Jason Molina - Eight gates

Secretly Canadian / Cargo
VÖ: 07.08.2020
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Leere, um davon zu erzählen
Jason Molinas Geschichte vom Ende her zu erzählen, als eine tragische, eine vom langsamen Verschwinden, die sein trauriger Tod 2013 im Alter von 39 Jahren beschloss, ist zu einfach und wird einem Künstler nicht gerecht, der sich stets seinen ästhetischen Ideen verschrieben und untergeordnet hat. Und doch schimmerte in seinen Liedern immer wieder etwas Geisterhaftes, Entrücktes durch, eine Auseinandersetzung mit der Leere, die vielleicht nur deswegen leer erscheint, weil sich noch kein rechtes Sensorium für sie gefunden hat. Zu Beginn seiner Karriere, als Songs: Ohia, verdichtet sich dieser Versuch zu kargen, teils experimentellen Liedern von dunkler Schönheit, die aber immer schon ein Fundament im Folk, Blues und Country haben – bloß sehr eigenwillig interpretiert und in die Weite des Mittleren Westens projiziert. 2003 schreibt Molina dann das Album, in dem sich dieser Hintergrund mit immenser Spielfreude Bahn bricht: Es gelingt ihm ein Triumph des Alt-Country und Indie überhaupt, und Magnolia Electric Co. wird im Folgenden auch der neue Name seiner Band, die Musik vorübergehend etwas geerdeter, lauter und aufgeräumter.
Sechs Jahre später – Molina lebt inzwischen in London – sind seine gesundheitlichen Probleme schon ein Stück vorangeschritten, und er findet sich zu einer seiner letzten Aufnahmesessions im Studio ein, aus denen auch das vorliegende Album resultiert. In Briefen berichtet er von einem lähmenden Spinnenbiss während der vorangegangenen Tour in Italien, der ihn in die Isolation des Liederschreibens getrieben habe, von grünen Papageien in seinem Innenhof, die er regelmäßig füttere, von der Stadtgeschichte Londons. Wahrheit und Legende verschmelzen also im Entstehungsmythos von "Eight gates", wie es der verschmitzte Molina gerne fabriziert hat. Klar ist: Die kurze Liedersammlung beginnt mit Field Recordings, auf denen heiteres Vogelzwitschern erklingt. Doch der Schein trügt, Drones und spärliche, verhallende Gitarrenfiguren reißen aus den idyllischen Träumereien, Molinas Tenor erklingt so intensiv, so fragil und doch kraftvoll, wie es ihm niemand nachmacht. Mit "Shadow answers the wall" folgt der einzige Song, der ein wenig nach Band klingt, Schlagzeug und düster-treibender Bass inklusive, doch die unheimlichen Bilder Molinas und sein ungreifbar dahinschwebender Gesang lassen kein Aufatmen zu. Zum Glück fangen die zwitschernden Vögel beinahe jeden verklingenden Song wieder auf.
Denn um es ehrlich zu sagen: Es fällt nicht leicht, den neun Liedern und der knappen halben Stunde auf "Eight gates" zu lauschen. Auch bilden sie sicher nicht den besten Einstieg in Molinas Schaffen. Tieftraurig und verloren, auf schmerzhafte Weise zärtlich kommen sie daher, bisweilen auch etwas roh und skizzenhaft, was ihrer Wirkung jedoch keinen Abbruch tut. Die Leere ist förmlich greifbar wie sonst lediglich bei den späten Talk Talk, wenn Molina nur von Ambientflächen, Cello und verfremdeter Gitarre begleitet wird. Zwischendurch finden sich rein akustische Stücke wie das berührende "The mission's end" mit seinem Schlussmantra "We're all equal along this path" oder auch "She says" – hier gemahnt die Stimmung der Aufnahmen ein wenig an Nick Drakes zerbrechliches Meisterwerk "Pink moon". Und wenn "Thistle blue" Molinas charakteristische Gitarre mit einer unheilschwangeren Orgel konterkariert, fühlt man sich an die alten Songs:-Ohia-Zeiten zurückerinnert.
Generell ist die Veröffentlichung posthumen Materials ja ein etwas fragwürdiger Vorgang, schließlich hat niemand mit dem Künstler absprechen können, was da gerade der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Aber "Eight gates" ist bei aller bedrückenden Atmosphäre auch ein Ausdruck der eindringlichen Brillanz Molinas, während es den Bogen zu den Anfängen schlägt: Am ehesten gruppiert es sich im Kontext seines Werkes wohl mit den Gespenstersonaten von "Ghost tropic" oder dem gospelhaften Wunsch nach gemeinschaftlicher Rettung auf "Didn't it rain". Schließlich ging es Molina so oft auch um die soziale Aufgabe und Weisheit von Liedern, in denen sich die Abwesenheit teilen, der Solipsismus aushebeln, der Stille etwas abringen lässt – in diesem Zusammenhang sprach er einmal von der schuldhaften Freiheit des Musikers, der den Müll nie selbst leert, sondern bloß diejenigen beobachten kann, die sich darum kümmern. Und so resümieren die enigmatischen Schlusszeilen auf "Eight gates" vielleicht das ästhetische Programm und die Motivik Molinas auf ihre Weise am besten, wenn er singt: "I showed you the scarecrow's heart / The crossroad and the emptiness/ Remember we were the nameless ones / Not the lonely."
Highlights
- Shadow answers the wall
- The mission's end
- Thistle blue
- The crossroad + the emptiness
Tracklist
- Whisper away
- Shadow answers the wall
- The mission's end
- Old worry
- She says
- Fire on the rail
- Be told the truth
- Thistle blue
- The crossroad + the emptiness
Gesamtspielzeit: 25:16 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
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Vive Postings: 484 Registriert seit 26.11.2019 |
2020-08-10 16:24:53 Uhr
hab anderthalb songs gehört und mich entschieden, es abzuschalten. nicht, weil es schlecht wäre, ganz im gegenteil; aber es ist einfach so depri. vor allem auch, weil jason schon tot ist.hat sich ähnlich angefühlt wie "a crow looked at me" von mount eerie. verpack ich momentan nicht. das ist so, als hätte man penibel kalorien gezählt und würde dann einen süßigkeiten-binge starten. nach einem kitkat chunky schnell alles wegräumen und grad nochmal die kurve gekriegt. |
cargo Postings: 617 Registriert seit 07.06.2016 |
2020-08-10 09:36:02 Uhr
Molinas meiner Meinung nach bester unveröffentlichter Song gibt es leider weiterhin nur als Live-Bootleg:https://soundcloud.com/jacob-evans-57/songschicago05-all-of-you-in-your-darknesses-alone Hatte minimal Hoffnung, dass der auf "Eight Gates" mit drauf ist. |
Vive Postings: 484 Registriert seit 26.11.2019 |
2020-08-09 16:30:06 Uhr
das hör ich mir sobald wie möglich an. songs ohia liebe ich sehr, man muss aber auch in der Stimmung sein.. |
cargo Postings: 617 Registriert seit 07.06.2016 |
2020-08-03 09:02:43 Uhr
Ich bin großer Jason Molina Fan, finde die Platte aber ziemlich verzichtbar. Es sind halt fast ausnahmslos trotzdem Songskizzen und alle Aspekte, die in der Rezension gelobt werden (Authenzität, Intimität etc.) sind auf etlichen anderen Releases von ihm viel eindringlicher zu hören. Generell ist die 8/10 im Vergleich zu seinem restlichen Material extremst übertrieben. |
Xavier Postings: 448 Registriert seit 25.04.2020 |
2020-07-31 21:43:31 Uhr
8/10: Passt. Gratuliere. |
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Referenzen
The Magnolia Electric Co.; Songs: Ohia; Neil Young; Will Oldham; Palace Brothers; Bill Callahan; Smog; Will Johnson; Townes van Zandt; South San Gabriel; The Jayhawks; Cat Power; Silver Jews; Sun Kil Moon; St. Thomas; Nina Nastasia; The Mountain Goats; Sophia; Talk Talk; Mark Hollis; Timesbold; Savoy Grand; Dakota Suite; Midnight Choir; Red House Painters; Low; Nick Drake; Tim Buckley; Sparklehorse; Tindersticks; Grant Lee Buffalo; Mark Lanegan
Surftipps
- https://jasonmolina.com/
- https://secretlycanadian.com/artist/jason-molina/
- https://www.youtube.com/c/secretlycanadianinc/videos
- https://en.wikipedia.org/wiki/Jason_Molina
- https://www.allmusic.com/artist/jason-molina-mn0000950018
- https://rateyourmusic.com/artist/jason-molina
- https://www.discogs.com/de/artist/364910-Jason-Molina
- https://www.chicagoreader.com/chicago/jason-molina-songs-ohi a-magnolia-electric-co-secretly-canadian/Content?oid=1516364 3
- https://believermag.com/logger/jason-molinas-love-and-work/
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