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The Hirsch Effekt - Kollaps

The Hirsch Effekt- Kollaps

Long Branch / SPV
VÖ: 08.05.2020

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Sind wir schon da?

"Ich bin äußerst wertvoll / Wer mich besitzt, ist nicht dumm / Jeder versteht meine Sprache / Ich mache brumm brumm / AUTO! AUTO! / Automobil." Nein, wir sind nicht beim Poetry-Slam-Workshop des Kindergartens Friedrichshain, sondern auf dem neuen Album von The Hirsch Effekt. Dieses heißt "Kollaps" und soll laut Frontmann Nils Wittrock den Diskurs um die "Fridays For Future"-Bewegung in einem dokumentarisch-deskriptiven Stil thematisieren. Warum klingt das obige Zitat aus "Bilen" dann so, als wolle die Band die Klima-AktivistInnen eher auf die Schippe nehmen? Die Antwort liefern womöglich Bild und Ton. Im dazugehörigen Video albern die Jungs vor einem Greenscreen herum, während sie sich musikalisch an einem stumpfen, Rammstein-ähnlichen Gebolze abarbeiten – und damit bestimmt unzählige Meta-Ironie-Ebenen schaufeln, die ein einzelner Hobby-Rezensent gar nicht alle erfassen kann. But the joke's on you, The Hirsch Effekt: Die Parodie von Scheißmusik bleibt am Ende des Tages immer noch Scheißmusik.

Doch "Bilen" ist zum Glück der einzige Totalausfall auf einer Platte, die sich nicht im Geringsten um Fan-Erwartungen schert. Mit der "Holon"-Trilogie etablierte sich das Trio aus Hannover als eine der spannendsten deutschen Bands. Ihren eigenständigen Sound zwischen Progressive Metal, Postcore und orchestralen Arrangements fütterten sie mit einer tiefsackenden Substanz, die auf dem Gipfel namens "Holon : anamnesis" eine immense emotionale Wucht erreichte. "Eskapist"kehrte sich im Anschluss ab vom Persönlichen, machte zwar immer noch viel Laune, ließ seine ständige Überforderung aber auch ein wenig zum Selbstzweck verkommen. "Kollaps" führt diesen Weg in einer kompakteren Variation fort. Im besten Fall führt die "Alles geht"-Mentalität zu einem grandiosen Ergebnis wie "Kris": Interessante Percussion leitet in abgehackte Riffs, die wiederum einen druckvollen Rocksong mit Klargesang und herrlichem Emo-Refrain eröffnen, der im Finale enorm an Zug gewinnt. Ist das noch Meddl? Überhaupt nicht, aber ein stimmungsvoller Opener, der sich ungewohnt klar konturiert aufbaut und damit voll ins Schwarze trifft.

Als weniger gute Idee erweist sich der furchtbar ungelenke, geradezu rheumatische Rap-Part von Anoki, der das ansonsten okaye "Noja" herunterzieht. "Deklaration" wirbelt den angesetzten Staub jedoch schnell wieder auf, galoppiert an Mike Patton vorbei und überlässt der straighten Dampfwalze "Allmende" die Bühne. Das von Santana-Gegniedel eingeleitete "Domstol" versucht ein bisschen mehr, pappt seine unterschiedlichen Parts aber etwas zu unmotiviert aneinander. The Hirsch Effekt schlagen zwar weiterhin zu viele Haken fürs Massen-Publikum, doch die Überwältigung für schon längst sensibilisierte Ohren bleibt aus. Der Spaß, den Wittrock, Ilja Lappin und Moritz Schmidt beim – für ihre Verhältnisse – unterkomplexen Zocken sicher hatten, überträgt sich nur teilweise auf den Hörer.

Abgesehen vom eingangs erwähnten "Bilen" gestaltet sich die zweite Hälfte allerdings deutlich besser. "Torka" bekommt in Form von "Moment" ein hübsches Intro, ehe sich der Song selbst durch elektronisch akzentuierte Strophen schlängelt, malmt, schwebt und die sicher geglaubte Mediokrität des Albums erschüttert. Die rätselhafte Atmosphäre des Titelstücks entwickelt ebenso ihren Reiz, auch wenn es nicht alles aus den sieben Minuten Laufzeit herausholt. Die früher für die Band so essenziellen Streicher dürfen sich im zärtlichen "Agera" auftürmen, sorgen mit geschmackvollem Pathos und toller Gitarre für eine Intensität, die trotz der softeren Ausrichtung fast an die ersten zwei "Holon"-Alben heranreicht. Das bisher kaum wahrgenommene Thema der Platte manifestiert sich hier eindrücklich: "Sagt, wovor habt Ihr Angst / Sind alle schuld, ist's keiner / Ein kleiner Schritt rückwärts / Oder der letzte überhaupt." Es ist ein brillanter Schlusspunkt, weil er nicht nur die Menschheit vor den Scheideweg stellt, sondern auch The Hirsch Effekt selbst alle Straßen offen lässt. Per U-Turn zurück zu früheren Großtaten, mit Vollgas in den musikalischen Abgrund oder irgendwas dazwischen? Hauptsache brumm brumm.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Kris
  • Torka
  • Agera

Tracklist

  1. Kris
  2. Noja
  3. Deklaration
  4. Allmende
  5. Domstol
  6. Moment
  7. Torka
  8. Bilen
  9. Kollaps
  10. Agera

Gesamtspielzeit: 48:22 min.

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User Beitrag

Lateralis84skleinerBruder

Postings: 1024

Registriert seit 03.03.2019

2024-12-11 22:36:08 Uhr
Mir war das rein digitale Buch mit 20,- bisschen zu viel. Muss mal in seinem Shop nach der hardcopy suchen

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 34875

Registriert seit 07.06.2013

2024-12-11 17:52:49 Uhr
Bin grad bei dem Album in Nils' Buch. Irgendwie war da echt der Wurm drin. Grad ballert "Allmende" alles dicht! Freu mich auch schon auf "Torka" und den Closer.

Lateralis84skleinerBruder

Postings: 1024

Registriert seit 03.03.2019

2024-04-16 18:03:50 Uhr
Gute Idee. Das mache ich :)

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 34875

Registriert seit 07.06.2013

2024-04-16 15:57:09 Uhr
Ey, hör die Alben mal genau in der richtigen Reihenfolge. Hatte es zweimal so gemacht und man war bei jedem Album ungefähr bei dessen Geschichte und nach den vier Alben mit dem Buch zu Ende. Zumindest bei mir war das nahezu synchron. :)

Lateralis84skleinerBruder

Postings: 1024

Registriert seit 03.03.2019

2024-04-16 15:10:30 Uhr
Lese gerade das erste Buch von Nils. Bzw ich lausche dem zugehörigen Hörbuch.
Im Zuge dessen kommen die Alben auch wieder auf die Ohren.
Torka ist und bleibt einfach mein unschlagbares Highlight.
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