Lucinda Williams - Good souls better angels

Highway 20 / Membran
VÖ: 24.04.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Bleeding muddy water
Lucinda Williams ist angepisst. Angesichts des auch schon vor irgendwelchen Pandemien desolaten Zustands der Welt und speziell der USA überrascht das nicht. Die 67-Jährige widerspricht damit höchstens dem meistens eher zur Ruhe kommenden Habitus ihrer Altersklasse, doch sie schien sich sowieso schon immer in einer eigenen Zeitsphäre zu bewegen. Vier Dekaden im Musikgeschäft hat Williams bereits auf dem Buckel, ohne sich je auf ihrer Reputation in Country-Kreisen auszuruhen. Mit ihrem 14. Album "Good souls better angels" kulminiert die künstlerische Rastlosigkeit in ihrer bisher wütendsten, lautesten Form. Wo das meditative "The ghosts of Highway 20" zuweilen in die Stratosphäre davon glitt, erhebt sich sein Nachfolger direkt aus der geschundenen amerikanischen Erde und zieht einen Schweif von Dreck und Sumpfwasser nach sich. Es ist eine von gesellschaftlichen wie von emotionalen Narben gezeichnete Platte, vorgetragen wie von der aus Louisiana stammenden Frau gewohnt: kunstvoll, aber nicht verklausuliert, nahbar, aber mit einem ganz eigenen Kopf. "You can't rule me", deklariert schon der Opener, ein protestierender Bluesrock-Stampfer, der keine Gefangenen macht: "I ain't playin' no more."
Mehr denn je erscheint Williams' vokale Performance wie das weibliche Pendant zu Tom Waits' knorrigem Organ. Ihre gegerbte Stimme keift, leidet und schmeichelt, wirkt in ihrer ungebändigten Art aber nie gekünstelt, sondern außerordentlich roh. Auch die Dylan'sche Lakonie beherrscht sie, wenn sie etwa im "Bad news blues" über die "clowns and hypocrites" dieser Welt herzieht, während ihre Band ähnlich trocken im Nebenfokus rumpelt. "Man without a soul" richtet sich noch direkter an einen gewissen Twitter-Liebhaber im Weißen Haus, aber nicht ohne optimistischen Kampfschrei: "You hide behind your wall of lies / But it's coming down." Das Prinzip Hoffnung gehört auf "Good souls better angels" immer dazu, ob im sanften Schulterklopfer "When the way gets dark" oder in "Big rotator", das Gott in die Bringschuld nimmt. Fraglich, ob ausgerechnet ein fiktiver Bartträger im Himmel die Lösung sein soll – doch solange Gitarrist Stuart Mathis seine Riffs hier oder im tosenden "Bone of contention" aus ein paar Etagen weiter unten bezieht, lässt sich das abnicken. In "Down past the bottom" gräbt er gar so tief, dass er fast im Sludge ankommt. So viele harte, schwere, verzerrte Sechssaiter hat man noch nie auf einem Lucinda-Williams-Album gehört. Klang sie eigentlich immer schon ein bisschen wie Kim Gordon?
Der emotionale Kern der Platte findet sich günstigerweise in ihrem tatsächlichen Zentrum. Zunächst fährt der "Big black train" ein, eine Metapher für die Unaufhaltsamkeit mentaler Abgründe, verpackt in eine trostvolle Country-Klage. In falsche Sicherheit gewiegt trifft einen der Magengruben-Haken von "Wakin' up" umso härter. Der Bass schlurft post-punkig, Mathis spielt ein noisiges Anti-Solo und das ganze Instrumental brodelt und zittert, ohne je den erlösenden Ausbruch zu vergönnen. Williams verschluckt sich fast an ihrer eigenen Galle, während sie ungewohnt drastisch und grafisch eine Geschichte von häuslicher Gewalt nachzeichnet. Es ist ein phänomenaler Song, stilistisch wie erzählerisch ein absolutes Novum in ihrem Schaffen. Neben Depressionen und brutalen Arschlöchern wirkt der Gehörnte, den "Pray the devil back to hell" ins Visier nimmt, eher wie ein Leichtgewicht – da reicht wahrscheinlich schon die herrlich knarzige Geige aus, um ihn verängstigt aus dem Ring zu treiben. Doch die inneren und äußeren Tumulte fordern ihren Tribut, weswegen im Anschluss nur das erschöpfte "Shadows & doubts" folgen kann. Es gerät für Künstlerin und Publikum zum Segen, wenn der siebenminütige Schlusswalzer überhaupt keine Wut mehr im Bauch hat und eine Danksagung an all die "Good souls" der Welt ausspricht. Williams singt, als könnte sie ewig so weitermachen, und wer weiß, vielleicht wird sie das auch. Zumindest wird es sich der Teufel jetzt zweimal überlegen, ob er diese Frau wirklich frühzeitig zu sich holen will.
Highlights
- Bad news blues
- Big black train
- Wakin' up
- Pray the devil back to hell
Tracklist
- You can't rule me
- Bad news blues
- Man without a soul
- Big black train
- Wakin' up
- Pray the devil back to hell
- Shadows & doubts
- When the way gets dark
- Bone of contention
- Down past the bottom
- Big rotator
- Good souls
Gesamtspielzeit: 59:53 min.
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Xavier Postings: 448 Registriert seit 25.04.2020 |
2020-05-08 20:43:56 Uhr
Tolle Platte. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28621 Registriert seit 08.01.2012 |
2020-05-06 21:12:56 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Tom Waits; Bob Dylan; Neil Young & Crazy Horse; PJ Harvey; Patti Smith; Cat Power; Scout Niblett; Neko Case; Sleater-Kinney; The Breeders; Throwing Muses; Sonic Youth; Kim Gordon; The Velvet Underground; Nick Cave & The Bad Seeds; Mark Lanegan; Gallon Drunk; The Gun Club; Emmylou Harris; Steve Earle; Son Volt; Gillian Welch; Shelby Lynn; Mary Gauthier; John Hiatt; The Jayhawks; Rosanne Cash; Allison Moorer; Patty Griffin; Iris DeMent; Nanci Griffith; Laura Marling; Justin Townes Earle; Jason Isbell And The 400 Unit; Amanda Shires; Sheryl Crow
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