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Owen Pallett - Island

Owen Pallett- Island

Domino / GoodToGo
VÖ: 22.05.2020

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Von Wundern und Kerzen

Manchmal braucht es nur einen einzigen Ton, und schon ist man drin in der Erinnerung, in einem Moment aus längst vergangener Zeit. Man riecht, was man damals gerochen hat, spürt, was man damals gespürt hat, fühlt, was man damals gefühlt hat. Melancholie. Wehmut. Hoffnung? Mit dem ersten Tastenschlag von Owen Palletts neuem Album "Island" ist man wieder da, in diesem schwülen, verschwitzten Sommer Anfang der Nullerjahre. Es ist später Abend, die Luft schmeckt salzig, über den Bildschirm des großen dunkelgrauen Röhrenfernsehers flimmert Sebastian Schippers "Absolute Giganten" auf Videokassette. Ein Film über Freundschaft und vielleicht einer der besten überhaupt aus Deutschland. Dann diese Szene, kurz vor Schluss: Frank Gierings Floyd erzählt während der stillen Fahrt im Ford Granada von der ersten Sache, an die er sich erinnern kann. Im Hintergrund läuft Sophias "Reprise / Cresdendo", und auch das beginnt mit so einem alles entrückenden Tastenschlag. Woran haben wir uns damals wohl erinnert?

Nun ist "Island", das nach der ersten Ankündigung 2015 noch rund fünf Jahre bis zur überraschenden Veröffentlichung gebraucht hat, trotz der zumindest anfänglichen tonalen Ähnlichkeit weder eine Kopie noch wirklich ein Album, mit dem man am besten in Erinnerung schwelgt. Noch ist es eine dieser berüchtigten drei Platten, die man mit auf eine einsame Insel nehmen würde – stattdessen ist Palletts fünftes Werk selbst die Insel. Mysteriös, weit, so einladend wie ausgrenzend, voller kleiner versteckter Feinheiten und großer Wundermomente. Der rein instrumentale Einstieg mit "---> (i)" und Floyds Worten im Hinterkopf setzt den Grundstein für die Stimmung der kommenden knappen Stunde, verrät aber nicht zu viel: Ein wenig verspielter gibt sich nämlich schon das darauffolgende "Transformer", das in seiner zweiten Hälfte gar dramatisch wird und doch den wirklichen Ausbruch schuldig bleibt. In diesem Dschungel zeigen sich die Monster nicht einfach so, sondern warten darauf, dass man auf sie zugeht.

Ungleich märchenhafter kommt "The sound of engines" daher, ein sachtes Kammerspiel in zwei Akten, das die Farben zum Ende hin fast schon unnatürlich strahlen lässt. Ist das hier wirklich noch der Dschungel auf einem kleinen Fleckchen Land mitten im Ozean oder doch nicht eher Alices Wunderland? Kaum kommt man einem möglichen Geheimnis auf die Spur, wird es zu "Perseverance of the saints" stockdunkel, von irgendwoher ertönt eine zärtliche Piano-Melodie, eine Kerze sorgt zumindest für ein kleines Aufflackern in der Finsternis, die etwas später einsetzenden Streicher für Wohlbefinden im ganzen Körper. Und schließlich bricht das Licht doch durch, erstrahlt es den Raum. Blendet. So hell, dass man außer einem grellen Weiß kaum noch etwas sehen kann. Ein Geheimnis, das nicht entdeckt werden möchte.

Vielleicht drückt das fantastische Musikvideo zur Single "A bloody morning" am besten aus, wie "Island" sich wirklich anfühlt: Irgendetwas stimmt nicht, eine Bedrohung ist deutlich spürbar, und doch macht man weiter, kämpft, tanzt, schüttelt sich, sucht man die Nähe zu anderen. Am Ende ist das fast schon Post-Rock, auch so ein ewiger Begleiter in der Apokalypse, stets zwischen Zerstörung und Zuversicht. Nur dass das dystopische Setting für die hier stattfindende Unruhe ständig wechselt, vom tiefschwarzen All in "Lewis gets fucked into space" über die sterile Kältekammer von "In darkness" zur schneebedeckten Berg-Landschaft von "Polar vortex". Auf dieser Insel gibt offensichtlich nicht nur verschiedene Klimazonen, sondern sogar gruselige und gleichzeitig liebe Ungeheuer. Oder ist man am Ende selbst derjenige, der hier für das Unbehagen sorgt? Am Ende bleibt so viel mehr als Tastenschlag, weit mehr als nur eine einzelne Erinnerung, und gleichzeitig keinerlei Zeitgefühl. Wie sagte schon Floyd: "Ich glaub', ich hab' auch nie wieder in meinem Leben irgendwas erlebt, was so groß war und so gigantisch. Wie spät ist es eigentlich?"

(Jennifer Depner)

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Highlights

  • The sound of the engines
  • Perseverance of the saints
  • A bloody morning

Tracklist

  1. ---> (i)
  2. Transformer
  3. Paragon of order
  4. ---> (ii)
  5. The sound of the engines
  6. Perseverance of the saints
  7. Polar vortex
  8. ---> (iii)
  9. A bloody morning
  10. Fire-mare
  11. Lewis gets fucked into space
  12. ---> (iv)
  13. In darkness
  14. Paragon of order (version)
  15. Fire-mare (version)

Gesamtspielzeit: 59:49 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Perfect Day

Postings: 652

Registriert seit 18.01.2014

2023-01-03 09:09:50 Uhr
Da machst Du nichts falsch. Tolles Album!

peter73

Postings: 2797

Registriert seit 14.09.2020

2023-01-03 08:33:07 Uhr
das album ist irgendwie bei vö an mir vorübergegangen. heute 3 songs gehört und gleich geordert!

Quirm

Postings: 462

Registriert seit 14.06.2013

2021-02-26 09:48:19 Uhr
Kommt ja jetzt auch endlich als physisches Format (LP und CD) auf den Markt.

Perfect Day

Postings: 652

Registriert seit 18.01.2014

2020-05-31 09:23:24 Uhr
Momentan bei mir noch immer hinter „In Conflict“. Aber ich ertappe mich immer öfter dabei, dass mir einzelne Passagen aus „Island“ untertags völlig unerwartet durch meine Hirnrinde wandern. Und das ist ein klares Zeichen, dass mich das Album noch einige Zeit im positiven Sinne begleiten wird.

maxlivno

Postings: 2740

Registriert seit 25.05.2017

2020-05-30 11:25:22 Uhr
Ich habe mit „Island“ das selbst Problem wie schon mit „In Conflict“, es klingt schön, aber darüber hinaus löst das Album nichts aus. Es ist hörbar, wie gut alle Beteiligten ihr Metier beherrschen und was für Arrangements Pallett schreiben kann. Und ich hab wirklich versucht, einen Mehrwert für mich rauszuhören. Ich habe das Album mittlerweile 9 mal gehört, aber der Eindruck ist jedes Mal gleich.
Für mich reicht es immer hin für eine 7/10.
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