Denai Moore - Modern dread
Because / Caroline
VÖ: 03.07.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Das Herz in den Haaren
"Modern dread". Gerade in der heutigen Zeit mit ihren ungewissen Zukunftsaussichten kann dieser Titel vieles bezeichnen. Ein modernes Grauen, eine diffuse Furcht vor Klimakatastrophen, Pandemien oder unberechenbaren Machthabern. Zieht man jedoch auch das Coverbild von Denai Moores dritter Platte hinzu, eröffnet sich eine weitere, haptischere Deutungsebene. Da thront sie, wie die mythische Herrscherin eines anderen Planeten, mit fordernder Haltung und einnehmenden Blick. Ihre Haare, die Dreads, erscheinen wie ein lebendiges Wesen, verchromte Tentakel, die jeden Moment zupacken wollen. Der futuristische Look ist eine krasse Abkehr zu den eher in der Natur verhafteten Motiven der vorigen Alben – den mit Blumen verzierten Wangen von "We used to bloom", dem kunstvollen Waldbrand von "Elsewhere". Da immer auch eine vorwärtsgewandte Kühle und Härte den Soul der Britin mit jamaikanischen Wurzeln zeichnete, wirkt die neue Ästhetik aber nicht unpassend.
Natürlich besticht die Musik der 27-Jährigen weiterhin durch eine besondere emotionale Offenheit – daran ändert auch der Metallpanzer nichts, der über die visuelle Ebene sowieso kaum hinausgeht. Wie schon seine Vorgänger betreibt "Modern dread" unter geschäftigen Beats und synthetisch-organisch verschmolzenen Arrangements eine eigene Art der Selbsttherapie. Man höre allein die Lead-Single "Cascades": An der Oberfläche singt Moore einen eingängigen, hüpfenden Popsong, doch darunter wogt etwas Unerklärliches. Etwas, das unangekündigt über die Protagonistin hereinbricht und sie in die körperliche Nähe einer geliebten Person zwingt. Etwas, das auch den Track selbst vor Erschöpfung zusammensacken lässt, wenn er in ein elektronisch-mehrstimmiges A-capella-Finale mündet. Doch Moore trägt ihre Ängste mit so einer Wärme vor, dass sie den ersehnten Trost auch selbst spenden kann.
"Wanting nothing more than to throw away my phone / Wanting to feel less in my chest, is it possible?" In "To the brink" werden die überbordenden Emotionen zur Qual, doch der große Refrain schmettert sich alle Last von der Seele. Wenn jener Song mit mysteriösem Gezupfe beginnt, um sich später in tief verzerrten Bässen zu baden, weiß er auch um die stilistische Unfassbarkeit seiner Künstlerin. Moore hat völlig recht in ihrer eigenen Aussage, dass das oft an sie angebrachte R'n'B-Label zu kurz greife. Die von einem angejazzten Piano, Bläsern und Streichern beschworene Düsternis in "Honour" ließe sich damit ebenso wenig erfassen wie der bunt schillernde Regenwald von "Hail". "Broken ceilings, send me straight to the sky", deklariert Moore immer wieder im wundervollen "Motherless child", das an einen afroamerikanischen Gospel angelehnt ist. Das Gefühl der Entfremdung von der Welt deutet sie in eine positive Befreiung von deren Erwartungen, Regeln und Grenzen um.
So öffnet "Modern dread" einen regelrechten Referenzstrom, der durch diverse Windungen jüngerer Musikgeschichte fließt. Hier erinnert das perkussive Pumpen eines "Don't close the door" an britische Tanzflächen-Chirurgen wie Disclosure oder SBTRKT; dort kratzt das halbakustische "Fake sorry" die Folk-Einflüsse an, die auf der Platte sonst stark zurückgestellt sind. An anderen Stellen gibt es Björk'schen Expressionismus, den Dekonstruktionsdrang eines James Blake oder Verbeugungen vor altem wie neuem Soul. Zweifelsfrei haben die bisherigen Alben selbiges noch griffiger und tiefschürfender geschafft, doch Moore webt aus all den Fäden wieder einen eigenen, charakterstarken Stoff – den neben den beschriebenen Herzmustern auch eine angenehme Entschleunigung auszeichnet. "We fell out of pace", heißt es passenderweise im finalen "Wishin' you better". In diesem überraschend bequemen Tentakelgriff der Chromlocken lässt es sich noch ein Weilchen länger aushalten.
Highlights
- Don't close the door
- Hail
- To the brink
- Motherless child
Tracklist
- Too close
- Don't close the door
- Fake sorry
- Grapefruit on the porch
- Cascades
- Hail
- To the brink
- Motherless child
- Turn off the radio
- Honour
- Slate
- Offer me
- Wishin' you better
Gesamtspielzeit: 46:34 min.
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Klaus Postings: 9918 Registriert seit 22.08.2019 |
2020-06-24 14:40:28 Uhr
Gefühlt erscheinen derzeit pro Woche drei Alben in dem Stil/Genre. Hab in die Vorabsingles mal reingehört (v.a. wegen der Banks-Referenz), aber bislang lässt mich das ziemlich kalt. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27676 Registriert seit 08.01.2012 |
2020-06-24 12:10:21 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Banks; Sampha; SBTRKT; Disclosure; Låpsley; Solange; Kelela; FKA Twigs; Imogen Heap; Kacy Hill; SZA; Nao; Kehlani; Jessie Ware; Tove Styrke; James Blake; Sohn; How To Dress Well; Jamie Woon; Jack Garratt; Jordan Rakei; Tei Shi; Andreya Triana; Connie Constance; Laura Mvula; Mahalia; Kwabs; Jono McCleery; Frank Ocean; Bon Iver; James Vincent McMorrow; Ibeyi; Björk; Lianne La Havas; Jorja Smith
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