Daniel Avery - Love + light

Phantasy Sound / PIAS
VÖ: 26.06.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Synthetischer Sonnenaufgang
Was hat Daniel Avery in seiner noch jungen Karriere nicht alles schon für Felder beackert. Von experimentellen Klanglandschaften über Industrial-Aggressionen und Ambient-Flächen bis zu dringlichen Club-Tracks – der aus Bournemouth stammende Producer konzentrierte in gerade einmal zwei Studio-Alben plus diversen Kollaborationen die schillernde Bandbreite elektronischer Musik. Auch die dritte Platte "Love + light" schreibt sich die Vielfalt ins Programm, verkörpert diese sogar noch deutlicher, indem sie sich aus zwei stilistisch unterschiedlichen Hälften zusammensetzt. Doch Avery folgt hier keineswegs einem groß angelegten Konzept, sondern mehr einer spontanen Eingebung. Eingepfercht in den eigenen vier Wänden setzte er sich an ein paar alte Demos, die sich wie von selbst zu ganzen Songs mit eigenen Gemütslagen formten. Um das Momentum mitzunehmen, verzichtete er auch auf jegliche PR-Kampagnen und brachte sein Werk umgehend an die Öffentlichkeit. Löblich, denn ein solches Substitut verschwitzter Club-Nächte dürfte aktuell auf so manche unerfüllten Sehnsüchte stoßen. Dass "Love + light" darüber hinaus eine wirklich gute Hommage an die Neunziger-Klassiker des Warp-Labels geworden ist, tut sein Übriges.
"London island" erinnert zunächst an "Illusion of time", Averys droniges Projekt mit Nine-Inch-Nails-Keyboarder Alessandro Cortini. Ein rätselhafter Beginn, dessen versumpfter Boden jedoch schnell einem harten Dancefloor weicht. Mit Rave-Sirenen und nervösen Beats pumpt sich "Dusting for smoke" in einen hypnotisch-intensiven Sog hinein. "Dream distortion" macht es etwas dubbig-entspannter, aber ähnlich treibend. Auch "Darlinnn" setzt auf die Ausdruckskraft der Repetition, baut sich aber Schritt für Schritt zu einem Höhepunkt aus metallischen Kaskaden und dominanten Snares auf. Averys Kunststück ist es, seine Betonklötze mit variablen Synths, rhythmischer Dynamik und nuancierten Samples zu mehrschichtigen Skulpturen zu modellieren. Er sinnt nicht auf stumpfe Tanzbarkeit, sondern versteht Techno als komplexes Genre, das unter dem ständigen Puls tiefergehende Emotionen vermitteln kann. So verwebt die erste Albumhälfte auch kleinere Experimente, wie etwa die zwei kontrastierenden Interludes: das idyllische Harfengezupfe von "Katana" nebst dem unheilvoll dröhnenden "Depth wish". Mit ätzend verzerrten Tribal-Drums darf "Searing light, forward motion" im Anschluss noch den angestauten Welthass rauslassen und die Rebellion der Maschinen ausrufen.
Während der erste Teil von "Love + light" noch stickige Innenräume evoziert, öffnet sich der zweite für helle, farbenfrohe Naturbilder. "Infinite future" schafft einen perfekten Übergang zwischen den beiden Hälften, indem es geschäftige Percussion mit ätherischen Synth- und Stimmsphären verbindet. Avery kehrt sich ab von im Takt wogenden Menschenmassen und wendet sich ganz seinem Inneren zu. Aus dieser Meditation schält er mit "Into the arms of stillness" seinen vielleicht schönsten Song überhaupt, einen einzigen Traum von zärtlichen Melodien und sanften Beats. An anderen Stellen legt "After the fire" die Nähe zwischen Downtempo-IDM und Post-Rock offen, während sich "A story in E5" mit hallenden Drums ins Spirituelle begibt und "Fuzzwar" synthetische Vogelgesänge zu vertonen scheint. Ganz zum Schluss schöpft "One more morning" nochmal ordentlich aus der Dreampop-Quelle, um ein subtiles Glanzstück minimalistischer Elektronik zu gießen. Egal, wie bewegungsreich, verrauscht und ekstatisch die Nacht gewesen ist, am Ende geht immer die Sonne in all ihrer morgendlichen Friedlichkeit auf. Avery liefert den Soundtrack für beide Extreme.
Highlights
- Dusting for smoke
- Darlinnn
- Into the arms of stillness
- One more morning
Tracklist
- London island
- Dusting for smoke
- Dream distortion
- Katana
- Darlinnn
- Depth wish
- Searing light, forward motion
- Infinite future
- After the war
- Into the arms of stillness
- Fuzzwar
- Pure life
- A story in E5
- One more morning
Gesamtspielzeit: 60:18 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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peter73 Postings: 3500 Registriert seit 14.09.2020 |
2023-07-03 19:26:20 Uhr
bin ein großer fan von avery, leider fliegt der hier (im forum als auch bei den reviews) immer noch unter dem radar - bitte ändern, wenn ihr den elektronischen klängen zugetan seid! https://www.discogs.com/de/artist/2519485-Daniel-Avery |
Kai User und News-Scout Postings: 3114 Registriert seit 25.02.2014 |
2020-08-03 21:55:58 Uhr
Ich mag von Hood vor allem die Sachen auf Logistic.Ohnehin ein starkes Label. Gleich mal wieder die "Daniel Bell ‎– The Button-Down Mind Strikes Back!" raus kramen. Eine der Besten "minimal/deep" Mix CDs. |
Felix Klaus Postings: 757 Registriert seit 30.12.2019 |
2020-07-30 22:47:10 Uhr
@KaiDu scheinst dich auf dem Gebiet "Techno" ziemlich gut auszukennen. Für PT-Massstäbe ist mein Wissen vielleicht ziemlich begrrenzt, aber ich hatte auch eine Schwäche dafür, schon sehr lange. Hab mir schon 1995 CD's von K-Hand bestellt (2. Welle Detroit Techno) und Strictly Rhythm (okay, mehr House) bestellt, ohne je Clubgänger oder so gewesen zu sein. Hab das immer gern zu Hause gehört, und daher diese Einteilung "Club" und für "zu hause" nie so recht nachvollziehen können. Will dich nicht vollschwafeln, ich liebe alles von ROBERT HOOD, das ist mein Mann, das ist mein Sound. |
Felix Klaus Postings: 757 Registriert seit 30.12.2019 |
2020-07-30 18:54:40 Uhr
Hab auf Yt mal kurz reingezappt, bin schon bei "Dusting for smoke" aufmerksam geworden, aber "Dream distortion" toppt das nochmal, und mit "Darlinn" geht die Abfahrt schon weiter. Bis hierhin tolles Album! |
Kai User und News-Scout Postings: 3114 Registriert seit 25.02.2014 |
2020-07-17 22:33:02 Uhr
Der erste Teil hat sehr klare einflüsse vom Brighton-Techno der 90er. Sativae sei da als Label genannt. Als Referenz Tobias Schmidt, Cristian Vogel und Dave Tarrida.Aber auch starke einflüsse des klassischen Detroit-Techno Daniel Avery hätte sich in den Clubs um Berlin, Kassel und Frankfurt in den späten 90ern sicher wohl gefühlt. Der zweite Teil klingt dann eher nach Kettel und anderen "IDM"-Künstlern. Gäbe es das Label "Merck" noch, wäre das nen perfektes Release dafür. Find das eigentlich ganz cool. |
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Referenzen
Jon Hopkins; The Field; Helena Hauff; Maya Jane Coles; Rival Consoles; Four Tet; Pantha Du Prince; Ellen Allien; Charlotte De Witte; Andy Stott; Modeselektor; Floating Points; Daphni; Nathan Fake; James Holden; Actress; Against All Logic; LFO; Aphex Twin; Boards Of Canada; Casino Versus Japan; Freescha; 65daysofstatic; Kelly Lee Owens; Fort Romeau; Bicep; John Talabot; Leon Vynehall; Nina Kraviz; Etienne Jaumet; DJ Koze; Skee Mask; Christoph De Babalon; DJ Scud; Antwood
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- Daniel Avery - Love + light (6 Beiträge / Letzter am 03.07.2023 - 19:26 Uhr)