Dream Nails - Dream Nails
Alcopop! / The Orchard
VÖ: 04.09.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
(Nicht) zum Anfassen
Eins vorweg: Dieses Album hat eigentlich keine Rezension nötig. Es will nicht wissen, was man(n) denkt, es ist ihm egal, denn es ist – Achtung! – authentisch. Da ist es, dieses überstrapazierte Wort, das mit seiner inflationären Verwendung eigentlich seiner Bedeutung beraubt wurde. Aber das selbstbetitelte Debüt der Londoner Band Dream Nails ist ein Paradebeispiel, wie Kunst aus einer Haltung, einer Lebenseinstellung oder einem bloßen Gefühl entsteht. Hier werden keine Dogmen abgespult, Klischees bedient oder Erwartungen erfüllt; alles ist Gefühl zwischen euphorischem Empowerment und wütendem Kampfgeist.
Wenn das Album musikalisch mit dem Bass-Intro von "Jillian" anrollt, erinnert das kurz an "Feel good hit of the summer" von Queens of the Stone Age, doch spätestens mit den ersten Gesangsparts wird klar, dass hier musikalisch und inhaltlich tatsächlich gute Laune drinsteckt. Und schon dröhnt und dudelt der ansteckende Sound der Platte los – guter Kitsch, falls es so etwas gibt. Dass hin und wieder auch eine gehörige Portion Aggression dahintersteckt, wird spätestens im Chorus von "Corporate realness" deutlich: "You are not your job / Work is not your life / You are not what you must do in order to survive", wird dem*der Hörer*in schonungslos um die Ohren gehauen. Schreibt das mit! Nebenbei ist hier noch hörbar, wie gut sich punkige Wut und Kaugummi-Klänge vertragen können.
Genau das scheint die Leitlinie oder das Geheimnis des Albums zu sein – es ist die Hand auf der Schulter, die sagt: "Es ist okay, leb dich aus", und die Faust, die eine klare Grenze zieht. Diese beiden inhaltlichen und stilistischen Schwerpunkte clashen am deutlichsten an den direkt aufeinanderfolgenden Songs "Text me back" und "Vagina police". Ersterer beschreibt die Verunsicherung, wenn die Nachricht an die Bekanntschaft des gestrigen Abends zwar gelesen, aber nicht sofort beantwortet wird; zweiterer kritisiert fehlende körperliche Selbstbestimmung.
So ballert das Album die meiste Zeit fröhlich vor sich hin, doch scheint es bei aller überwiegenden Euphorie am Ende noch einmal kurz sagen zu wollen: "Wir müssen reden!" Der Ton verschärft sich. Plötzlich wabern Gitarren in The-Cure-Manier durch die Strophe von "Payback". Es ist ein Blick ins Gedächtnis, ins Unterbewusstsein, wo all die erlebten Kränkungen und Verletzungen abgespeichert sind: "I remember what you did / I remember what you said." Aber dem Nachgeben ist, wenig überraschend, keine Option. Im Chorus springt einen wieder die wilde Entschlossenheit an, später nur noch gesteigert durch die wütende Bestandsaufnahme "We can't live like this". Garniert ist der Song auch mit einem Slogan der Aktivist*innen von Sisters Uncut. Damit auch wirklich alle nachvollziehen kann, worum es hier geht, gibt es einen Nachrichtenausschnitt über einen Angriff auf zwei Frauen in einem Londoner Bus und die entsprechende musikalische Reaktion als Finale des Albums: "Kiss my fist".
Highlights
- Corporate realness
- Vagina police
- People are like cities
- Payback
Tracklist
- Affirmations (Skit)
- Jillian
- Do you want to go to work (Skit)
- Corporate realness
- Text me back (Chirpse degree burns)
- Women and non-binary people to the front (Skit)
- Vagina police
- DIY
- People are like cities
- Swimming pool
- This is the summer
- Fighting tips (Skit)
- Payback
- Kiss my fist
Gesamtspielzeit: 24:34 min.
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