Thao & The Get Down Stay Down - Temple
Domino / GoodToGo
VÖ: 15.05.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Protest und Geständnis
"Es gibt sie doch immer wieder, die Alben, die Künstlern leicht von der Hand gehen", schrieb Kollege Cianci über "A man alive" – nichtsahnend, dass dieser Satz aus Sicht von Thao & The Get Down Stay Down ganz schön schlecht altern würde. Im Nachgang jener Platte stürzte Frontfrau Thao Nguyen nämlich in eine Professionskrise, hatte ihrem Medium nichts mehr zu sagen, weil sie die Popmusik als nicht tragfähig genug für tiefe persönliche Wahrheiten empfand. Zur gleichen Zeit kam die Amerikanerin mit vietnamesischen Wurzeln aber auch mehr mit sich selbst ins Reine, heiratete ihre Partnerin und probierte es, zum Glück, doch nochmal mit dem Schreiben. Es überrascht also wenig, dass "Temple" sowohl das bisher intimste als auch das erste selbstproduzierte Album von Thao und Band ist – der Versuch einer Antithese zur angeklagten Übergeneralisierung. Ihr rhythmusbetonter, leicht verschrobener Indie-Pop-Rock schlägt immer noch seine Haken, aber gönnt sich auch mehr Atempausen. Die Arrangements klingen schwerer, weniger folkig als früher, als würde die offengelegte Verletzlichkeit einen Schutzpanzer brauchen. Und doch drängeln sich Thaos klare, spezifische Worte überhaupt nicht konfliktscheu in den Vordergrund.
Ein scharfes Blues-Riff schneidet in den eröffnenden Titeltrack, erzählt aus der Perspektive der vorm Vietnamkrieg geflüchteten Mama Nguyen: "I lost my city in the light of day / Thick smoke, helicopter blades." Der Disco-Vibe des Songs erscheint dem Thema zunächst unangemessen, doch die aus Thao sprechende Mutter klärt uns auf: "By day I gave grand speeches / By night, like you, we danced to be free." Flächige Synths und ein aufgeweckter Bass formen einen Über-Hit, der spätestens im Schlussappell auch emotional voll einschlägt: "We found freedom, what will you do now? Bury the burden, baby, make us proud." Das folgende "Phenom" überführt den politischen Gestus in köchelnde Wut und Aufstandsrhetorik. Weil eingängiger Pop hierfür nicht mehr ausreicht, agitiert Thao über einem bedrohlich rumpelnden Hybriden aus HipHop-Beat und Post-Punk-Skelett. Der etwas zurückhaltendere Ansatz bedeutet nicht, dass sie und Kollege Adam Thompson ihren Hörern überhaupt keine Hürden mehr in den Weg stellen. Besonders fordernd: die sich überlappenden Rhythmen und Stimmen des dringlichen "Lion on the hunt" sowie der angejazzte TripHop von "Disclaim" mit seinem synthetischen Geflöte.
Doch abseits ein paar sperriger Ausbauten ist dieser "Temple" ein einladender. Der pulsierende Indie-Rock von "How could I" lässt seine Zweifel nicht an die Oberfläche dringen, während "Pure cinema" mit leicht verschobener Pop-Struktur die Wichtigkeit emotionaler Ankerpunkte besingt: "Bodies in motion just wanna belong somewhere." Thaos Gesangsmelodien winden sich wie Efeu um die rhythmischen Gerüste, bieten ihnen Schmuck und Griffigkeit. Die warme, raue Stimme der 36-Jährigen gleitet besonders elegant durch die Ruhepole "Marauders" und "Rational animal" und kommt generell besser zur Geltung als auf früheren Platten. Dass Thao & The Get Down Stay Down eine neue Stärke im Minimalismus gefunden haben, beweist vor allem "I've got something": ein wie aus einer anderen Galaxie empfangenes Schlaflied mit nebulöser Gitarre und allerlei atmosphärischen Effekten. "Marrow" richtet sich schließlich an die Geliebte und setzt einen positiven, hymnischen Schlusspunkt. "I was an island", gesteht Thao zunächst, um dem anschließenden Gelübde noch mehr Nachdruck zu verleihen: "I was meant to defend us and I promise I will." Es ist ein bisschen ironisch, dass die junge Ehefrau das Songwriting fast an den Nagel hängen musste, um ihr textlich bestes Album bisher zu schreiben. Vielleicht hat sie der Wahrhaftigkeit von Popmusik nur deshalb kein Vertrauen geschenkt, weil sie es nie so richtig mit ihr versucht hat.
Highlights
- Temple
- Pure cinema
- I've got something
Tracklist
- Temple
- Phenom
- Lion on the hunt
- Pure cinema
- Marauders
- How could I
- Disclaim
- Rational animal
- I've got something
- Marrow
Gesamtspielzeit: 37:05 min.
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