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Seeming - The birdwatcher's guide to atrocity

Seeming- The birdwatcher's guide to atrocity

Artoffact / Cargo
VÖ: 21.08.2020

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Der Untergeher

"Wisst Ihr noch, das allererste Album der 2020er-Jahre?" So werden es sich die Rezensenten dereinst im Seniorenstift zuraunen, während sie ihren Zwieback beim Radiohead- und The-National-Hören leiser in die Pilzrahmsuppe tunken. Dabei wurde besagter Longplayer von Plattentests.de gar nicht berücksichtigt: "Midnight to midnight" flog eher unter dem Radar, da Seeming-Mastermind Alex Reed die zehn Stücke am 2. Januar von 0:05 bis 20:30 Uhr exklusiv unter den Augen seiner Patreon-Follower schrieb und einspielte. Freiwillige Prä-Corona-Isolation sozusagen – rund drei Monate später stellte der Amerikaner mit der Cover-Sammlung "Live from quarantine" zudem einen Home-Release zur Pandemie online. "The birdwatcher's guide to atrocity" ist genau genommen also Reeds drittes Album in weniger als einem Dreivierteljahr – und vermutlich auch sein bestes.

Doch der Mann aus Ithaca, New York ist nicht nur Vielveröffentlicher, sondern auch Musikprofessor an der dortigen Hochschule und nähert sich Verfall und Untergang von einem humanistischen, wenn auch düsteren Standpunkt aus. Das war schon bei seiner vorigen Band ThouShaltNot so, die den apokalyptischen Aspekt des elektronischen Pop befunzelte – Seeming setzt zwar an einem ähnlichen Punkt an, hantiert aber auch mit jenseitig gecroontem Torch-Song, verschachtelten Knatter-Grooves und bedrohlichen Lärm-Aufmärschen. Es bleibt nun mal einiges hängen, wenn man bereits Monographien zur Geschichte des Industrial sowie zu They Might Be Giants verfasst hat, und der unruhige Opener "The fates" kündet mit donnernden Fanfaren und durchdringendem Todesgespenster-Gekiekse unheilvoll von den in Aussicht gestellten Grausamkeiten.

Einer der wenigen alarmierenden Momente eines Albums, das seine dräuenden Sujets so geistreich wie stilistisch vielfältig verhandelt und ob des nahenden Endes zur Demut mahnt – was im Jahr 2020 gar nicht mehr so unrealistisch erscheint wie in Zeiten, als mit AHA zumeist noch eine norwegische Band gemeint war. Der Hit zum vorsorglichen Regeln der letzten Dinge heißt "Go small", speist sich aus zustechendem Synthie-Akkord, klackernden Percussions und New-Wave-Romantik – als würden These New Puritans die ollen Tears For Fears mit den Worten "the Earth is radiantly suicidal" zum letzten Tanz bitten, bevor die Menschheit lachend ins Verderben rennt. Noch elegischer dreht "Someday Lily" auf, sabotiert eine umarmende Melodie aber mit kaltgepressten Post-Dubstep-Beats. Denn was wäre so ein Weltenende ohne ein bisschen was zu tanzen?

Findet auch "End studies" und inszeniert giftige EBM als eine Art zerhackte und leicht verbogen wieder zusammengesetzte Fassung des Covenant-Klassikers "Bullet". Das doppelbödige "Permanent" hingegen kontrastiert ein Kriegsschicksal mit wehmütgen Erinnerungen an juveniles Rummachen, bis der bedröppelte Kriechstrom plötzlich auf einen launigen Bewusstseinsstrom prallt, was dem Stück viel von seiner Schwere nimmt. Reed hat nämlich, wie man seit seiner "Last Christmas"-Interpretation voller Joy-Division-Zitate weiß, nicht zuletzt Humor und lässt Bill Drummond von The KLF in der versonnenen Klimperei "Learn to vanish" gar knuffige Ratschläge zur gedeihlichen Daseinsbewältigung verlesen. Womit alles gesagt wäre: Back einen Kuchen, streichel eine Katze, pflanz einen Baum, höre dieses Album. Bevor alles den Bach runtergeht.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights

  • Go small
  • Someday Lily
  • End studies
  • Permanent

Tracklist

  1. The fates
  2. Go small
  3. Someday Lily
  4. The flood comes for you
  5. Remember to breathe
  6. End studies
  7. Permanent
  8. Reality is afraid
  9. Learn to vanish (feat. Bill Drummond)
  10. Celebration song

Gesamtspielzeit: 37:11 min.

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Armin

Plattentests.de-Chef

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Registriert seit 08.01.2012

2020-08-16 21:02:03 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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