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Lea - Treppenhaus

Lea- Treppenhaus

Four / Sony
VÖ: 29.05.2020

Unsere Bewertung: 4/10

Eure Ø-Bewertung: 4/10

Ohne Dich ist alles doof

"Der Song 'Sie' basiert auf der Geschichte, dass ich mal jemanden toll fand, der aber jemand anderen toll fand." So vertraut es Lea-Marie Becker ihren Hörern an, die sie ganz freundschaftlich beim Vornamen nennen dürfen. Auf ihrem dritten Album wiederholt sich ebendieses Szenario ein ums andere Mal, meist im titelgebenden Treppenhaus – so stellt man sich ihn vor, diesen seltsamen Nicht-Ort, an dem Abschied und Ankunft einander die Hand reichen. Von einem "Dazwischen-Gefühl" spricht Lea dann und wie beinahe alles im Kosmos ihrer Lieder bezieht sich das auf eine irgendwie kompliziert geratene Beziehung. Im "Treppenhaus" lauschen die Hörer also dem obsessiven Wiederholungszwang einer immer gleichen Dynamik, ohne Einsicht, ohne Witz, ohne Katharsis. Und leider sehr bald auch ohne Interesse. Es mutet wie Realsatire an, wenn Lea den Titeltrack mit den Zeilen "Alle sagen: Lass ihn gehen / Ich kann es keinem mehr erzähl'n" beginnt. Auch die Ohren der wohlwollendsten Freunde kennen schließlich ein Limit.

Schon in den ersten drei Liedern werden mindestens 23 Bier, die sich im Übrigen gut auf "Klavier" und "Redest nur noch von ihr" reimen, und mehr als 100 Drinks konsumiert, was der ernüchternd konventionellen Produktion leider nicht entgegenwirkt: simple Gitarrenmelodien, Click-Beats, Breitwandkeyboards – alles bis zur Unmenschlichkeit auf Zeitgeist geglättet. Alte Bekannte wie Mark Forster oder Max Giesinger haben inzwischen eindrucksvoll bewiesen, dass seelenloser Pop ein eigenes Genre bildet, in dem das Pochen auf Authentizität so groß und kalkuliert ist wie das Songwriting-Team in der zweiten Reihe. Authentizität meint im Falle Leas aber auch oft eine bemerkenswerte Kunstlosigkeit der Sprache, die wohl schnodderig-echt daherkommen soll: "Mann, warum machst du so'n Scheiß mit mir / Und ihr?" Nicht fehlen dürfen natürlich grenzdebile Oh-oh-ohs und Ah-ah-ahs, vielleicht der logische Fluchtpunkt einer solchen Kommerz-Ästhetik: "Ich wünschte ich wäre Ah-ah-ah." Das Feature von Hit-Maschine Capital Bra in "7 Stunden" bringt sicherlich den nächsten Chart-Erfolg, aber keine Abwechslung. In der Rolle des umherreisenden Jetsetters werden die Fernbeziehungen schließlich auch nicht leichter.

Besonders ärgerlich nimmt sich aus, dass auf "Treppenhaus" stellenweise so etwas wie verschenktes Potential aufscheint. Die Pianoballade "Staub" mit ihren geisterhaften Stimmfetzen und verschlungenen Gesangsmelodien weiß wirklich zu berühren, da sie das Motiv der Selbstauflösung einmal nicht zum Gegenstand unendlich banalen und schablonenhaften Beziehungsklatsches macht, sondern sphärisch und stilvoll davongleitet. Dazu kommt, dass Leas ausdrucksstarke Stimme sogar den sterilsten Liedern noch die eine oder andere Emotion abzuringen vermag – wie sie in "Ende der Welt" zwischen zartem Falsett und kraftvoll-kratzigem Ausbruch pendelt, verleiht dem Song eine unverhoffte Tiefe. Auch erfrischt der relativierende Wechsel der Perspektive: "Das ist nicht das Ende der Welt / Nur das Ende von uns." Denn gerade in Zeiten mit hoher gesellschaftlicher Brisanz irritieren der omnipräsente narzisstische Selbstbezug und Privatismus der Lieder, die ihren weltvergessenen Rückzug zu allem Überfluss mit Nostalgie für das Soziale Jahr in Argentinien garnieren müssen: "Ich war'n halbes Jahr in Argentinien / Und du liebst es, wenn ich dir davon erzähl'." Distanzlos die eigene Versehrtheit zu überhöhen – das ist letztlich nicht viel mehr als die klagende Kehrseite von unreflektierten Dekadenzanfällen wie Forsters "Es gibt 194 Länder / Ich will jedes davon sehen." Lea hat fraglos das Gefühl in der Stimme, doch wo sind die Geschichten von Belang?

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights

  • Staub
  • Ende der Welt

Tracklist

  1. Wenn nur Liebe hilft
  2. Sie
  3. Treppenhaus
  4. Okay
  5. Kaputt
  6. Sylt 98
  7. Deine Nummer
  8. Staub
  9. Immer wieder
  10. 7 Stunden (feat. Capital Bra)
  11. 110 (Prolog)
  12. Ende der Welt
  13. Elefant

Gesamtspielzeit: 41:15 min.

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User Beitrag

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28251

Registriert seit 08.01.2012

2020-06-24 12:09:13 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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