Provinz - Wir bauten uns Amerika
Warner
VÖ: 17.07.2020
Unsere Bewertung: 4/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Verschwende Dein Talent
Ach, wie einfach es ist, Dinge abzulehnen. Unerwartet und vor allem uneingeladen aufkreuzen, "Das find' ich scheiße!" hinrotzen und einfach wieder von dannen ziehen. Das kann nicht, das soll nicht, das darf nicht, und überhaupt ist doch eh alles total doof. Gibt ja sogar Leute, die auf dieser Kakophonie des Stumpfsinns eine Lebenseinstellung oder, noch schlimmer, eine Ideologie zusammenschustern. Doch darum soll es hier nicht gehen. Sondern vielmehr um den Versuch, Wege zu finden, etwas zu mögen, anstatt Gründe zur Ablehnung herunterzurattern. Ersteres ist nämlich sehr viel schwieriger.
Zumal einem Provinz mit "Wir bauten uns Amerika" die Sache mit der Ablehnung so leicht machen würden: Bisschen abkotzen über eine schön trendige Folk-Pop-Jungsband, über die Kälte der annenmaykantereitigen Biederkeit, über ironisch getragene Schnurrbärte, über twenage-angstige Stories von Mädchen, Suff und Verlorensein und überhaupt ist doch eh alles total doof. Nun ist es aber auch so, dass man beim Spaziergang durch die hier versammelte Instrumentierung und beim Blick auf so manches Arrangement mit großem Vergnügen anerkennt, dass hier Feinde des Dilettantismus am Werke sind. Viel Klavier-Fundament, die eine oder andere Spielerei nebendran, ein Gespür für die gute, alte Laut-Leise-Dramatik: Provinz beherrschen das alles. Ziemlich gut sogar. Dass Sänger Vincent Waizenegger dazu noch tatsächlich sein Handwerk versteht, kann die Chose dann kaum schlechter machen.
Sollte man meinen. Sollte, weil genau an diesem Punkt das Kartenhaus in der Provinz geradezu zusammensackt. Ja, im Hinterkopf räuspert sich Thees Uhlmann, verschränkt Tom DeLonge die Arme und vernuschelt Marcus Wiebusch ein paar Silben rund um zweierlei Maß. Aber: Nur weil man singen kann, muss man diese Tatsache nicht wie eine Monstranz vor sich her tragen. Und man muss schon gleich gar nicht bei jeder Gelegenheit eine superexaltierte, artsy-fartsy verschliffene Artikulation pflegen, die sich nicht nur eher nach acht Bier in der Trinkeranstalt als nach Kunst anhört, sondern in erster Linie mal den Songs im Wege steht. Weil: Die wären gar nicht so schlecht. Fast schon brutal fürs Formatradio getrimmt, aber an sich keinesfalls schlecht. Der Opener "Mach Platz!" schafft es – wenn man das "Mach Blatz, mach Blaatz, mach Blaaaaaaaaaaaatz / Fiauuuuuuu-uuuns" überstanden hat - mitsamt seiner Jim-Morisson-Referenz entsprechend unfallfrei auf die Habenseite.
Auch "Augen sind rot" geht komplett klar, "Du wirst schon sehen" lässt im Finale eine wirklich schöne Gitarrenfigur im Hintergrund werkeln, und "Schieß mich ab, wie Diego Maradona" wäre – das Gros der Lyrics kann man ohnehin bedenkenlos durchwinken – an sich eine ganz witzige Zeile. Wenn die Musik dazu nicht treffsicher dahin zielen würde, wo es richtig weh tut. "Ahahahahahahahah, Diego Maradona!" – demnächst auch auf der Kirmes, der Dult oder dem Volksfest Eures Vertrauens. Man wird ganz allgemein ob all der vielversprechenden Ansätze, die verstreut auf "Wir bauten uns Amerika" im Wiederholungstreibsand verenden, den Verdacht nicht los – hier stand ein ganz mieser Berater im Studio und sorgte dafür, dass hier noch ein paar Mal der Refrain kommt und nicht ein potenziell interesanter C-Teil. So hat fast jedes Stück nach einer Minute alles erzählt, um dann von Waizenegger niedergebrüllt und schließlich zu Ende verwaltet zu werden. Mit viel Refrain. Einzelne Beispiele herauszuheben? Sinnlos. Böse Zungen würden unken, es solle ja niemand überfordert werden. Doch im Ernst: Provinz sind eine gute Band. "Wir bauten uns Amerika" haben sie aber kolossal in den Sand gesetzt. Schade ums Talent.
Highlights
- Mach Platz!
- Augen sind rot
Tracklist
- Mach Platz!
- Tanz für mich
- Augen sind rot
- Diego Maradona
- Du wirst schon sehen
- Verlier Dich
- Chaos
- Wenn die Party vorbei ist
- Nur bei Dir
- Nur Freunde
- Ich baute dir Amerika
Gesamtspielzeit: 37:36 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27190 Registriert seit 08.01.2012 |
2020-09-25 19:32:23 Uhr - Newsbeitrag
Das offizielle Musikvideo zu "Chaos" lässt einen kurzen Blick zu in eine stereotype Welt der High-Society. Mittendrin: die Mitglieder von Provinz als Söhne aus gutem Hause. "Wir wollten das Thema im Video zu `Chaos´ ironisch und überzogen darstellen. Deshalb der Kontext des reichen Golfers, der nicht zu uns passt", so die Band zu dem Clip, der passend zum Songtitel im Chaos endet. „Alles war angerichtet für den sehr großen Wurf“, schilderte die Süddeutsche Zeitung vor einigen Wochen mit Blick auf den großen Rummel um Provinz vor der Veröffentlichung ihres Debütalbums. Ausverkaufte und hochverlegte Touren, Auftritte in begehrten TV-Formaten wie „Inas Nacht“ (ARD), „aspekte“ (ZDF) oder „Late Night Berlin“ (ProSieben), Vergleiche mit AnnenMayKantereit oder Faber – in nur einem Jahr mauserten sich die Newcomer aus Ravensburg zur neuen deutschen Musikhoffnung. Provinz hatten ein riesiges Momentum, fehlte nur noch das Debütalbum „Wir bauten uns Amerika“. Stattdessen kam: der Lockdown. „Tötet der Stillstand also den Hype?“, fragt die Süddeutsche im selben Artikel. Inzwischen wissen wir: mitnichten. Im Juli eroberten Provinz mit ihrem Debütalbum „Wir bauten uns Amerika“ Platz 4 der deutschen Charts – ein herausragender Erfolg für ein Album, an dem alles stimmt, von der mitreißend handgemachten Folk-Pop-Instrumentierung über die Stimme von Frontmann Vincent, der sich mit jeder Faser seines Körpers in seinen frenetischen Stream-of-Conscious-Gesang hineinlegt, bis hin zu den Lyrics, die wahrhaftige Geschichten zwischen der ersten großen Liebe und dem letzten großen Absturz erzählen. In „Chaos“ beispielsweise, nach „Augen sind rot”, „Wenn die Party vorbei ist”, „Nur Freunde”, „Verlier Dich”, „Diego Maradona” und „Tanz für mich” die letzte Single-Auskopplung vom Album. „Wollte kein Chaos, ich wollte dich“, wundert sich Vincent darin, wie aus seiner Beziehung ein derartiger Scherbenhaufen werden konnte. Wo einst Feuer war, ist nur noch Glut und selbst die ist kurz vor dem Verglimmen: „Zieh ein letztes Mal und dann drück mich aus“, fordert er seine Freundin auf, unfähig, selbst den Schritt zu tun: „Jetzt will ich gehen, doch ich schaff’ es nicht“. Gefangen zwischen Gewohnheit und gähnender Leere, irrlichtert Vincent in der Beziehung umher, „Reiß mich los, will nicht wieder zurück, nur wissen wo du heut’ Nacht bist“. Er sehnt sich nach Einsamkeit, zugleich ist da die Angst vor dem Danach: „Es geht mir gut alleine, geh, aber bitte ersetz mich nicht“. „Chaos“ ist der einzige Song des Albums, den die Band nicht vorab schrieb, bevor sie ihm im Studio mit Produzent Tim Tautorat (u.a. AnnenMayKantereit, Faber, Jeremias) dem Feinschliff verpasste. „Der Song wurde unter anderem daher erst skeptisch gesehen und später mit großen Enthusiasmus gefeiert“, wie die Band kommentiert. Zum Inhalt sagen sie: „’Chaos’ handelt von einer sich dem Ende neigenden Liebesbeziehung. Nähe und Distanz führen zu Reibungen und Chaos. Die anfängliche Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit vergeht und lassen Gefühle kälter und einseitiger werden.“ |
noise Postings: 998 Registriert seit 15.06.2013 |
2020-08-08 18:43:10 Uhr
Ich zitiere mal:Arte sagt: „Provinz kann man ohne Vorbehalte in einem Atemzug mit AnnenMayKantereit oder Faber nennen“....und genau das ist das Problem. |
Mister X Postings: 3401 Registriert seit 30.10.2013 |
2020-08-03 02:56:28 Uhr
Hab die Band jetzt mal etwas verfolgt, sei es Interviews und Instagram. Sau cool sind sie ja. Die Ep hab ich mir ebenfalls gegönnt und musste leider feststellen dass sie auch bei Casper (Zu jung) bedient haben. Annenmays Piano von Vielleicht, Vielleicht verwenden die Jungs auch ganz gerne mal.Die Aussprache des Sängers wirkt auch etwas gekünzelt. Normal würde ich solche Acts direkt zu den Akten legen, aber ich sehe etwas in den Jungs. |
Pole Postings: 142 Registriert seit 03.11.2018 |
2020-07-31 18:56:06 Uhr
Also der Name der Band ist gut gewählt. |
DashboardConfessional Postings: 2 Registriert seit 30.07.2020 |
2020-07-31 11:21:23 Uhr
Faber als Assoziation passt sicherlich auch ab und an, ist aber auch nicht die Schlechteste, und neu ist heutzutage eh nix mehr ;-), zumindest fühlt sich das in meinem Alter so an. Und dieses Totschlagargument "Radio" finde ich auch nervig, andere Leute sind von diesen ganzen Indie-Bands für den Hipster von nebenan genervt. Kann man ja alles ausblenden, wenn man es nicht mag.So, ich freu mich dann jetzt mal auf's neue Helgen Album, das wohl demnächst kommen soll. |
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Referenzen
AnnenMayKantereit; Gloria; Voltaire; Faber; Schrottgrenze; Joris; Das Paradies; Josh; Tristan Brusch; Fynn Kliemann; Clueso; Radio Doria; LOT; Philipp Dittberner; Madsen; Virginia Jetzt!; Anajo; Oliver Gottwald; Garish; Montag; Fotos; Revolverheld; Selig; Locas In Love; Jonas Goldbaum; Bosse; Milky Chance; Giant Rooks; Hansen Band; Tomte; Thees Uhlmann; Kettcar; Auletta; Echt; Juli; Silbermond; Bernd Begemann & Die Befreiung; Der Junge Mit Der Gitarre; Glasperlenspiel; Rio Reiser; Ton Steine Scherben
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