Damien Jurado - What's new, tomboy?
Loose / Rough Trade
VÖ: 01.05.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Geschüttelt, und gerührt
Katharsis, die: 1) Läuterung der Seele von Leidenschaften als Wirkung des [antiken] Trauerspiels, 2) das Sichbefreien von psychischen Konflikten und inneren Spannungen durch emotionales Abreagieren. Joa, das passt gut, was der Duden da so erzählt. Eben gerade war da noch die Überlegung, wie man die Stimmung auf Damien Jurados neuem Studioalbum "What's new, tomboy?" am besten beschreiben sollte, schon hat man die Antwort: Der Singer-Songwriter ist geläutert und hat sich befreit. Nur das Abreagieren, das müssen wir noch üben.
Die innere Ruhe ist in den zehn neuen Stücken nämlich deutlich spürbar. Vielleicht hatte Jurado eine solche Gemächlichkeit selbst auch mal nötig: Nachdem er sich, vom Leben ordentlich durchgeschüttelt, fragte, was ihm eigentlich wirklich wichtig ist und kurz darauf fast sein ganzes Hab und Gut verschenkte – darunter fünf Gitarren, die er einem Secondhandladen gab –, kam der Sinn für Relevantes langsam wieder. Und weil er seiner Hörerschaft eine ähnliche Offenbarung gönnt, ist "What's new, tomboy?" entsprechend reduziert. Kaum Instrumente, keine Effekthascherei, dafür Jurado pur, als würde er nebenan sitzen und nur für Dich spielen. Was so ein bisschen Seelenläuterung ausmachen kann.
Man merkt dem Mann aus Seattle zumindest an, wie gerührt er selbst von dieser neuen Weltanschauung ist, in der man sich auf das Wesentliche konzentriert. "What's new, tomboy?" ist folglich ein Ruhepol in sich. Manch einer mag das als überraschungsarm bezeichnen, und das ist es auch. Hier bekommt man nicht etwas, womit man nicht gerechnet hätte, sondern das, was man braucht. Und nicht alles ist hier eine vertonte Umarmung, sondern vor allem eine Schärfung der Sinne. Da wäre etwa der treibende Blues von "Arthur aware", der einem hier und da einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen lässt, immer auf der Hut, immer auf Draht. Oder das sanfte "Fool Maria", das Nick Drake zumindest für einen kurzen Moment zu den Lebenden zurückholt und mit ihm gemeinsam den pinken Mond anheult. "The end of the road" zeigt hingegen, dass längst nicht jede Sackgasse zwangsläufig auch etwas Schlechtes sein muss.
Anders als seine letzten Werke, auf denen Jurado immer wieder zwischen der harten Realität und nebeligen Traumwelten zu wandeln schien, ist "What's new, tomboy?" durchgängig nahbar, wie ein warmes Licht an kalten Tagen. Zum Opener "Birds tricked into the trees" spürt man das Gras der Frühlingswiese unter den Füßen, obwohl man sich in der Wohnung aufhält und Socken trägt. "Sandra" berührt das Herz und weckt gleichzeitig Fern- und Heimweh, während sich der verschlafene Abschlusstrack "Frankie" lieber noch eine Runde im heimischen Bettchen umdreht. Für manche ist das Zuhause eine bestimmte Bude in einer bestimmten Straße, für andere eine Person. Und für Jurado? Ein Gefühl, mutmaßlich – dort angekommen zu sein, wo man hingehört.
Highlights
- Birds tricked into the trees
- Fool Maria
- The end of the road
Tracklist
- Birds tricked into the trees
- Ochoa
- Alice Hyatt
- Arthur aware
- Francine
- Fool Maria
- When you were few
- Sandra
- The end of the road
- Frankie
Gesamtspielzeit: 29:33 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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saihttam Postings: 2570 Registriert seit 15.06.2013 |
2020-05-02 12:29:39 Uhr
Mir gefällt ja Maraqopa am besten, dicht gefolgt von Saint Bartlett. Auf diesen Alben hat die Mischung aus Emotionalität gepaart mit immer wieder kleinen, aber feinen musikalischen Experimenten einfach am besten gepasst. Danach konnte er für mich nicht mehr ganz daran anschließen. Die früheren Alben von ihm kenne ich aber auch alle nicht, da geht es mir ähnlich wie dem Unangemeldeten. |
Jennifer Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 4716 Registriert seit 14.05.2013 |
2020-04-30 21:54:45 Uhr
Wir haben heute die Info bekommen, dass der hier rezensierte Abschlusstrack "Josephine" nicht auf dem Album sein wird, sondern versehentlich bemustert wurde. Stattdessen heißt der zehnte Song des Albums "Frankie", dieser wurde mir auch nachgereicht. An der Bewertung ändert sich dadurch nichts, ich habe aber soeben den Text und die Highlights angepasst. |
Obrac Postings: 2521 Registriert seit 13.06.2013 |
2020-04-24 11:15:55 Uhr
Saint Bartlett bleibt für mich sein Meisterwerk. Vor allem die Qualität der ruhigen Nummern (z.B. "Kansas City" oder "With lighning in your hands") konnte er später nicht mehr erreichen. Die letzte Platte war leider eine Enttäuschung für mich. Die Rezi liest sich so, als würde er stilistisch daran anknüpfen. |
Unangemeldeter Postings: 1552 Registriert seit 15.06.2014 |
2020-04-24 09:25:05 Uhr
Danke für den Tipp, dann fange ich damit bei Gelegenheit mal an. :-) |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10263 Registriert seit 26.02.2016 |
2020-04-23 20:20:03 Uhr
Eigentlich schade, weil seine Alben echt toll sind. Ich finde "Brothers And Sisters Of The Eternal Son" am besten, das ist auch recht kompakt.Gebe aber zu, dass ich dieses und das davor auch noch nachholen muss. |
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