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Bright Eyes - Down in the weeds, where the world once was

Bright Eyes- Down in the weeds, where the world once was

Dead Oceans / Cargo
VÖ: 21.08.2020

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Ganz bei Trost

Mit dem Aufhören anzufangen, ist schwierig. Erst recht, wenn die Tätigkeit Spaß macht. Trotzdem war 2011 bei Bright Eyes die Luft raus. Die Band hatte nach über 15 Jahren des gemeinsamen Musizierens kaum noch zündende Ideen, Frontmann Conor Oberst tanzte ohnehin schon seit geraumer Zeit auf anderen Hochzeiten. "The people's key", das damals veröffentlichte Abschiedsalbum, war nicht übel, aber ließ den Furor früherer Werker vermissen. Ausschließen wollte Oberst eine Rückkehr danach aber nie so ganz. Alte Liebe und so. Neun Jahre später geisterten auf einmal Teaser durchs Internet. Gerüchte wurden laut, dann bestätigt. Singles erschienen, ein bisschen Hype entstand. Dann grätschte die Realität dazwischen. Seitdem steht die Welt Kopf. Die Wirklichkeit kann man sich ebenso wenig aussuchen wie den Chef. Aber vielleicht kommt "Down in the weeds, where the world once was" deshalb exakt zum richtigen Moment.

Sich auf Conor Oberst zu konzentrieren, liegt nahe. Doch Bright Eyes klingen auch und gerade wegen der anderen beiden permanenten Mitglieder wie sie klingen. Mike Mogis kombiniert auch im Jahr 2020 Klänge verschiedenster Herkunft zu kleinen großen Kunstwerken. Und Nate Walcott steuert weiterhin grandiose Ideen bei, wenngleich sie nicht mehr so prominent wie auf "I'm wide awake, it's morning" sind. 14 Songs umfasst das Album. Das ist ganz schön viel, wobei die epische Breite eines "Lifted" freilich vermieden wird. Stattdessen fällt das Songwriting fokussiert aus. Reif könnte man auch sagen. 40 Jahre alt ist Oberst vor kurzem geworden. Wer sich nach der Teenage Angst der Frühwerke zurücksehnt, muss enttäuscht werden. Alles andere wäre aber auch peinlich gewesen. Dennoch ist "Down in the weeds, where the world once was" ein ziemlicher Brocken. Ausschweifend arrangiert, vielseitig bis kryptisch, was die Themen angeht. Es geht mal wieder ums Ganze.

Das Album beginnt so, wie es sich gehört: mit einem Intro, das den Hörer gründlich verwirrt. Sprachfetzen, Geräusche, Samples überlagern sich bis zur Kakophonie. Danach stolpern ein paar Musiker ins Studio und die Band setzt ein. Und plötzlich ist alles gut. Plötzlich ist es wieder da, dieses Gefühl, das man vergessen glaubte. Oberst erzählt. In Bildern, die sich nicht sofort erschließen, irgendwo zwischen dem Privaten und der Ewigkeit. Gewidmet ist das Album dem 2016 verstorbenen Bruder des Sängers. Und obwohl der Vokalist die Nacktheit früherer Tage gegen einen Mantel aus Metaphern getauscht hat, ist spürbar, dass ihn allerhand beschäftigt. "Dance and sing" wird so zur Hymne auf das Weitermachen. Nicht jeder Song erreicht diese Wucht. Aber keiner ist überflüssig. Wie aus einem Guss reihen sich die Tracks aneinander, wobei zunächst primär die Produktion beeindruckt. Was da alles musiziert, dürfte kaum auf eine handelsübliche Bookletseite passen. Mogis nutzt Opulenz allerdings nicht, um den Hörer zu erschlagen. Vielmehr bekommt jede Stimme, jedes Instrument den richtigen Moment an der Sonne. Ja, auch der Dudelsack. Der darf in "Persona non grata" tröten, was zunächst irritiert und dann begeistert.

Aber was will er jetzt eigentlich, dieser Conor Oberst? Für eine Antwort ist es noch zu früh. Wahrscheinlich mehr, als vernünftig gewesen wäre. Allerdings wissen er und seine Mitstreiter genau, wann sie das Tempo reduzieren müsen. So sind es gerade die unscheinbaren Momente, die faszinieren. "Pan and broom" ist so einer. Manchmal reichen eben ein stoisch dahinpluckernder Drumcomputer und eine schöne Melodie. Wobei praktisch jeder Song mindestens eine solche enthält. Mal in Form eines überwältigenden Crescendos wie in "Forced convalescence", mal als zärtliches Trompetensolo wie im "Stairwell song". Das Knarzen und Krächzen der Anfangsjahre fehlt allerdings. An der überragenden Qualität der Musik ändert das nichts. Wenn sich "To death's heart (in three parts)" aufbäumt, bleibt nur Ergriffenheit. Und wenn Oberst in "Tilt-a-whirl" sich ganz der Melancholie hingibt, dann erübrigen sich blöde Fragen. Das ist alles so schön, so richtig, so bitter nötig.

Ein Händchen für einprägsame Popsongs besitzt die Band noch immer. "Mariana trench" erinnert mit seinen sich überlagernden Schlagzeugspuren und Gitarrenelementen an "Digital ash in a digital urn". Neue Wege schlägt hingegen "One and done" ein: Ganz bei sich singt Oberst vom Verblühen der Gefühle, während sich ein Streichorchester gegen das Unvermeidliche aufbäumt. Eine Nummer kleiner war nicht drin. Am Ende steht ein tröstlicher Gedanke. Der "Comet song" zaubert zunächst ein Lächeln aufs Gesicht, zu welchem sich rasch die eine oder andere Freudenträne gesellt. Dann ertrinkt die Schönheit in Lärm. Insgesamt hat sich die Welt in den letzten neun Jahren wahrscheinlich nicht zum Besseren entwickelt. Deshalb den Kopf in den Sand zu stecken, kann aber auch keine Lösung sein. Durchhalteparolen dürfen andere verkünden, Bright Eyes widmen sich ihrem Kerngeschäft. "To love and to be loved, let's just hope it is enough", verkündete Oberst einst. Das Echo war überfällig.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights

  • Dance and sing
  • One and done
  • Persona non grata
  • Comet song

Tracklist

  1. Pageturners rag
  2. Dance and sing
  3. Just once in the world
  4. Mariana trench
  5. One and done
  6. Pan and broom
  7. Stairwell song
  8. Persona non grata
  9. Tilt-a-whirl
  10. Hot car in the sun
  11. Forced convalescence
  12. To death's heart (In three parts)
  13. Calais to Dover
  14. Comet song

Gesamtspielzeit: 54:46 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Takenot.tk

Postings: 2131

Registriert seit 13.06.2013

2021-05-01 09:33:37 Uhr
Da wäre ich auch bei, ein gutes Album für je Session, kann man auch beruhigt mal 5 Minuten zu spät kommen und den ersten Song verpassen 😉

Ich mag die Produktion hier sehr. Teilweise sehr opulent, aber im Gegensatz zu Cassadagga, wo diese Opulenz auch schon teilweise versucht wurde und etwas unbeholfen klang, wirkt das hier auch richtig gut umgesetzt. Mit ist es selten zuviel.

dreckskerl

Postings: 9765

Registriert seit 09.12.2014

2021-05-01 08:41:16 Uhr
Für diesen Song sehe ich das auch so.
Aber ein wenig bin ich auch bei humbert, mir ist der ein oder andere Song auch zu üppig arrangiert/produziert.
Wie ein Gericht mit 2 Gewürzen zu viel in der Sauce.
Eine listening session wäre wunderbar um sich da genauer zu "streiten" :)

jo

Postings: 5658

Registriert seit 13.06.2013

2021-05-01 08:08:36 Uhr
Sehe ich auch so. Bei Musik gibt es für mich nicht wirklich so was wie ein "show, don't tell" ;).

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31659

Registriert seit 07.06.2013

2021-05-01 00:31:14 Uhr
Naja, aber das ist doch quasi die Szene.

humbert humbert

Postings: 2406

Registriert seit 13.06.2013

2021-04-30 21:34:15 Uhr
Ich finde das gar nicht nötig. Der Text ist stark genug, dass muss nicht zusätzlich musikalisch unterstrichen werden. Passt aber natürlich schon, am Ende nochmal das große Orchester auszufahren.
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