The Neverly Boys - Dark side of everything
Alchemy / BMG
VÖ: 15.05.2020
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Turn the TV on again
Wenn Dich vom Cover eines Albums ein entflammter, chromfarbener Totenkopf anlächelt, dann erwartest Du vieles: Hardrock. Metal. Oder irgenwas von The BossHoss. Es schwant Dir zumindest nichts Gutes, richtig geschmackssicher schaut das Motiv nämlich nicht aus. Und dann wirfst Du einen Blick auf die Namen der Beteiligten dieses Projekts, hörst Dir die ersten paar Songs an und musst Dir ganz schnell eingestehen, dass Du dich auf eine ziemlich falsche Fährte hast führen lassen. Statt breitbeiniger Posen und bombastischer Riffungetüme gibt es melodieverliebten Indierock. Letztlich kein Wunder: The Neverly Boys, die Band von der hier die Rede ist, besteht aus Daniel Ledinsky und Dave Sitek. Zumindest letzteren Herrn sollte man eigentlich nicht vorstellen müssen: Er ist das künstlerische Mastermind hinter TV On The Radio und ein gefragter Produzent, der schon mit Scarlett Johansson, Foals, Beyoncé und Jay-Z zusammengearbeitet hat. Ledinsky mag hingegen noch nicht unbedingt jedem ein Begriff sein, doch auch der Briefkopf des gebürtigen Schweden umfasst so illustre Kooperationspartner wie Carly Rae Jepsen oder, oha, Refused. Hier treffen also zwei Leute aufeinander, die künstlerisch kaum Grenzen kennen. Die am liebsten mit dem Bulldozer stilistische Mauern einreißen und aus den Ruinen neue Skulpturen formen.
"Dark side of everything" erinnert in vielen Momenten an den Sound von Siteks Hauptband: Die Songs leben hier wie dort von ihrer fesselnden Rhythmik, von ihrer sich oftmals zuspitzenden Dynamik, von den himmelsstürmenden Melodien. Der elementarste Unterschied zwischen den beiden Projekten dürfte sein, dass sich The Neverly Boys noch etwas stärker dem Pop verpflichtet fühlen: "Let love in" hüpft beispielsweise leichtfüßig über einen angeschrägten The-Cure-Beat und könnte dabei kaum eingängiger sein. Und auch das von einer Akustikgitarre getragene "Mighty pine" baut voll und ganz auf seine Melodie und kreiert eine heimelige Lagerfeuerstimmung. Noch spannender sind jedoch insbesondere die Stücke direkt zu Beginn des Albums: "Burn Hollywood" startet als stimmungsvoller Alternative-Country-Rocksong, der mit Einsatz der Drums nochmal an Intensität gewinnt. TV On The Radio hätten aus so einer Nummer einen druckvollen, bluesigen Postpunk-Stomper gemacht, bei The Neverly Boys bleibt der Song etwas reduzierter, wüstentrocken und doch ein Hit erster Güteklasse.
"Red flag" zeigt sich hingegen angriffslustig: Über einen stolpernden Beat quietschen die Gitarren los – ganz so, als hätte es The Police nie gegeben. Atemlos rast die Nummer in der Folge voran, kopfüber ins Getümmel, auf den Dancefloor. Dorthin, wo es knackt. Immer wieder wird auf "Dark side of everything" das Tempo variiert, ganz am Ende, im atmosphärischen Weltraum-Blues "Your life is blooming" sogar ziemlich gedrosselt: Das Arrangement erinnert an Radiohead zu Zeiten von "OK computer", vielleicht auch ein wenig an Pink Floyd. Zwischen diesen beiden beschriebenen Polen oszillieren The Neverly Boys mit unglaublicher Lockerheit. Ihre Songs suchen die Balance zwischen Pop und Psychedelic, gehen dabei gerne Umwege und finden immer wieder erstaunliche Abzweigungen wie im warm arrangierten "Never come down", dem stärksten Stück der Platte. Der Bass brummt und rollt hier, Stimmen umgarnen sich in zärtlichen Verrenkungen, es ist die reinste akustische Wonne. Den ollen Totenkopf vom Cover? Hat man zu diesem Zeitpunkt bereits längst vergessen.
Highlights
- Burn Hollywood
- Never come down
- Red flag
- Your life is blooming
Tracklist
- Burn Hollywood
- Never come down
- Red flag
- Without you
- Let love in
- Misery
- Mighty pine
- Wheel of fortune
- Mushroom cloud
- Director's cut
- Your life is blooming
Gesamtspielzeit: 46:42 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Kalle Postings: 401 Registriert seit 12.07.2019 |
2020-09-27 08:32:03 Uhr
Muss unbedingt an dieses tolle Album erinnern. Tolle abwechslungsreiche Arrangements und viele memorable Melodien. Indierock at its best. Und nicht vom Cover abschrecken lassen. Keine Spur von Metall o.ä.. |
Andreas Postings: 232 Registriert seit 29.12.2013 |
2020-06-17 17:43:29 Uhr
Let Love In kein Highlight ?- also bitte ....Without You wächst auch! Und wer ist eigentlich die tolle Frauenstimme bei Mushroom cloud? Parallelen zu den alten Radiohead sehe ich nicht, aber egal: tolles Album, tolle Band. Unbedingt empfehlenswert |
Samuel Herring Postings: 236 Registriert seit 22.08.2019 |
2020-06-15 10:20:21 Uhr
Großartiges Album. |
Garmadon Postings: 489 Registriert seit 29.08.2019 |
2020-06-13 19:56:24 Uhr
"Red Flag" finde ich so spontan mal ziemlich großartig! Und auch die anderen Songs, in die ich reingehört habe, klingen spannend.Wird auf jeden Fall mal genauer betrachtet. |
Andreas Postings: 232 Registriert seit 29.12.2013 |
2020-06-13 17:37:05 Uhr
Der elementarste Unterschied zwischen den beiden Projekten dürfte sein, dass sich The Neverly Boys noch etwas stärker dem Pop verpflichtet fühlenDas trifft's! Sehr erfreuliche Überraschung! |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
TV On The Radio; Maximum Balloon; Wolf Parade; Celebration; Iran; Dragons Of Zynth; Subtle; Bloc Party; Saul Williams; Yeasayer; Talking Heads; David Byrne; Bear In Heaven; The Dismemberment Plan; Minus The Bear; The Double; Wild Beasts; Arcade Fire; The Walkmen; Menomena; Fog; Why?; Thee More Shallows; Parliament; Funkadelic; George Clinton; Sly & The Family Stone; Curtis Mayfield; James Brown; Isaac Hayes; Gnarls Barkley; Prince; Edan; Cadence Weapon; Broken Social Scene; The Most Serene Republic; The Flaming Lips; Earth, Wind & Fire; Michael Jackson; Hercules And Love Affair; The Go! Team; Stars; Peter Gabriel; David Bowie; Elbow; Radiohead; Clinic; The Cooper Temple Clause; The Cure; Devo; XTC; !!!; Q And Not U; Out Hud; Sunset Rubdown; Devo; Sonic Youth; The Velvet Underground; Pere Ubu; Wire; Public Image Limited; Radio 4; Big Audio Dynamite; Chumbawamba; Antibalas; Fela Kuti; Georgia Anne Muldrow; Marvin Gaye; Stevie Wonder; Neu!; Can; Faust; Amon Düül; Pink Floyd
Bestellen bei Amazon
Threads im Plattentests.de-Forum
- The Neverly Boys - Dark side of everything (9 Beiträge / Letzter am 27.09.2020 - 08:32 Uhr)