Mark Lanegan - Straight songs of sorrow
Heavenly / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 08.05.2020
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Ein offenes Buch
Rock'n'Roll, Ruhm, Depression, Heroin- und andere Drogenabhängigkeiten, Obdachlosigkeit – und wieder zurück. Mark Lanegan kann aus seinem Leben gleich mehrere Schwänke erzählen und tut dies nun in seiner Autobiografie "Sing backwards and weep", ein Dokument der Seattle-Szene der spätern Achtziger und frühen Neunziger, vermischt mit Abzweigungen links und rechts im Dasein der knorrigen Ikone. Sein schwieriger Stand bei Screaming Trees, mit denen er berühmt wurde, sein Versagen als Vorbild von Kurt Cobain und der Absturz nach der Auflösung der Band: Nichts wird ausgespart. Mittlerweile ist Lanegan als Solokünstler und stets gern gesehener musikalischer Kollaborateur wohl bekannter als in seiner ursprünglichen Rolle. All dies zeichnet sein zwölftes Album "Straight songs of sorrow" nach, quasi als Nebenprodukt beim Schreiben der Lektüre entstanden. Das Wühlen in eigentlich längst verdrängten Erlebnissen formte diese Stücke aus den hervorzerrten Emotionen.
So gestaltet sich demnach die Reise durch "Straight songs of sorrow" auch wie ein Querschnitt durch Lanegans Karriere. Das elektronische, bedrohliche Bollern der jüngeren Alben findet sich beispielsweise im drängenden Opener "I wouldn't want to say" wieder, gleichermaßen greift er aber auch vermehrt auf die Folk-Ausflüge in der Mitte seines Werdegangs zurück, als er noch deutlich instabiler und fragiler am Limit lebte. Lanegan schrieb die Songs weitgehend allein, lediglich zwei Mal ist seine Frau Shelley Brien als Co-Writerin verzeichnet. Im Studio fanden sich dagegen zahlreiche Begleiter wieder. Greg Dulli von The Afghan Whigs, der mit Lanegan schon mehrfach kooperierte, veredelt das atmosphärische "At zero below", in dem auch Warren Ellis bedrohlich losfiedeln darf. Das dreckige "Ballad of a dying rover" führt John Paul Jones ans Mellotron, Portisheads Adrian Utley sorgt in "Daylight in the nocturnal house" für zurückhaltende Spannung.
Trotzdem ist all das natürlich in erster Linie Lanegans Show. Er zeigt all seine Facetten, tritt in "The game of love" mit der wiederholten Forderung nach "devotion and warmth" als romantischer Balladeur auf, nur um im zentralen Stück "Skeleton key" voluminös zuzugeben: "Ugly, I'm so very ugly." Dort spinnt er sich in sieben Minuten ein Meisterwerk zusammen, das in seiner Schwermütigkeit wie eine leicht abgewetzte LP umhertaumelt. Auch das gar experimentelle, dissonante "Internal hourglass discussion" liegt wie verkartert neben der Spur, bevor "Stockholm city blues" als reduzierte Akustiknummer einmal durchlüftet und den Kopf freischaufelt. "I'd ask someone for a quarter / If there was someone for me to phone" – das etwas an Lanegans Einstand bei den Soulsavers erinnernde "Churchbells, ghosts" erzählt von langen, einsamen Tourreisen und braucht nicht mal ein Schlagzeug, um Schwere zu erzeugen.
Die Inspiration durch das Graben in der eigenen Vergangenheit ist keinesfalls ein Marketing-Vorwand: "Straight songs of sorrow" bewegt und reißt mehr mit als ohnehin meist schon vom 55-Jährigen gewohnt, führt außerdem zugleich vor, in wie vielen stilistischen Verpackungen Lanegan den Blues präsentieren kann. Wie macht der Mann das, aus seinem ureigenen Stil immer noch so viel Leben zu holen? Vielleicht weil er das Leben und die darin enthaltenen Abgründe so gut kennt wie sonst kaum jemand. Für das Buch gab es dementsprechend bereits Lob von niemand Geringerem als Nick Cave persönlich: "Mark Lanegan – primitive, brutal and apocalyptic. What's not to love?" Dem kann man sich anlässlich von "Straight songs of sorrow" nur anschließen.
Highlights
- Churchbells, ghosts
- Stockholm city blues
- Skeleton key
- At zero below
Tracklist
- I wouldn't want to say
- Apples from a tree
- This game of love
- Ketamine
- Bleed all over
- Churchbells, ghosts
- Internal hourglass discussion
- Stockholm city blues
- Skeleton key
- Daylight in the nocturnal house
- Ballad of a dying lover
- Hanging on (For DRC)
- Burying ground
- At zero below
- Eden lost and found
Gesamtspielzeit: 60:17 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
VelvetCell Postings: 7524 Registriert seit 14.06.2013 |
2024-01-30 14:55:03 Uhr
Das Album gibt es gerade lächerlich günstig bei Flight 13:https://www.flight13.com/mark-lanegan-straight-songs-of-sorrow-cd-lp-vinyl/138936 |
Vive Postings: 859 Registriert seit 26.11.2019 |
2020-10-18 19:34:47 Uhr
Heute erst wieder Stockholm City Blues gehört |
Wuhu Postings: 8 Registriert seit 18.10.2020 |
2020-10-18 11:03:45 Uhr
absolute Zustimmung,Wie ein Frühwerk, das in Richtung Fields geht. Höre kaum einen Alterungsprozess, (außer die Stimme) was durchaus positiv ist; maximale Leistung. 9,5/10 |
Vive Postings: 859 Registriert seit 26.11.2019 |
2020-07-19 16:56:59 Uhr
Hab sein Hörbuch zum zweiten Mal durch. Sehr zu empfehlen. |
fuzzmyass Postings: 17173 Registriert seit 21.08.2019 |
2020-07-16 01:15:06 Uhr
Ja, Album ist grandios und ein Jahreshighlight... sein bestes finde ich nicht, aber es reiht sich nahtlos in die Meisterwerke ein. |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Mark Lanegan Band; Isobel Campbell & Mark Lanegan; Mark Lanegan & Duke Garwood; The Gutter Twins; The Afghan Whigs; Greg Dulli; The Twilight Singers; Soulsavers; Humanist; dEUS; The War On Drugs; Black Rebel Motorcycle Club; The Jesus And Mary Chain; 13th Floor Elevators; Screaming Trees; Queens Of The Stone Age; Masters Of Reality; Creature With The Atom Brain; Mad Season; Nick Cave & The Bad Seeds; Tom Waits; Mother Love Bone; Temple Of The Dog; The Black Angels; Pearl Jam; Brad; Blind Melon; Black Mountain; Calexico; Lou Reed; Earthlings?; Bob Dylan; Bruce Springsteen; Dead Meadow; Triggerfinger; The Brian Jonestown Massacre; Baby Woodrose; Wooden Wand; William Elliott Whitmore; Justin Townes Earle; Leonard Cohen
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Plattentests.de-Forum
- Mark Lanegan (91 Beiträge / Letzter am 26.09.2024 - 10:47 Uhr)
- Mark Lanegan Band - Bubblegum (83 Beiträge / Letzter am 26.08.2024 - 19:47 Uhr)
- Mark Lanegan - Field songs (11 Beiträge / Letzter am 10.07.2024 - 00:46 Uhr)
- Mark Lanegan Band - Gargoyle (30 Beiträge / Letzter am 14.04.2024 - 16:48 Uhr)
- Mark Lanegan - Straight songs of sorrow (105 Beiträge / Letzter am 30.01.2024 - 14:55 Uhr)
- Mark Lanegan ist tot (113 Beiträge / Letzter am 14.04.2022 - 12:06 Uhr)
- Mark Lanegan - Has God seen my shadow? An anthology 1989-2011 (8 Beiträge / Letzter am 02.03.2022 - 18:34 Uhr)
- Mark Lanegan - Whiskey for the Holy Ghost (26 Beiträge / Letzter am 18.05.2020 - 02:01 Uhr)
- Mark Lanegan Band - Blues funeral (24 Beiträge / Letzter am 11.05.2020 - 02:17 Uhr)
- Mark Lanegan Band - Somebody's knocking (17 Beiträge / Letzter am 29.10.2019 - 01:11 Uhr)
- Mark Lanegan & Duke Garwood - With animals (5 Beiträge / Letzter am 16.08.2018 - 04:48 Uhr)
- Mark Lanegan Band - Still life with roses (1 Beiträge / Letzter am 05.07.2017 - 18:07 Uhr)
- Mark Lanegan - Houston: Publishing Demos 2002 (7 Beiträge / Letzter am 28.08.2015 - 22:58 Uhr)
- Mark Lanegan Band - A thousand miles of midnight (3 Beiträge / Letzter am 19.02.2015 - 11:28 Uhr)
- Mark Lanegan Band - Phantom radio (20 Beiträge / Letzter am 05.11.2014 - 11:03 Uhr)
- Mark Lanegan - Imitations (3 Beiträge / Letzter am 09.07.2013 - 09:13 Uhr)
- Isobel Campbell & Mark Lanegan - Hawk (8 Beiträge / Letzter am 25.11.2010 - 17:09 Uhr)
- Isobel Campbell & Mark Lanegan-Sunday at Devil Dirt (11 Beiträge / Letzter am 08.12.2008 - 14:08 Uhr)
- Mark Lanegan - Here comes that weird chill (1 Beiträge / Letzter am 11.10.2007 - 14:17 Uhr)
- Isobel Campbell & Mark Lanegan - Ballad of the broken seas (5 Beiträge / Letzter am 29.11.2005 - 12:23 Uhr)