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Ghostpoet - I grow tired but dare not fall asleep

Ghostpoet- I grow tired but dare not fall asleep

PIAS / Rough Trade
VÖ: 01.05.2020

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Der hat nen Schatten

Dystopie galore! Obaro Ejimiwe, bekannter unter seinem Künstlernamen Ghostpoet, skizziert auf seinem neuen Album "I grow tired but dare not fall asleep" eine resignative Lähmung, die sich aus den ungezählten Handlungsoptionen des 21. Jahrhunderts speist. Dabei ist Ejimiwe mit lakonischer Ruhe unterwegs, erhebt seine Spoken-Word-Litaneien nie ins emotionale Extrem, er murmelt, grummelt oder zieht ohne Gefühlsregung Bilanz. Das Sound-Setting ist das Äquivalent zu einer schäbigen, in kaltem Licht gehaltenen Kellerbar und greift damit Bezüge zum Vorgänger "Dark days & canapés" auf. Ätzend nagende Gitarrenfetzen, sich bedrohlich abwickelnde Percussion, ein sinisterer Bass. Dazu manchmal pervertierte Hoffnungsschimmer vom Klavier oder von Streichern. Obwohl die Gangart immer kühle Distanz wahrt, wollen sich niemals Behaglichkeit oder Wärme einstellen. Ghostpoet mag in der Vergangenheit mit poppigen Komponenten gespielt haben, doch in der Schattenwelt seines neuen Albums verweigert sich der Brite jeder offensichtlichen Highlight-Belohnung via einprägsamen Refrain oder ähnlichem.

Wie gesagt, die Resignation, die Lakonie, ein Stück weit auch das Kaltblütige, prägen "I grow tired but dare not fall asleep". Das eröffnende "Breaking cover" registriert zunächst "I am alive / You are alive / We are alive / They are alive", beantwortet dies jedoch prompt mit der Konjugation "I wanna die / You wanna die" und so weiter. Aufkeimende Hoffnung wird also in aller Ruhe, aber entschlossen abgewürgt. Immer wieder beeindruckend bei diesen kühlen, seelenruhigen Bilanzierungen des 21. Jahrhunderts ist ihre klangliche Detailfülle. Der introvertiert grummelnde Bass von "Concrete pony" evoziert erkaltete Zigarettenasche und klebrige Alkoholrückstände auf Resopal. Man hat immer wieder das Gefühl, diese Musik operiere von jenseits der lebendigen Geschehnisse, erfasst nur noch eine schattenhafte Hülle ebenjener.

Auch wenn der Beat wie in "Rats in a sack" vermeintlich etwas kräftiger zulangt, dämmt das enervierende Mantra in Ghostpoets Vortrag diesen sofort ein, sodass selbst die sloganhafte Hook eiskalt ins Leere läuft. Und auch die Streicher raffen sich in diesem Stück vermeintlich zu einer mächtigen Melodie auf, doch nach kraftvollem Auftakt lässt Ejimiwe sie am ausgestreckten Arm verhungern. Direkt irritierend erscheint in all der Kühlhausatmosphäre der weibliche Gesang auf Französisch in "This trainwreck of a life". Was zunächst Romantik und Bettwärme signalisiert und von einem sinnlichen Bass und jazzigem Schlagzeug noch unterstützt wird, wendet sich jedoch auch hier zu einem frostigen Abgesang – nur dank ein paar apokalyptischer Anschläge auf dem Klavier und Ejimiwes aschfahler Vocals.

Und auch der eigentlich agile Rhythmus-Aufbau von "Nowhere to hide now" führt mit sägenden Klängen und abgetönten Melodien ins Dunkel, in die Resignation. Und so ist auch der Titelsong ein klaustrophisches Warten auf die Erlösung im Nichts. Das Stück steuert auf eine gewaltige Konklusion zu, doch Ejimiwe intensiviert nur ein wenig den Verlauf der Strophe. Hier entsteht eine ziellose Reibung, eine nihilistische Zuspitzung, während das Hamsterrad ohne Zielpunkt immer weiter rotiert. Und doch ist dies der Punkt auf diesem Album, an dem so etwas wie emotionales Engagement entsteht, eine Verzweiflung über die Unmöglichkeit eines Ausbruchs. So erhält "I grow tired but dare not fall asleep" seine Pointe, seine Bruchstelle, eingebettet in jede Menge graues, aber in seiner atmosphärischen Ausgestaltung einzigartiges Dahinvegetieren.

(Martin Makolies)

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Highlights

  • Rats in a sack
  • This train wreck of a life
  • I grow tired but dare not fall asleep

Tracklist

  1. Breaking cover
  2. Concrete pony
  3. Humana second hand
  4. Black dog got silver eyes
  5. Rats in a sack
  6. This train wreck of a life
  7. Nowhere to hide now
  8. When mouths collide
  9. I grow tired but dare not fall asleep
  10. Social lacerations

Gesamtspielzeit: 45:40 min.

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User Beitrag

AliBlaBla

Postings: 4788

Registriert seit 28.06.2020

2020-07-08 18:49:54 Uhr
Die beste Platte der letzten fünf Jahre, mindestens. Punkt.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2020-04-29 20:38:47 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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