem feinen Indie-Rocker, der nach Aufbruch schreit. Es ist aber nach wie vor auch die Melancholie in Weiss' Kompositionen, der durch zarte Gitarren gefärbte Schönklang eines "Living up to let you down", der die starken Seiten des Songwriters hervorbringt und mit hörbarem Optimismus den Weg aus der persönlichen Talsohle weist. Die fast ausufernden Pop-Arrangements von "A lyric in my head that I haven't thought of yet" verrennen sich zum Glück nur in ihrem hymnischen Finale – denn es muss ja irgendwie weitergehen.
Nicht nur Weiss' Gesang, vor allem seine Intonation ruft immer mal wieder Death Cab For Cutie in ihrer Frühphase in Erinnerung. Der zart wabernde Opener "They built our bench again in Palmer Square", der besonnene Closer "A light in the trees" und die lockeren, leicht aus dem Takt flockenden "Perfect penmanship" und "Brushstrokes" lassen die frühen Nullerjahre wieder aufleben, als man Ben Gibbard jede Zeile mit Hingabe von den Lippen graste. Das mutige, mantraartige "Carry on!" im Opener jedoch meint nicht nur ein "Weiter so", denn der einstige Solo-Mastermind Weiss änderte seinen Songwriting-Prozess, öffnete sich in der emotionalen Not für neue Weggefährten. Im Sommer 2017 begann er mit Schlagzeuger und Tontechniker Adam Beck, "Figure" zu schreiben. Innerhalb von zwei Jahren kamen, verteilt über das nahezu gesamte Stadtgebiet von Chicago, über 30 Songs zustande. "Ich verdanke diesem Kerl mein Leben", sagt Weiss, und womöglich übertreibt er damit kaum. Und wem – neben Weiss und Beck – verdanken wir dieses schöne Album? So banal und abgedroschen es klingen mag: dem Leben.
Highlights
- They built our bench again in Palmer Square
- Living up to let you down
- Brushstrokes
- We prefer indoors
Tracklist
- They built our bench again in Palmer Square
- Living up to let you down
- Hollow halos
- Perfect penmanship
- Courtesy greetings
- Breathing patterns
- A left turn at best intentions
- Brushstrokes
- We prefer indoors
- Stressing down // Addressing you
- A lyric in my head that I haven't thought of yet
- A light in the trees
Gesamtspielzeit: 44:59 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Hier stand Ihre Werbung Postings: 1896 Registriert seit 25.09.2014 |
2020-09-14 15:32:02 Uhr
Klingt interessant. Im Artikel ist die erste Platte Standards falsch verlinkt. |
Kai User und News-Scout Postings: 2751 Registriert seit 25.02.2014 |
2020-09-05 12:55:53 Uhr
Ersten beiden Songs auf Spotify sind nicht schlecht aber hauen mich auch nicht direkt um.Behalte ich mal im Blick. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 26212 Registriert seit 08.01.2012 |
2020-09-05 12:23:32 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Death Cab For Cutie; Owen; Rainer Maria; The Promise Ring; Modern Baseball; Foxing; Jimmy Eat World; You Blew It!; Braid; Ben Gibbard; Rocky Votolato; The Weakerthans; John K. Samson; The World Is A Beautiful Place & I Am No Longer Afraid To Die; The Lost Patrol; Empire! Empire! (I Was A Lonely Estate); Sorority Noise; Pet Symmetry; The Hotelier; Tigers Jaw; The Wonder Years; Taking Back Sunday; Saves The Day; Joyce Manor; Slingshot Dakota; The Get Up Kids; American Football; Kevin Devine; John Vanderslice; Say Anything; Hey Mercedes; Mineral; Texas Is The Reason; Further Seems Forever; Dashboard Confessional; Hot Rod Circuit; Jets To Brazil; Brand New; Sunny Day Real Estate; Straylight Run; The Progress; Their / They're / There; Recreational Drugs; Stay Ahead Of The Weather
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