Arca - KiCk i
XL / Beggars / Indigo
VÖ: 26.06.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Die Multiplikantin
"Dieses Cover. Nennen wir es ... anrüchig-anstößig?" fragte sich Kollege Spremberg – ja, der schon wieder – anlässlich Arcas Debüt "Xen". Nicht ganz zu Unrecht, denn das weitaus monströsere Artwork der ungooglebaren 62-Minuten-Single "@@@@@" war 2014 natürlich noch nicht abzusehen. Seitdem hat sich einiges getan: Alejandra (vormals Alejandro) Ghersi begreift sich als nonbinär und inzwischen als Transfrau, gibt visuell das androgyne, maschinell optimierte Cyber-Wesen und macht gemäß eigenen Angaben auf ihrem vierten Album "KiCk i" Popmusik. Ein Begriff, der bei Arca mit Vorsicht zu genießen ist – man höre das vorangegangene einstündige Ungetüm, eine futuristische Installation zwischen industriellen Drones, Torch Song und außerirdischen Beats. Dagegen wirkt auch Grimes' "Miss Anthropocene" fast wie eine Blechdose voll Lady-Gaga-Dauerwurst.
Klar, dass mit "Nonbinary" zuallererst ein Mission Statement her muss – und glänzte Ghersi auf dem erstaunlich nahbaren selbstbetitelten Vorgänger häufig durch schmerzlich emotionale Vocals, spuckt sie ihre selbstermächtigenden Einlassungen hier zusehends mit Maschinengewehr-Zungenschlag ins elektronische Getümmel. Dazu zersplittern die Sounds wie berstende Geschlechteridentitäten und stampft ein fetter Footwork-Wumms auf – und hat das Stück endlich Fahrt aufgenommen, ist es schon vorbei. So klingt Peitsche ohne Zuckerbrot und Eindimensionalität. Da tut es wohl, wie die Zwei-Finger-Sequenz des bezaubernd psychedelischen "Time" plötzlich die Schärfe rausnimmt und sich Ghersi kurz als girlfriend of the year empfiehlt. Tatsächlich: ein Popsong. Bei dem man genau hinhören sollte, denn viele davon gibt es auf "KiCk i" nicht.
Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne, doch man muss auch mit Ghersis Humor als auflockerndem Element rechnen. "Riquiqui" streut Knutsch-Samples und angedeutete Kiekser zwischen die hektischen Rhythmen und brennt reihenweise sinnfreie Reime ab, das hyperaktive Duett "KLK" mit Flamenco-Star Rosalía amüsiert als verwilderte "Hips don't lie"-Abart aus der Schrottpresse. Lichtblitze bizarrer Eingängigkeit, die dieses Album oft weniger schwierig machen als gedacht, bevor "Le chiqui" mit Hilfe der Schottin Sophie mindestens genauso viel Gebrutzel veranstaltet wie die sperrigsten Parts von "Oil of every pearl's un-insides". Trap, Reggaeton oder HipHop versagen als Kategorien, Ghersis künstlerische Persona bekommt immer mehr Facetten und klaubt sich am Ende jedes Tracks wieder zusammen. Weit draußen – und doch ganz bei sich.
Vor allem, weil sie die große stimmliche Geste aus "Arca"-Songs wie "Piel" oder "Desafío" auch in "Calor" und beim ausgedehnten Finale "No queda nada" zu einem dramatischen Höhepunkt führt. Der zumindest namentlich größte Feature-Trumpf jedoch wartet in der Mitte: Björk, für die Ghersi "Vulnicura" und "Utopia" produzierte, überzieht die ineinander verschobenen Flächen und Pianotupfer von "Afterwards" mit blendendem Gesangsvortrag auf Spanisch. Sozusagen das akustische Pendant zur spukigen Vereinigung zweier Industrieroboter, die Chris Cunningham einst im Video zu "All is full of love" inszenierte – und gebührendes Herzstück eines großartig multiplen Albums. Was genau es ist und wenn ja, wie viele? Das werden wir wohl erst wissen, wenn Ghersi "KiCk i" die drei weiteren angekündigten Teile folgen lässt.
Highlights
- Time
- Riquiqui
- Afterwards (feat. Björk)
- KLK (feat. Rosalía)
Tracklist
- Nonbinary
- Time
- Mequetrefe
- Riquiqui
- Calor
- Afterwards (feat. Björk)
- Watch (feat. Shygirl)
- KLK (feat. Rosalía)
- Rip the slit
- La chiqui (feat. Sophie)
- Machote
- No queda nada
Gesamtspielzeit: 38:13 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33914 Registriert seit 07.06.2013 |
2021-12-14 14:17:00 Uhr
Ich hab mal einen Thread für die vier Alben gemacht. |
MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 20152 Registriert seit 10.09.2013 |
2021-12-08 12:02:31 Uhr
Ja, es sind vier Alben und sie bekommen eine große Rezension, die aber noch bis zum übernächsten Update dauern wird. Hat uns ein bisschen in die Planung zum Jahresende reingegrätscht, dass aus einem angekündigten Album erst drei und dann vier wurden :D |
ijb Postings: 6738 Registriert seit 30.12.2018 |
2021-12-08 11:56:32 Uhr
bzw. kiCk ii bis iiiii |
ijb Postings: 6738 Registriert seit 30.12.2018 |
2021-12-08 11:56:14 Uhr
3 weitere Alben erschienen4 Alben sogar. Kick 2 bis 5 |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33914 Registriert seit 07.06.2013 |
2021-12-08 11:50:57 Uhr
Sind ja inzwischen 3 weitere Alben erschienen innerhalb von 4 Tagen. Bekommen die alle Rezensionen? |
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Referenzen
Sophie; Holly Herndon; Actress; Babyfather; Dean Blunt; Copeland; Fatima Al Qadiri; Laurel Halo; Dani Siciliano; Jessy Lanza; Lotic; Yves Tumor; Gaika; Visionist; Mykki Blanco; Planningtorock; Amnesia Scanner; Ikonika; Nguzunguzu; Jlin; Yaeji; Demen; IOKOI; Burial; Forest Swords; Rabit; Rival Consoles; The Haxan Cloak; Hudson Mohawke; Oneohtrix Point Never; Anohni; Perfume Genius; Xiu Xiu; Darkside; Nicolas Jaar; Against All Logic; Darkstar; Clark; Lakker; Shlohmo; Raime; Eskmo; Borusiade; Ziúr; Umfang; Kelly Moran; Nadia Struiwigh; Pan Daijing; Lucrecia Dalt; Noveller; Dedekind Cut; Ben Frost; Tim Hecker; GOFTY; Hannah Diamond; Grimes; Björk; FKA Twigs; Rosalía; Shygirl; Kelela; M.I.A.; Kanye West
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- Arca (1 Beiträge / Letzter am 04.08.2017 - 12:37 Uhr)