Lianne La Havas - Lianne La Havas
Warner
VÖ: 17.07.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Das Ich im Fluss
Wenn bereits etablierte Künstler*innen oder Bands ein selbstbetiteltes Album auf den Markt werfen, scheinen sie uns etwas Besonderes mitteilen zu wollen. Gut, in einigen Fällen wird es sich bloß um ein verstecktes "Uns ist auch nichts Besseres eingefallen", handeln. Doch oft markiert der eigene Name eine Zäsur, einen stilistischen Umschwung, eine Aktualisierung der künstlerischen Identität. Lianne La Havas geht es in erster Linie um eine Klarstellung. Sie ist unzufrieden mit Teilen von "Blood", machte dort nach eigener Aussage zu viele Zugeständnisse an die Plattenfirma und nickte Songs wie "What you don't do" ab, die sie nicht einmal selbst geschrieben hat. Tatsächlich erstickte die massenkompatiblere Ausrichtung jener Platte ein wenig die Eigenart von La Havas' grandiosem Debüt "Is your love big enough?": ein Aufeinandertreffen von traditionellem Soul mit elektrischem Fingerpicking und Folk-Einflüssen. Deshalb legt die Britin der Welt nun ein Testament ihrer Selbstbestimmung ab. "I am born again", singt sie immer wieder im mächtigen Opener "Bittersweet". Sie zelebriert ihr wiedergewonnenes Selbstbewusstsein und erfährt Bekräftigung im üppigen, warmen Bandsound samt Gospelchor.
Eine ästhetische Neugeburt ist La Havas' drittes Album nicht geworden, so viel muss zur Relativierung gesagt werden. Was jedoch direkt auffällt, ist die absolute Verweigerung der Hits und Mainstream-Annäherungen, welche "Blood" noch prägten. Die immer noch wundervolle, raue Stimme der 30-Jährigen erschafft zusammen mit ihrem perlenden Gitarrenspiel und sanft drückenden Drums einen einzigen atmosphärischen Fluss. Vor allem das frühe Highlight "Read my mind" zeigt eine gleichzeitig ätherische wie zwingende Qualität – als würde sich der Song jede Sekunde in alle Winde zerstreuen, die Hörer*innen dabei aber unbedingt packen und mit sich reißen wollen. Von der spröden Zerbrechlichkeit ihres Meisterstücks "No room for doubt" hat sich La Havas zwar mittlerweile entfernt, doch beweist sie weiterhin ihre Stärke in der Reduktion. Aus der Single "Paper thin" tropfen die Saiten und Worte mit beständiger Seelenruhe, formen eine fünfminütige Meditation, die ewig so weitergehen könnte. Zwischen seiner makellosen, vollen Produktion und der fast schon greifbaren Intimität besetzt das Album einen einladenden, gemütlichen Sweet Spot. Hier hat die Londonerin ihren Platz gefunden, losgelöst von Genre-Schubladen und Industrie-Erwartungen.
La Havas macht, worauf sie Bock hat, und weil sie so gerne bei Radioheads "Weird fishes" mitsingt, schmeißt sie kurzerhand ein Cover davon in die Tracklist. Ihre Downtempo-Version verflacht das Original zwar ein wenig, betont dabei aber seine trostvolle Seite und weiß spätestens im wuchtigen Finale komplett zu begeistern. So laute Ausbrüche bietet die Platte sonst kaum, die instrumentalen Verschiebungen finden auf einer dezenteren Ebene statt: Hier die leicht beschwipste Gitarre von "Can't fight", da mal ein paar Streicher in "Courage" oder ein Tropicália-Vibe samt Jazz-Flöten in "Seven times". Zuweilen erwischt man sich bei dem Gedanken, dass der ein oder andere stilistische Widerhaken oder große Refrain mehr gutgetan hätte – doch weil gerade diese entspannte Subtilität eine solche Faszination ausstrahlt, ist die Gleichförmigkeit kein wirklicher Kritikpunkt. Zumal es umso nachdrücklicher wirkt, wenn La Havas mit "Sour flower" ihr eigenes kleines Schluss-Epos hochzieht. Erst spielt sie ihre Akustische wie eine Harfe, dann schält sie einen griffigen Popsong aus dem Idyll, um schließlich in einem sympathisch ziellosen Jam zu enden. Es ist das letzte Zeugnis davon, dass eine Künstlerin nach diversen Abwegen ihre eigene Stimme wiedergewonnen hat. Die Selbstbetitelung dieses Albums ist sicher nicht aus reiner Einfallslosigkeit entstanden.
Highlights
- Read my mind
- Paper thin
- Weird fishes
- Sour flower
Tracklist
- Bittersweet (Full length)
- Read my mind
- Green papaya
- Can't fight
- Paper thin
- Out of your mind (Interlude)
- Weird fishes
- Please don't make me cry
- Seven times
- Courage
- Sour flower
Gesamtspielzeit: 48:08 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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kingbritt Postings: 5183 Registriert seit 31.08.2016 |
2020-07-19 16:20:19 Uhr
. . . schönes Album passend zum SommerVibe. Drittes Album, wobei die Klasse des Debüts nicht erreicht, dafür ausgeschlafener und relaxt. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27812 Registriert seit 08.01.2012 |
2020-07-08 20:46:47 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
parnell17 Postings: 24 Registriert seit 11.05.2020 |
2020-05-11 13:32:20 Uhr
Ich bin ja fest davon überzeugt, dass sie das Potenzial hat, ein richtiges Meisterstück abzuliefern. Die Richtung von Bittersweet und Paper Thin gefällt mir schon sehr gut.Die bisherigen Tracks, Präsentation und Benennung des Albums lassen zumindest darauf schliessen, dass sie versucht, nicht einfach am (gelungenen!) Soul-Pop/Songwriter-Hybrid von "Blood" anzuknüpfen, sondern die Essenz der eigenen musikalischen Identität noch genauer zu erforschen. Die genannten musikalischen Referenzen (Milton Nascimento, Joni Mitchell, Jaco Pastorius, Al Green) hören sich auf jeden Fall sehr vielversprechend an. Bin sehr gespannt, wie das Gesamtwerk schlussendlich daherkommt. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27812 Registriert seit 08.01.2012 |
2020-05-06 12:04:18 Uhr - Newsbeitrag
“Bittersweet summer rain, I’m born again”, singt Lianne La Havas in ihrer vor wenigen Wochen enthüllten, emotional bewegenden Soulhymne “Bittersweet”, mit der sie sich an der Bildoberfläche zurückmeldete. “Ich fühle mich wie eine neue Künstlerin”, kommentiert sie. “Ich hatte vergessen, wie sehr ich das Singen liebe. Ich habe in den letzten Jahren viel über mich selbst gelernt und dieser natürlichen Entwicklung entspringt nun mein neu gefundener Antrieb.” Gestern Abend folgte mit “Paper Thin” ihre Single Nummer zwei, die im Zuge eines Interviews mit Zane Lowe auf Beats 1 Premiere feierte. Doch damit nicht genug: Zeitgleich kündigte die bei verschiedenen renommierten Preisverleihungen mehrfach nominierte Britin ihr selbstbetiteltes drittes Album an, das ab sofort vorbestellbar ist. “Lianne La Havas” – das Album – schöpft aus Milton Nascimentos wehmütigem brasilianischen Tropicalismo der 70er-Jahre sowie den ermächtigenden SciFi-Girlgroup-Harmonien von Destiny’s Child, die gleichermaßen ihren aktuellen Sound und ihre neue Vision prägen. Außerdem erscheint heute Abend auf dem YouTube-Kanal von NPR ihre “Tiny Desk” Home-Performance.Album am 17.7. |
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Referenzen
Nina Simone; Billie Holiday; Al Green; Joni Mitchell; Feist; Jacob Pastorius; Pat Metheny; Milton Nascimento; Nai Palm; Lucy Rose; Daughter; Mac DeMarco; Alabama Shakes; Janelle Monáe; Kadhja Bonet; Erykah Badu; Lauryn Hill; Corinne Bailey Rae; Laura Mvula; Emily King; Andreya Triana; Jill Scott; Asa; Moses Sumney; Frank Ocean; Leon Bridges; Michael Kiwanuka; Marques Toliver; Jamie Woon; Jordan Rakei; Hiatus Kaiyote; Cold Specks; Ben Howard; Laura Marling; Alt-J
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