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Various Artists - Die Liebe frisst das Leben - Soundtrack

Various Artists- Die Liebe frisst das Leben - Soundtrack

Mindjazz / Al!ve
VÖ: 23.04.2020

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 5/10

Vollendet unvollendet

Tobias Gruben wurde nur 33 Jahre alt. Seitdem gilt der Wahlhamburger als Popstar, der nie einer war. Vor allem dank seiner kurzlebigen Band Die Erde, die er 1989 zusammen mit Tobias Levin gründete, dem späteren Frontmann von Cpt. Kirk &. und renommierten Produzenten dunkelgrauer deutscher Gitarrenmusik. Danach gab Gruben solo und mit den Projekten SOL und Heroina den düsteren Singer-Songwriter – doch kurz bevor eine Neuauflage von Die Erde mit verändertem Line-Up anstand, starb er 1996 an einer Überdosis. 23 Jahre später dokumentierte Regisseur Oliver Schwabe Grubens Wirken im Film "Die Liebe frisst das Leben" – und dieser tritt den Beweis an, dass es blasse, leer dreinblickende Indie-Frontleute wie Max Rieger von Die Nerven oder Max Gruber alias Drangsal ohne diesen unvollendeten Vorreiter womöglich so nie gegeben hätte.

"Tobias Gruben, seine Lieder und Die Erde" könnte als Untertitel für diese Soundtrack-Compilation kaum besser gewählt sein, denn sie umfasst nicht nur Schlüsselmomente aus dem Schaffen des erratischen Antihelden, sondern auch Coverversionen, für die zeitgenössische Gruben-Verehrer verantwortlich zeichnen. Doch auch in seinen eigenen Songs ist der Einfluss unverkennbar, den er auf die musikalische Nachwelt ausübte – etwa beim verschepperten Rumpel-Hop "Leben den Lebenden", den sowohl Milch in "Es gibt kein geregeltes Leben" als auch Jeans Team in "Das Zelt" zitierten: "Kein Volk, kein Land, keine Heimat, keine Heirat" – und die atonal lärmende Gitarre am Ende verweist sowohl auf die Geistesverwandten Einstürzende Neubauten als auch auf die ausgefranste Schnittstelle von Post-Punk, Industrial und Swamp-Blues, an der Die Erde stets operierten.

Von stilistischen Kapriolen unberührt bleibt das elektrifizierte Klagelied "Heroin" – eine aus Sicht des Rauschgiftes erzählte, schmerzhaft intensive Drogenbeichte, in der auch ungelenke Sätze wie "Ist da noch Platz hier auf Deinem Arm? / Wenn nicht, geh ich auch gerne in Dein Bein rein" wie ein poetischer Hilferuf zwischen Selbstdegradierung und Kuschelsarg wirken. Nicht weniger brillant: das streng reduzierte Uptempo, das Isolation Berlin dem Song verpassen, während Messer ihn durch ihre bewährte Dub-Echokammer schleusen. Trümmer-Sänger Paul Pötsch lässt die Lo-Fi-Skizze "Regen und Feuer" in vollmundigem akustischem Glanz erstrahlen, und bei Schauspieler Tom Schilling wird die wunderbare Nils-Koppruch-Vorwegnahme "Meine weiße Welt" gar zur Klavierballade – grundverschiedene Fassungen, die aber tadellos funktionieren.

So erhebt "Die Liebe frisst das Leben" keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit: Die Erdes Tanzflächen-Hit "Party" muss ebenso draußen bleiben wie die Bob-Dylan- und Joni-Mitchell-Interpretationen, welche die Band einst nassforsch auf die erste Seite ihres Debüts "Kch kch kch" packte. Viel interessanter sind in diesem Zusammenhang ohnehin die finsteren Visionen des unheilvollen SOL-Schleichers "Hände" oder das schrille "Permanent daze" von Grubens frühem Dark-Wave-Quartett Cyan Revue, das zudem in Erinnerung ruft, warum sich Siouxsie & The Banshees seinerzeit nach heulenden Gespenstern benannt haben. Und vielleicht ruht Gruben, der seinem strengen Vater nie zu genügen vermochte, nach dieser beeindruckenden Werkschau samt filmischer Würdigung zumindest ein wenig in Frieden – wo er doch zeitlebens immer ein Getriebener war.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights

  • Leben den Lebenden (Die Erde)
  • Heroin (Die Erde II)
  • Meine weiße Welt (Tobias Gruben)
  • Heroin (Isolation Berlin)
  • Regen und Feuer (Paul Pötsch)

Tracklist

  1. Leben den Lebenden (Die Erde)
  2. Schlecht (Die Erde II)
  3. Heroin (Die Erde II)
  4. Meine weiße Welt (Tobias Gruben)
  5. Regen und Feuer (Tobias Gruben)
  6. Heroin (Isolation Berlin)
  7. Leben den Lebenden (Timm Völker)
  8. Meine weiße Welt (Tom Schilling)
  9. Schlecht (Tellavision)
  10. Regen und Feuer (Paul Pötsch)
  11. Heroin (Messer)
  12. Permanent daze (Cyan Revue)
  13. Hassle (Die Erde)
  14. Mit Dir (Die Erde)
  15. Laub (Die Erde)
  16. Hände (SOL)
  17. Abstand (Tobias Gruben)

Gesamtspielzeit: 70:11 min.

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Armin

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2020-04-22 21:17:21 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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